Kapitel 24 - Leos Sicht

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× Leos Sicht ×

Die letzten Tage waren die reinste Qual, vor allem da meine Mutter mich immer noch behandelte, als würde ich sterben. Mir ging es von Tag zu Tag besser und auch die Schmerzen in meinem Brustkorb ließen immer mehr nach.

Ich hatte mich dazu entschlossen, an diesem Nachmittag etwas spazieren zu gehen. Rasch war ich in meine Schuhe geschlüpft, meine Jacke hatte ich übergeworfen und ich sah noch einmal, mit einem prüfenden Blick, in den Spiegel. Man erkannte nicht, dass ich Leonie war. Ich war für alle Leon. Sie würden einen Jungen in mir sehen und niemals auf die Idee kommen, dass ich weiblich war. Diese ewige Angst spiegelte sich in jeder meiner Taten wider. Ich nahm noch meinen Schlüssel in die Hand und verließ das Haus.

Ohne darauf zu achten, wohin ich ging, lief ich einfach durch die Stadt. In diesem Moment entschloss ich mich dazu, Musik zu hören und steckte meine Kopfhörer in die Ohren, damit meine Umwelt mein Trostpflaster nicht mitbekam. Doch das Lied, welches ertönte, ließ meinen Atem stocken.

Ich verband dieses Lied, was gerade lief, mit Killian. Es versetzte mir einen Stich ins Herz. Ich blieb stehen und sah in den Himmel. Die Wolken verdeckten die Sonne und es sah aus, als würde das Wetter meine momentane Gefühlswelt darstellen. In genau diesem Moment öffneten sich die Wolken und reißende Bäche an Regen fielen auf die Erde nieder. Ich rannte allerdings nicht nach Hause oder zu einem Unterschlupf, sondern genoss die kühlen Tropfen auf meiner Haut.

Nach wenigen Minuten ließ der Regen etwas nach und ich setzte meinen Weg fort. Ich lief weiter, wusste allerdings immer noch nicht, wohin ich ging und was mein Ziel war. Doch nach einiger Zeit fand ich mich vor dem Haus der Andersons wieder. Ich presste die Kiefer aufeinander, bis es begann unangenehm wehzutun.

„Killian", murmelte ich leise.

Gerade als ich überlegte, ob ich klingeln sollte oder nicht, wurde die Tür geöffnet und rabenschwarze Augen sahen mir entgegen. Es war nicht Samuel, sondern der Mann, dessen Name mir eben entwichen war.

„Leo-...", sah er mich mit einem verwirrten Blick an. „Was machst du hier?"

In den ersten Momenten war ich vollkommen sprachlos und konnte ihn einfach nur ansehen. Ich war unfähig, etwas zu sagen.

„Wieso bist eigentlich klatschnass?"

Er sah mich von oben bis unten an.

„Komm rein, sonst holst du dir noch den Tod", fügte er hinzu.

Er zog mich am Arm ins Haus, wobei ich ungünstig stolperte und wir im Inneren der Wohnung unsanft auf dem Boden landeten. Augenblicklich bereute ich es, denn mein Brustkorb beschwerte sich extrem schmerzhaft. Mit der Hand versuchte ich, dagegen zu wirken, indem ich etwas darauf drückte. Killian sah mich an und blickte mir besorgt entgegen.

„Alles in Ordnung?", erkundigte er sich. „Hast du Schmerzen?"

Ich nickte kurz, ließ ihn allerdings im Unwissen, worauf sich meine ungenaue Antwort bezog. Nach wenigen Momenten richtete ich mich auf und stellte mit großen Augen fest, dass Killian sich ebenfalls aufrichtete und sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt war. Ich merkte, wie mein Herz sich in meinem Inneren überschlug und begann, wie wild zu klopfen.

„Killian...", entwich mir erneut sein Name. „Es... Es tut mir leid..."

Meine Stimme war ein Hauch seiner selbst und ich hatte Bedenken, dass er die Worte richtig verstehen würde.

„Es tut mir leid, wie alles gelaufen ist... Ich würde, wenn es mir möglich wäre, in die Vergangenheit reisen und alles ändern. Es sollte nie Lügen geben..."

Er unterbrach mich, indem er meine Lippen mit einem Finger verschloss und sah mir direkt in die Augen. Er schüttelte kurz den Kopf.

„Es ist nun einmal so, wie es jetzt ist. Daran kannst du nichts ändern. Doch du kannst es für die Zukunft besser machen. Vielleicht, wenn du mir noch einmal alles erklärst, dann kann ich bestimmt über meinen Schatten springen und dir sagen, dass wir es noch einmal versuchen."

Meine Augen weiteten sich und ich war erneut unfähig, etwas zu sagen. Ich nickte allerdings erst einmal, um irgendetwas auf sein Gesagtes zu erwidern.

„Aber erst einmal müssen wir dich trocken kriegen", stand er auf und hielt mir seine Hand entgegen, damit ich diese nehmen und er mir beim Aufstehen helfen konnte.

Dankend nahm ich sie und stand nun etwas hilflos vor ihm. Er deutete mir an, dass ich ihm folgen und vorher die Schuhe ausziehen sollte. Ich nickte erneut und tat, was man mir sagte. Ich legte allerdings auch meine Jacke ab und suchte mir einen Platz, wo ich sie aufhängen konnte, damit sie trocknete. Dann folgte ich ihm in sein Zimmer, wo ich dabei zusah, wie er einige Kleidungsstücke aus dem Schrank holte und sie mir entgegenhielt.

„Hier", lächelte er mich schwach an. „Damit du dich umziehen kannst."

„Danke", nickte ich und nahm die Kleidung an.

Ich sah mich etwas fragend um, da ich nicht wusste, ob ich mich hier oder woanders umziehen sollte.

„Du kannst gerne aus dem Bad ein Handtuch benutzen, damit du deine Haare trocknen kannst. Ich werde wieder nach unten gehen und dir einen Tee machen. Hast du einen besonderen Wunsch, was die Sorte angeht?"

Ich schüttelte den Kopf, wartete bis er das Zimmer verließ und machte mich dann auf den Weg ins Badezimmer.

Im fremden Körper - Auf dem Weg ins richtige LebenWhere stories live. Discover now