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Hier sind viel zu viele Menschen. Wie soll ich ein einziges Mädchen in dieser Masse finden? Und es scheint, als hätte plötzlich jedes Mädchen schwarze Haare. Verzweifelt schwingt mein Blick durch den Raum. Irgendwie bin ich mir sicher, dass hier, in New York, dieses Mädchen aus meinem Traum sein wird. Es muss sein! Warum sonst sollte ich von ihr träumen, kurz bevor ich hierher komme. Auf sie stützt sich meine gesamte Hoffnung. Die Hoffnung, dass sie weiß, was mit mir los ist. Wohin meine Erinnerungen verschwunden sind. Und während ich hektisch jedes Gesicht, welches aus den verschiedenen Ankunftshallen kommt, mustere hallt ihr Name durch meinen Kopf. Posy.

Seit einer halben Stunde kommen weniger Menschen aus den Hallen, da keine großen Flugzeuge gelandet sind. Doch jetzt steht die Ankunft von den Flugzeugen aus London und Sydney kurz bevor. Als ich bemerke, dass das Londoner Flugzeug eigentlich aus Tokio kommt, laufe ich zu dem Gate, wo es ankommt. Meine Spekulierenden sind mehr als wild, denn warum sollte sie ausgerechnet mit diesem Flugzeug heute ankommen? Und was, wenn sie in New York wohnt? Wenn sie eigentlich gar nicht in New York wohnt und das alles nur ein riesen Missverständnis ist? Durch diese Fragen wird mein Enthusiasmus drastisch verkleinert. Denn wie wahrscheinlich ist es, dass sie durch diese Tür spaziert? Werde ich langsam verrückt? Nun ist mein Glaube an den Zufall endgültig begraben und ich drehe mich um. In der Sekunde höre ich die Durchsage, dass das Londoner Flugzeug gerade gelandet ist. "Wenn ich schon Mal hier bin", überlege ich und drehe mich wieder um "kann ich es zumindest versuchen."

Die Türen öffnen sich und dutzende Menschen strömen heraus. Ein Mann mit schwarzem Abzug und Glatze, ein Mädchen mit vielen, roten Locken und rote Sommersprossen, die sich dunkel von der hellen Haut abheben. Daneben schlurft ein Mädchen mit hellen Haaren und ebenfalls Sommersprossen. Die beiden bilden einen komischen und gleichzeitig faszinierenden Kontrast. Weitere Menschen strömen heraus und keiner kommt mir bekannt vor. "Eine dumme Vorstellung, dass sie hier sein könnte!", tadelt meine innere Stimme mich. Und dann, fast als letzte tritt ein junges Mädchen aus dem etwas dunkleren Gang in die hell ausgeleuchtete Halle. Sie ist relativ klein, hat aber noch immer das lange, schwarze Haar. Auch die Augen sind dieselben, jedoch wirken die jetzigen viel müder und leichte Schatten liegen unter ihren Augen. Irgendwie hat sich mein Gehirn ausgemalt, dass sie mit einem Cape kommen würde, was lächerlich ist. Dennoch macht mein Herz vor Freude einen Sprung, denn das etwa zwanzig Meter vor mir ist, da bin ich mir sicher, Posy. Älter und erschöpfter und ohne Cape aber eindeutig das Mädchen das ich suche.

Gerade als ich winken will, erkenne ich einen Mann hinter ihr. Er ist sicher kein Fluggast, denn er eilt aus Posy zu und hat eine Art Funkgerät in seinem Ohr stecken. In diesem Moment höre ich einen Schrei schräg hinter mir. Sofort wirble ich herum und sehe das hellblonde Mädchen mit den Sommersprossen mit einem Beamten ringen. Eigentlich zerrt sie nur an seinem Arm, während er still da steht und sie angewidert mustert. Auch er hat ein Funkgerät im Ohr. Mein Blick schnellt zu Posy und auch sie ist in der Mangel dieses Mannes. Die ersten Menschen werfen verwirrte Blicke zu dem Duo, gehen dann aber schnell weiter. Ich kann mein Gehirn förmlich rattern hören, so sehr suche ich nach einer Antwort für das was gerade passiert. Aber plötzlich sind sie weg. Zwei, drei Mal blinzle ich. Dann reibe ich mir die Augen. Es verändert aber nichts. Der Mann steht nun alleine kurz nach dem Gang und als ich mich umdrehe sehe ich auch Blondie nirgends. Immer und immer wieder schnellt mein Blick zwischen den Männern hin und her, die beide etwas überrascht wirken, aber bei weitem nicht so geschockt wie ich. Und auch als ich mich umblicke sehe ich niemanden, der zwei Mädchen sucht, die gerade eben verschwunden sind. Ich habe mir sie auf keinen Fall eingebildet!

Mit meinen Fingern raufe ich mir durch die Haare und bemerke erst jetzt, dass mein Mund weit offen ist. Schnell klappe ich ihn zu, da jetzt die Menschen mich anstarren. Was soll ich jetzt tun? Herumschreien und fragen, ob ich wirklich der Einzige bin, der das gesehen hat? Wahrscheinlich würden sie mich dann für verrückt erklären. Weil das hier ist das Land in dem alles möglich ist, doch meine Beobachtung geht dann doch zu weit und sie werden mir nicht glauben.

Am Broadway entlangspazierend grüble ich noch immer. Was ist dort passiert und was soll ich jetzt machen? Das Mädchen mit vielleicht all meinen Antworten glitt mir durch die Finger. Und jemand in dieser Stadt zu finden mit nur dem Vornamen der gesuchten Person, ist unmöglich. Nicht der beste Stalker würde sie finden, denn wie viele Leute mit dem Namen "Posy" wird es in New York geben? Dutzende! "So unmöglich wie das Verschwinden von zwei Personen?", schießt es mir durch den Kopf und es sollte meine Hoffnung aufflammen lassen, doch eher das Gegenteil ist der Fall. Langsam habe ich das Gefühl, dass dieser ganze Tripp ein Fehler war. Ich bin in einer riesen Stadt ohne mich auszukennen oder eine Ahnung, was ich jetzt machen könnte. Nicht einmal ein Ticket zurück nach San Francisco habe ich.

Frustriert lasse ich mich auf eine Bank fallen und tauche kurz in die Blinklichter der tausend Reklametafeln ein. Dort sind Bilder von Stars, Getränke und verschiedenen Kleidermarken. Kinoposter und noch mehr Marken. Dazu kommt noch all die Weihnachtsstimmung, was vor allem an dem überdimensionalen Christbaum mitten auf dem Platz liegen muss.

Doch ihr Gesicht taucht wieder aus meiner Erinnerung auf. Das schmale Gesicht, die schwarzen Haare, die ihre Haut nur noch heller erscheinen lässt. Ihre mandelförmigen Augen und ihr erschöpfter Blick. Ein Keuchen lässt mich aufhorchen und aus dem Meer aus Lichtern auftauchen. Ein Mädchen steht etwa zehn Meter von mir entfernt und starrt mich an, als wäre ich aus dem All. Zuerst blicke ich hinter mich. Etwas kitzelt mich an der Wange. Als ich wieder zu dem Mädchen blicke erkenne ich Posy. Für einen Moment bin ich vollkommen eingenommen von Glück und Fassungslosigkeit. Hat mich Fortuna wirklich so gern? Doch ich stocke, als ich die Richtung von Posys Blick bemerke. Sie starrt mich vollkommen entgeistert an.

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