two (l)

67 8 27
                                    

Vorsichtig schleiche ich barfuß über den vom Tau feuchten Rasen. Zwar sieht man die Sonne noch nicht, doch der Horizont leuchtet schon in verschiedenen Farben. Gelb und rot vermischen sich mit hellblau und orange. Vor mir erhebt sich ein Haus mit weißer Fassade und grünen Fensterrahmen. Meine Füße erzeugen das einzige Geräusch weit und breit. Nicht einmal Vögel die den Tag begrüßen, kann ich hören. Plötzlich läuft eine Kaputzengestalt aus dem Haus. Kurz blickt sie nach links und dann nach rechts. Nachdem sie sich versichert hat, dass niemand sie beobachtet verschwindet sie. Erschrocken starre ich den Punkt an, an dem sie gestanden ist. Und dann höre ich ein Kichern hinter mir. Sofort wirble ich herum und sehe sie am Rand des Gartens auf einem Baum sitzen und mit jemanden reden. Langsam nähere ich mit dem Duo, welches mich nicht bemerkt. Laut räuspere ich mich, doch noch immer reden sie als wäre ich nicht hier.

"Hallo?", fange ich nach einer Weile an aber ich bekomme keine Antwort. "Was, wenn sie mich wirklich nicht sehen können?", schießt es mir durch den Kopf. Ist das ein Traum? Wenn ja, warum weiß ich das ich träume? Eine Weile grüble ich darüber nach, komme dann aber zu dem Schluss, dass es vielleicht besser ist, dass sie mich nicht sehen können, denn so kann ich ungestört bei ihrem Gespräch zuhören. Eigentlich ich weiß nicht, was ich eigentlich hier mache oder wer diese zwei Menschen dort oben sind und deshalb ist die Unsichtbarkeit etwas Gutes. "...haben es verdient.", höre ich ein Mädchenstimme, während ich auf dem Baum klettere. "Ich weiß, aber bist du dir sicher, dass niemand anderes im Haus ist?", überlegt ein Junge, der versteckt in den Blättern sitzt und sogar ich kann nur seine Silhouette erkennen. Erst jetzt bemerke ich, dass die Kaputzengestalt das Mädchen ist.

„Vertraust du mir nicht?", faucht sie scharf und deutet drohend mit dem Zeigefinger auf ihr Gegenüber. Dieser hebt schützend die Hände. "Voll und ganz, aber du weißt, dass wir vorsichtig sein müssen." Seufzend lehnt sich das Mädchen gegen den Baumstamm und ihre Kapuze rutscht in ihren Nacken. Darunter kommt ein Gesicht zum Vorschein, das kaum älter als dreizehn ist. Ihre dunkelschwarzen, langen Haare schmiegen sich um ihr schmales Gesicht und durch ihre Augen kann ich auf japanische Wuzeln schließen. Die dunklen Pupillen sind auf das Gesicht des Jungens fixiert. "Wäre es nicht besser, wenn du es erledigst?", meint der Junge besorgt. "Ist das dein Ernst? Einen schnellen Tod haben sie nicht verdient!", knurrt das Mädchen und ich bin geschockt, wie viel Kälte und Verachtung in ihrer Stimme mitschwingt. "Oder hast du etwa Lilly und Alex vergessen?", fügt sie hinzu. "Natürlich nicht!", schnaubt der Junge empört. "Gut. Dann schau, es sollte gleich anfangen.", beendet sie die Diskussion und beide wenden sich dem Haus zu. Auch ich schenke dem Gebäude meine Aufmerksamkeit und genau in dem Moment als ich mich frage, auf was wir eigentlich warten, passiert es. Zuerst höre ich nur einen ohrenbetäubenden Knall. Dann sehe ich drei Rauchsäulen in den einst so schönen und klaren Morgenhimmel aufsteigen. Auch kann ich Flammen sehen, die in einem satten orange langsam über das Dach kriechen.

Mein Blick schnellt zu den Kindern über mir. Das Mädchen mustert grinsend das Haus. "Posy!", keucht der Junge atemlos. "Was?", fragt sie, Posy, gekränkt. "Eine hätte gereicht! So sieht es doch jeder und hier wird in ein paar Minuten die Hölle los sein!" "Du weißt doch das ein paar Minuten mehr als genug Zeit sind um zu verschwinden.", winkt sie ab. "Und wo würde dann da der ganze Spaß bleiben?", fügt sie hinzu und grinst ihn an. "Luc, du bist so ein Angsthase!", stöhnt sie, als sie sein noch immer geschocktes Gesicht sieht. Nun sehe auch ich das Gesicht des Jungen, da das nun lichterloh brennende Haus Licht auf ihn wirft. Doch als ich sein Gesicht erkenne, falle ich fast vom Baum.

Keuchend wach ich auf. Ein paar Minuten brauche ich, um zu realisieren, was ich da gerade gesehen habe. Dann springe ich aus dem Bett und laufe ins Bad. Vorsichtig mustere ich mich selbst. Dieselben haselnussbraunen Haare, die in alle Richtungen abstehen und auch die grünen Augen gleichen sich aufs Detail. Dazu kommt das kantige Gesicht, auch wenn es damals noch etwas runder war. Und der Spitzname von Lucius ist Luc. Jetzt besteht kein Zweifel mehr: Ich bin der Junge aus meinem Traum!

Nervös sitze ich auf meiner Bettkante und starre Löcher an die Wand. Wer war das Mädchen, Posy? Wir schienen uns gut zu kennen. Und wer war in dem Haus, sodass wir es hochgejagt haben? War es überhaupt eine Erinnerung? Dieser Traum wirft noch mehr Fragen auf als ich ohnehin schon durch keinem Kopf schwirren habe. Seit gestern Morgen, als ich in diesem Hotel aufgewacht bin, grüble ich über nichts anderes mehr nach. Zwar habe ich meinen Namen, Lucius Harsen, herausgefunden, als ich meinen Pass in diesem komischen Rucksack fand. Auch mein Geburtsdatum ist mir bekannt.

17.11.2158

Was bedeutet, dass ich 17 bin. Aber sonst weiß ich nichts von mir. Aus unerfindlichen Gründen habe ich all meine Erinnerungen verloren. Ich hoffe, dass mir dieser Flug nach New York ein paar Antworten gibt. Zurzeit bin ich in San Francisco, was mir ein Stadtplan verraten hat. Auch ein Handy habe ich gefunden, jedoch habe ich den Code noch nicht herausfinden können und wie es aussieht werde ich ihn auch weiterhin nicht finden. Ein Buch, "Warum sieht unser Körper so aus?-DNA einmal genauer betrachtet", war auch dabei. Es passt überhaupt nicht in das Gesamtbild, aber vielleicht wollen sie, die mir meine Erinnerungen gestohlen haben, nur, dass ich gute Lektüre mit mir herum trage. Und dann sind da natürlich noch die Zahlen, die in meinem Gehirn herumschweben, so, als hätte ich keine anderen Sorgen.

8263013

Am 15. geht mein Flug. Das heißt ich habe noch vier Tage Zeit um mehr über mich heraus zu finden, um dann zu hoffen dass ich weitere Informationen in New York finde.

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es erst sieben Uhr morgens ist und ich noch schlafen könnte. Also lege ich mich wieder hin und schließe die Augen. Aber sofort erscheint ein Bild von diesem mysteriösen Mädchen auf meinen Lidern. Hat sie denn die Antworten auf meine Fragen?

Da ich mir sicher bin, dass ich doch keinen Schlaf bekommen würde, hieve ich mich aus dem Bett und öffne die Tür. Jetzt kann ich nur noch hoffen, dass das Frühstücksbuffet einen starken Kaffee hat.

forgottenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt