twenty (l)

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„Das wird nicht nötig sein!", ruft Posy hinter mir. Sofort richten sich alle Augen auf uns. Anscheinend haben Kala und Jae zwei neue Freunde gefunden. Ich brauche einen Moment bis ich Florence wiedererkenne. Hinter ihr lehnt jemand, die aussieht wie ihre Zwillingsschwester. Allerdings scheint sie um einiges erschöpfter zu sein. Fordernd drückt Posy den Lauf der Pistole in meinen Rücken und ich gehe einige Schritte nach vorne. Dann geht sie um mich herum, jedoch nicht ohne mich aus den Augen zu lassen. Überrascht keucht Kala auf und ich höre auch Jae, wie er Luft scharf durch seine Nase zieht, als er die Pistole in Posys Hand sieht.

"Posy! Was soll das?", will Kala nach wenigen Sekunden wissen. Jae mustert mich misstrauisch und seine Hand schiebt sich langsam zu seiner Pistole. "Luc hat uns verraten. Deswegen sind wir hier.", erklärt Posy. Nur eine Millisekunde später zieht Jae seine Pistole aus dem Hosenbund und richtet sie auf mich. Sofort gefriert mir mein Blut in den Adern und kalter Schweiß läuft mir den Rücken hinunter. Im Gegensatz zu Posy ist Jae unberechenbar und ich weiß nie was er als nächstes machen wird. "Sag mir einen Grund, warum ich dich nicht sofort erschießen sollte.", knurrt er mich an und vollkommen überfordert hebe ich meine Hände.

"Ich war überzeugt, dass sie euch helfen können." "Helfen bei was?" "Euch eure Superkräfte zu nehmen." "Bist du verrückt? Und wer hat dir die Erlaubnis gegeben zu bestimmen was mit uns geschieht?" "Ihr habt euch benommen wie Kinder die gerade das erste Mal Süßigkeiten gegessen haben! Und ihr wolltet immer mehr!" "Was?" "Ihr habt Dinge geklaut einfach nur weil ihr Superkräfte habt! Das ist nicht richtig!" "Du entscheidest nicht, was richtig oder falsch ist!" Drohend kommt er ein paar Schritte auf mich zu und ich weiche ein paar Schritte zurück. "Schluss jetzt!", fährt uns Kala an und stellt sich zwischen uns, für was ich ihr gerade unglaublich dankbar bin. Doch dann dreht sie sich um und meine Dankbarkeit verfliegt. "Wie konntest du nur?" Hilflos zucke ich mit den Schultern und werfe flehend einen Blick in die Runde. Aber niemand kommt mir zur Hilfe. "Warum hast du ihn mitgenommen?", murmelt Jae.

Sie antwortet leise, aber doch gut hörbar. "Ich wollte Informationen haben. Außerdem konnte ich ihn nicht zurücklassen, da er denen immer noch Dinge über uns sagen kann, die ihnen helfen." Jae nickt und wendet sich zu mir. „Gut. Dann ist das geklärt. Wir müssen jetzt aber hier weg.", schaltet sich Florence ein. „Hier entlang.", führt Kala uns an und mir wird wieder eine Waffe in den Rücken gedrückt. Diesmal geht auch Jae neben mir und schielt die ganze Zeit zu mir herüber und prüft meine Bewegungen. Claude hat ihren Arm um Florences Schultern gelegt und anstatt selbst zu gehen, wird sie eher mitgeschleift.

„Geh nach hinten.", knurrt Jae mich an und ich trete in den hinteren Teil des Lifts. Kala drückt auf einen Knopf und die Türen schließen sich. Plötzlich ertönt Musik, die klingt wie aus Filmen und ich fange fast an zu lachen, da alles zu bizarr erscheint. „Wohin bringst du uns überhaupt?", richtet sich Posy an Florence. „Und wer bist du?" „Ich bringe euch zu meiner Wohnung.", beantwortet sie die erste Frage und als sie ihren Mund wieder öffnet, springt die Tür auf. Vor uns kommt eine riesige Eingangshalle, vollkommen in Weiß gehalten, zum Vorschein. Hohe Fenster lassen das gedämpft Licht des Sonnenuntergangs herein. Es ist alles still, doch etwa zehn Meter vor uns steht eine Art Theke, hinter der zwei Menschen sitzen. Hochkonzentriert starren sie auf ihre Bildschirme, die scheinbar in der Luft schweben. „Was sollen wir jetzt machen?", flüstert Kala leise und blickt in die Runde. „Wir versuchen uns an ihnen vorbei zu schleichen.", schlägt Posy vor und geht nach vorne. Leise tappen wir immer weiter nach vorne, als plötzlich ein schriller Ton ertönt und wir uns unsere Ohren zuhalten. Ich kneife meine Augen zusammen und als ich sie wieder öffne, stehen mindestens ein Dutzend Soldaten vor uns. Vollkommen überfordert drängen wir uns zusammen und stolpern wieder in Richtung der Lifte. Endlich verstummt der Ton und ich atme auf. „Großartiger Plan, Posy.", lobt Jae Posy sarkastisch und wirft ihr einen finsteren Blick zu.

Plötzlich löst sich ein Mann aus der Menge und grinst uns an. „Ich habe zwar keine Ahnung, was ihr mit den oberen Stockwerken angestellt habt, aber wir werden viel Zeit haben um es herauszufinden." Plötzlich humpelt Claude vor, ihr Blick fest auf den Mann gerichtet. „Claude nicht!", ruft Florence, aber es ist schon zu spät. Der Mann fängt an zu schreien und lässt die Pistole los, die er in der Hand hält. Dann gräbt er seine Hände in sein Gesicht und fällt auf die Knie. Geschockt mustere ich die Szene und bewege mich keinen Zentimeter. Auch die Soldaten stehen still. Ein letzter gellender Schrei entfährt seiner Kehle, dann sinkt er zu Boden. Dabei rutschen seine Hände von seinem Gesicht und geben es die Sicht darauf frei. Ich keuche auf und will mich wegdrehen, aber irgendwie kann ich mich von dem Anblick nicht lösen.

Seine Augen sind vollkommen rot und heraus bahnt sich ein Rinnsal. Man könnte es mit Tränen verwechseln, wenn es nicht so blutrot wäre. Auch aus seine Ohren rinnt Blut. „Was zum Teufel!", flucht Jae und in dem Moment bricht Claude zusammen. Florence kniet sich hin und zieht den Kopf ihrer Schwester auf ihren Schoß. Nun scheint auch wieder Leben in die Soldaten zu kommen. Ich höre das Klicken von Waffen, die entladen werden und Schritte, die durch schwere Stiefel dumpf klingen. Aber meine Aufmerksamkeit gehört immer noch dem Toten. „Hebt die Hände in die Höhe!", brüllt einer der Wachen und tritt auf dem Platz des vorherigen Anführers. Vorsichtig zieht Florence ihre Schwester in die Höhe und trägt sie zu Jae. Überrascht nimmt er Claude von Florence an und trägt sie auf seinen Armen. „Was hast du vor?", zischt Kala zu Florence. Kala ignorierend schreitet sie nach vorne und hebt langsam ihre Arme.

„Ich ergebe mich!", ruft sie. Etwas überrascht nickt der neue Anführer zwei seinen Männern zu, die kommen und Florence packen. Kurz werfe ich einen Blick in die Runde, jedoch starren alle Florence an, weshalb ich mich wieder zu ihr wende. Der Rotschopf geht zwischen den schwarz gekleideten Männern unter. Keine Sekunde später fliegen alle Soldaten durch die Luft. Erschrockene Schreie dringen in mein Ohr und als sie wieder auf dem Boden aufkommen höre ich die brechenden Knochen. Auch die zwei Empfangsleute sind aus ihren Sesseln geschleudert worden. Florence steht einige Meter weiter vorne, mit ausgebreiteten Händen und geschlossenen Augen. Der neue Anführer kniet am Boden, fast direkt neben dem anderen, der durch Claude den Tod gefunden hat.

Langsam öffnet Florence die Augen und starrt ihn an. „Bitte.", fleht er zitternd und mit gefalteten Händen. Ein leichtes Lächeln erscheint auf Florences Gesicht, dann ballt sie ihre Hand zu einer Faust und der Mann sinkt zu Boden. Durch seinen Nacken habe sich Knochen gebohrt, die jetzt aus seiner Haut ragen. Perplex starren wir Florence an, die zu Jae geht, ihm Claude wieder abnimmt und aus der Tür spaziert.

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