Kapitel 17

106 14 1
                                    

Auf dem Display steht ein anderer Name.
Mein Blut gefriert.

Ray.
Um Gottes Willen, es ist Ray, der mich anruft.
Ich stopfe mir förmlich die Faust in den Mund um nicht los zu schreien. Ich weine. Ich verspüre Angst. Ich bin wieder verloren.
Ich wimmere im Inneren nach Niclas' Hilfe, aber nein. Ich muss es alleine schaffen.
,,Ray", Stelle ich kalt fest, als ich mit zitternder Hand abgenommen habe.
,,Du hast mich weggedrückt", brummt er fest und ich versuche möglichst leise und tief durch zu atmen.
,,Gut erkannt", platzt es mir ohne Überlegung raus und ich lege meine Hand auf den Mund. Viel zu spät. Aber wovor soll ich Angst haben?
Das er hier auftaucht, mich schlägt, fast sexuell missbraucht?
Nein, das hatten wir alles schon. Es ist mir egal. Es tut nicht mehr weh.
Es macht mich nur kaputt, das er mich ständig aus meinen schönen Zeiten reißt, wie ein dummes Kind was einem Schmetterling die Flügel  zerstört.
Er ist nicht mehr in der Lage fort zu fliegen, genau so wenig wie ich.
Aber ich werde versuchen zu gehen, mit meiner letzten Kraft.
Wie lange habe ich mir das schon vorgenommen, aber nie geschafft?
Ich vernehme nur ein Rauschen und Knistern der Leitung auf der anderen Seite.
,,Ray?", Frage ich und nun höre ich ein Atmen, ein schweres Atmen.
,,Du kannst mich mal!", Zische ich nach gefühlten 2 Minuten voll Stille in den Hörer und feuere mein Handy auf einen Sessel in der anderen Ecke meines Zimmers.
Wieso weine ich schon wieder wegen so einem Arschloch? Wieso kriegt er mich immer wieder so weit?
Es sollte nicht mehr weh tun. Nein, dass sollte es nicht.
Aber dennoch tut es weh. Genau bei diesem Gespräch fand ich es schlimm, dass er nicht ausgerastet ist, es ist das, was mir Angst macht.
Diese scheußliche Ruhe. Wie beim Meer, wenn es still liegt. Es ist ruhig, wirkt nahe zu entspannend, aber in Wirklichkeit ist es angsteinflößend, unerforscht und aggressiv.
Unerforscht. Das trifft es. Niemand kann Ray einschätzen. Niemand. Nicht mal ich.
Nach zehn minütigen da sitzen, beschließe ich mich dazu, mich schlafen zu legen. Meine Mutter wird erst in ein paar Stunden Heim kommen, aber ich habe nicht vor so lange zu warten.
Ich stehe vor meinem Kleiderschrank an dem ein Spiegel hängt und betrachte mich, nachdem ich mich umgezogen habe.
Meine Haare sind kurz, ich will sie wieder wachsen lassen, außerdem könnte ich mal wieder mehr make up tragen.
Lange Zeit sehe ich mich einfach nur an, ehe ich mich dann in mein Bett lege und an die Decke starre.
Meine Gedanken kreisen einzig und alleine um Nick.
Wie toll er doch aussieht, und wie er mir zuhört, für mich da ist.
Wie kann so jemand nur existieren, er scheint in meinen Augen einfach zu perfekt zu sein.
Oder übersehe ich Sachen?
Ich kenne nichts aus seinem Leben, aber das was ich von ihm weiß kommt mir einfach nur zu toll vor.
Mein letzter Freund ist nun aber auch kein guter Vergleich.
Doch ich weiß das ich mehr für Niclas empfinde. Ob er auch mehr für mich empfindet?
Bei dem Gedanken an ihn kann ich kaum mehr atmen. Die Erinnerung an die Situation, in der wir uns fast geküsst hatten, schnürt mir förmlich die Kehle zu. Mein Herz macht einen Sprung.
Ich fühle mich so warm, so als würde ich in seinen Armen liegen, doch dann erwache ich und merke das es nur ein Traum war.
Ich bin wohl eingeschlafen.
Im Traum neige ich wohl zu Übertreibungen. Das rede ich mir zumindest ein, wende mich dann meinem Kleiderschrank zu und ziehe mich um.
Auf meinem Handy taucht eine Nachricht auf. Sie ist von Nick.
Mit einem breiten Grinsen öffne ich sie und könnte anfangen vor Freude zu schreien.
Beruhig dich, Emily.
Er will sich mit dir treffen.
Das ist kein Date.
Kein Date.
Oder?
Nein, sicher nicht.
Aber ich freue mich so! Doch ich muss mich zügeln, wenn ich so nervös und aufgeregt bin, bin ich angespannt.
Ich muss locker bleiben. Einfach locker bleiben.
Ist doch ganz leicht.
Leicht.
Ja.
Ich drehe gleich durch. Wieso denke ich so viel nach. Argh.
Während ich die Antwort verfasse, die beinhaltet, das ich große Lust hätte ich zu treffen und mich darauf freue, überlege ich schon wie ich mich schminken würde.
Gestern habe ich ja noch beschlossen mehr Make-Up zu tragen und ich glaube, das tue ich heute auch.
Ein Blick nach draußen verrät mir, dass es windig ist, sprich, ich werde mich etwas dicker anziehen.
Immerhin ist es Herbst. Schätzungsweise 13°C höchstens.
Ich entscheide mich also für einen übergroßen Grobstrickpullover und eine einfache Röhrenjeans.
Eher Basic, aber praktisch und zeitlos.
Im Spiegel streiche ich den Stoff glatt und betrachte meinen Körper dabei, wenn sich der Stoff enger anlegt, wenn meine Hand daran vorbei streift.
Meine Taille könnte schmaler sein, meine Hüfte breiter. 5kg könnten runter.
Aber Nick will sich mit mir treffen, so wie ich bin. Mach dich jetzt nicht selbst runter, Emily.
Nachdem ich mich etwas kräftiger als sonst geschminkt habe und meine Haare aufgelockert habe, damit die großen Locken luftig auf meinen Schultern liegen, gehe ich an mein Handy, schreibe Nick das ich fertig bin und frage was wir machen wollen.
Es sind blaue Haken zu sehen, er hat es gelesen, aber er antwortet nicht.
Woran liegt das? Will er mich jetzt ignorieren? Läuft das so bei ihm? Vielleicht kann ich mich doch nicht so auf ihn verlassen.
Gott, Emily, es ist nur eine Message, kein großes Ding. Er wird schon noch antworten.
Ich setzte mich auf die Kante meines Bettgestells und starre auf mein Handy. Wie eine verrückte warte ich auf eine Antwort, dabei sind erst 2 Minuten vergangen.
Er wird schon noch schreiben.
Als mein Blick zu meinem Spiegelbild wandert, lache ich über mich selbst. Ich bin echt total unentspannt.
Um mich also etwas abzulenken, greife ich nach dem Haarspray und fixiere erneut meine Locken. Das Klingeln der Haustür lässt mich zusammen zucken.
Meine Mutter schläft, dass weiß ich.
Oh nein.
Es muss Ray sein.
Meine Brust zieht sich zusammen.
Keinen Schritt wage ich und es klingelt erneut.

DrunkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt