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Als Gwyneth am nächsten Morgen aufwachte, lächelte sie. Bain lag neben ihr und hatte einen Arm um ihre Taille gelegt. Vorsichtig hob sie diesen Arm hoch, um ihn nicht aufzuwecken, doch da schlug Bain auch schon die Augen auf. ,,Guten Morgen", sagte sie lächelnd. ,,Morgen", wiederholte Bain noch etwas verschlafen. Gwyneth kicherte leise. ,,Gut geschlafen?", fragte Bain und setzte sich auf. ,,Letztendlich schon", antwortete Gwyneth lächelnd, ,,Dank dir." ,,Na da bin ich aber erleichtert", sagte Bain ebenfalls lächelnd. ,,Weißt du, was wir unbedingt wiederholen müssen?", fragte Gwyneth dann. Bain spielte den Unwissenden und schüttelte den Kopf, konnte sich ein Grinsen aber nicht verkneifen. ,,Das hier", sagte Gwyneth und küsste ihn sanft auf die Lippen. Bain erwiderte den Kuss und lächelte in ihn hinein. Ein leises Räuspern ließ sie auseinander fahren. Erschrocken sahen sie zur Tür, in der Sigrid stand und sich ein Grinsen nicht hatte verkneifen können. ,,Ich will euch eigentlich gar nicht stören", begann sie, ,,Das ist nämlich total süß. Aber vor der Tür steht jemand, der Gwyneth zum Waldkönig bringen soll." Etwas ängstlich sah Gwyneth zu Bain. Den Elbenkönig hatte sie total vergessen. ,,Ich komme mit dir", sagte Bain und nahm ihre Hand.
Kurz darauf standen sie vor der Tür des kleinen Raumes, vor der ein Elb wartete. ,,Mein Herr Thranduil verlangt, mit Euch zu sprechen", sagte der Elb zu Gwyneth. Sein Blick schweifte kurz zu Bain. ,,Alleine", fügte er noch hinzu. ,,Entweder, Bain kommt mit mir, oder Euer Herr kann noch lange auf mich warten", gab Gwyneth zurück. Schließlich gab der Elb nach und führte sie beide zu einem großen Zelt, welches etwas abseits aufgebaut worden war. Vor einem der zwei Eingänge bedeutete er ihnen, kurz zu warten, was sie auch taten. ,,Versprich mir, dass du nichts dummes tust", sagte Gwyneth leise zu Bain, ,,Du weißt, was ich gestern gesagt habe: Ich lasse es nicht zu, dass du nur wegen mir auch bestraft wirst." ,,Ich versuche es", entgegnete Bain, ,,Aber versprich du mir, ihn, wenn möglich nicht zu sehr auf die Palme zu bringen." Gwyneth nickte und umarmte Bain kurz. Dann löste sie ihre Hand sanft aus seiner. Fragend sah Bain sie an. Er verstand nicht ganz, warum sie das tat. ,,Es ist besser, wenn er es nicht weiß", erklärte Gwyneth flüsternd, da sie wusste, wie gut Elben hörten, ,,Oder es zumindest nicht gleich sieht. Sonst könnte er es gegen mich verwenden. ... Wer weiß, zu was er fähig ist." Der Elb kam wieder aus dem Zelt zu ihnen. ,,König Thranduil erwartet Euch", sagte er, ,,Eure Begleitung darf Euch begleiten, allerdings nur sprechen, wenn er dazu aufgefordert wird." Gwyneth und Bain nickten und der Elb hielt ihnen den Zelteingang auf. Sie betraten das große Zelt. Gwyneth wurde immer nervöser. König Thranduil saß auf einem großen Stuhl, der wie ein "Reisethron" wirkte. Beide verbeugten sich. ,,Erhebt euch", sagte Thranduil und sie folgten seiner Aufforderung. Kurz musterte er sie beide. Dann wandte er sich an Bain. ,,Du setzt dich", befahl er und deutete auf einen Hocker, ,,Und bist still wie ein Grab." Bain nickte und setzte sich auf den Hocker. Thranduils Blick schweifte wieder zu Gwyneth. ,,Dass du mir noch so viel Respekt entgegenbringst und dich verbeugst, habe ich nicht erwartet", sagte er schließlich halb im Spott, halb im Ernst, während er sich von seinem Stuhl erhob, ,,Dir ist klar, warum du hier bist?" ,,Ja", antwortete Gwyneth knapp. ,,Gut. Das spart unnötige Erklärungen", meinte Thranduil und tigerte um sie herum. ,,Noch bin ich nicht ganz schlüssig, wie ich dich bestrafen soll", sagte der König schließlich, ,,Da ich dich nicht in meinen Kerker werfen kann." ,,So wie die Zwerge", murmelte Gwyneth, ihrer Meinung nach so leise, dass es noch nicht einmal ein Elb hätte hören können. Doch da hatte sie sich geirrt. ,,Ja, genauso wie die Zwerge", wiederholte Thranduil, ,,Nur dass kein Halbling die Schlüssel für dich stehlen könnte." Noch einmal musterte er sie. ,,Wie ich mittlerweile weiß, warst du die Dienerin des Bürgermeisters", sagte er und blieb vor ihr stehen, ,,Doch leider liegt dieser nun begraben unter einem toten Drachen im Langen See. Mir scheint, er war relativ zufrieden mit deiner Arbeit, sonst hätte er dich wohl kaum so lange bei sich arbeiten lassen." ,,Er war nie zufrieden", entgegnete Gwyneth und sah zu dem Elb auf, der eineinhalb, wenn nicht sogar zwei, Köpfe größer war wie sie, ,,Er hat mich nur nicht rausgeworfen, weil er niemand anderen für die Arbeit gefunden hat." ,,Und dennoch scheinst du eine relativ gute Arbeitskraft gewesen zu sein...", gab Thranduil zurück, ,, ...Ich glaube, ich habe eine angemessene Strafe gefunden: Du wirst mir ein Jahr lang dienen." Ein arrogantes Lächeln lag auf seinen Lippen. Gwyneth starrte ihn kurz an. Das konnte er doch nicht ernst meinen. ,,Nein", brachte sie schließlich entschlossen hervor. ,,Wie bitte?", fragte Thranduil und seine Augen verengten sich. ,,Nein, ich werde Euch sicher nicht dienen", sagte Gwyneth. ,,Ich glaube kaum, dass du dich gegen mein Wort erheben kannst", entgegnete Thranduil ruhig, ,,Ich bin ein König, du nur ein einfaches, naives Mädchen." ,,Ich gehöre nicht zu Eurem Volk", gab Gwyneth schon etwas wütender zurück, ,,Und eigentlich dachte ich, dass Ihr es nicht leiden könnt, wenn sich jemand in Eurem Reich befindet, der nicht Eurem Volk angehört. Und zudem bin ich ganz und gar nicht naiv." Thranduil lachte kurz auf und lief hinter sie, während er sprach. ,,Aufsässig und standhaft", sagte er, ohne seinen Blick von ihr zu wenden, ,,Hinter einer schwachen Schale verbirgt sich ein starker und kämpferischer Kern. Und zudem bist du für eine Menschenfrau ungewöhnlich schön." Von hinten beugte er sich zu ihr. ,,Ich muss zugeben: Das gefällt mir", sagte er, gerade noch so laut, dass Bain es ebenfalls hören konnte. Gwyneth war durch sein, etwas eigenartiges, Verhalten ein bisschen verwirrt. Wollte er sie jetzt mit süßen Worten locken, nur um ihr dann eine saftige Strafe zu geben. Auf die Masche mit Zuckerbrot und Peitsche würde sie sicher nicht hereinfallen. ,,Ich dachte, Ihr hasst mich?", sagte sie dann. Thranduil richtete sich wieder auf und schritt neben sie, seinen Blick starr geradeaus gerichtet. ,,Hass kann man es nicht wirklich nennen", sagte er, ,,Es ist mehr eine...Abneigung gegen einige deiner Charakterzüge." Gwyneth zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Sollte sie ihm das wirklich glauben? ,,Nun zurück zu deiner Strafe", sagte der Elb schließlich und sah sie wieder an. ,,Ich werde Euch nicht dienen. Nicht in meinem ganzen Leben", sagte Gwyneth bestimmt, ,,Denn ich würde es noch nicht einmal einen weiteren Tah bei einem arroganten Elben, der aber mehr einer lebendigen Eisstatue gleicht, aushalten." ,,Wie kannst du es wagen, soetwas zu behaupten!", fuhr Thranduil sie wütend an. ,,Ich behaupte es nicht", gab Gwyneth nun ebenfalls wütend zurück, ,,Ich spreche die Wahrheit." Thranduil starrte sie kurz an. Dann beugte er sich zu ihr nach unten. ,,Wie kann Etwas so schönes nur so unantastbar sein?", sagte er und strich ihr über die Wange. Sein Blick schien weicher geworden zu sein. ,,Es ist wahrlich eine Schande. Du könntest so viel erreichen, allein durch deine Schönheit.", sprach er weiter. Gwyneth wurde das Verhalten des Elbs langsam unheimlich. Erst wollte er sie bestrafen und jetzt flüsterte er ihr süße Worte zu. Sie schlug seine Hand weg, die noch immer an ihrer Wange ruhte. ,,Fasst mich nicht an", zischte sie. Augenblicklich vereiste sein Blick wieder und er richtete sich auf. ,,Wie du willst", zischte er zurück, ,,Ich habe dir mehr als genug Möglichkeiten gegeben, einer solchen Strafe zu entgehen. ... Ein Jammer, etwas so schönes zu schänden, doch du wolltest es so!" Er hob die Hand, um sie zu schlagen, doch Bain hielt ihn auf. Auch ihm war das Verhalten des Elbs nicht geheuer und als er Gwyneth über die Wange gestrichen hatte, wäre er fast aufgesprungen. Aber er hatte sich mit großer Mühe zurückgehalten. Doch jetzt konnte er einfach nicht zusehen, wie Thranduil Gwyneth schlug. ,,Tut ihr nicht weh!", rief er und sprang auf. Thranduil stoppte, noch bevor seine Hand auf Gwyneth' Wange traf, und sah wutentbrannt zu Bain. ,,Habe ich mich etwa unklar ausgedrückt oder hörst du schlecht", fuhr Thranduil Bain an, ,,Ich sagte du sollst schweigen wie ein Grab." ,,Ich kann nicht zulassen, dass Ihr ihr wehtut", entgegnete Bain. ,,Ach nein? Dürfte ich den Grund erfahren?", fragte Thranduil und ließ seine, zum Schlag erhobene, Hand sinken. Gwyneth schüttelte den Kopf, aber Bain sah sie nur entschuldigend an. ,,Weil ich sie liebe", sagte er dann. Thranduil schwieg kurz und starrte Bain an. ,,Geh mir aus den Augen!", fauchte er schließlich, ,,Raus aus meinem Zelt!" Bain ging, mit einem entschuldigenden Blick zu Gwyneth, zum Zelteingang. ,,Bain", rief Gwyneth, rannte zu ihm und küsste ihn, noch bevor er das Zelt verlassen konnte. ,,ICH SAGTE VERSCHWINDE!!!", donnerte Thranduil, der offenbar kurz davor war, die Fassung komplett zu verlieren, und griff nach seinem Schwert. ,,Geh", sagte Gwyneth und Bain verließ das Zelt. Gwyneth sah ein bisschen ängstlich zu Thranduil. ,,Was wisst ihr Menschen schon von Liebe?", fragte Thranduil und spuckte das Wort Liebe aus, wie einen Pflaumenkern, ,,Vor allem in so jungen Jahren." ,,Mehr als Ihr", entgegnete Gwyneth, ,,Ihr wisst nur, wie man Leute ausschließt und ihnen klar macht, dass sie nichts wert sind. Ihr kennt keine Liebe, nicht einmal ein klein wenig Zuneigung. Langsam frage ich mich, wie sich Euer Sohn fühlt. Jeden Tag in dem riesigen Palast, doch keine einzige Geste der Zuneigung. Das muss schlimm sein." ,,Lass Legolas aus dem Spiel", zischte Thranduil, ,,Er hat nichts damit zu tun. Und nur damit du es weißt: Ich kenne Liebe. Mehr und besser als irgendjemand sonst." Gwyneth lachte bitter auf. ,,Und das soll ich Euch glauben?", fragte sie, ,,Vergesst es. Ihr wisst nicht was Liebe ist, denn sonst wärt Ihr nicht so kalt und verschlossen. Und falls Ihr doch jemals das Gefühl von Liebe gekannt habt, dann muss etwas wirklich schlimmes passiert sein, dass Euch zu dem gemacht hat, was Ihr jetzt noch immer seid." Thranduil schwieg, was Gwyneth sehr erstaunte. Erst jetzt bemerkte sie, dass sein Blick starr geradeaus ging, er aber durch alles im Zelt hindurchzuschauen schien. Wie als schwelge er in Erinnerungen. Und dann, ganz plötzlich, sah sie eine einzelne Träne, die seine Wange hinunterkullerte. ,,Mein Herr...?", brachte Gwyneth zögernd hervor. Thranduil zuckte ein wenig, als hätte sie ihn aus seinen Gedanken gerissen. Erst jetzt schien er die Träne zu bemerken. Mit zwei Fingern wischte er sie fort und sah kurz, beinahe ungläubig, auf seine, nun nassen, Fingerspitzen, als wüsste er nicht, was Tränen waren. Doch dann sah er zu Gwyneth und Wut flammte in seinen Augen auf. Mit zwei großen Schritten stand er vor ihr und hielt ihr die scharfe Klinge seines Schwertes an die Kehle. ,,Du...", setzte er an, ,,Wage es nicht noch einmal, so von mir zu sprechen. ... Geh! Bevor ich von meinem Schwert Gebrauch mache!" Das ließ Gwyneth sich nicht zweimal sagen und stürmte regelrecht aus dem Zelt. Draußen stieß sie fast mit Bain zusammen, der dort auf sie gewartet hatte. ,,Hat er dir wehgetan?", fragte Bain sofort. Gwyneth schüttelte den Kopf und erzählte ihm, was passiert war, nachdem er gegangen war. ,,Eigenartig", meinte Bain, ,,Erst ist er so, wie du ihn mir beschrieben hast, dann flüstert er dir süße Worte zu, wird wütend, weil ich den Mund aufmache, vergießt eine einzelne Träne und verliert dann komplett die Fassung." ,,Wirklich eigenartig", stimmte Gwyneth ihm zu, ,,Aber jetzt, nachdem er diese Träne vergossen hat, sehe ich ihn irgendwie mit anderen Augen. Er ist nicht ohne Grund so wie er ist. Ich glaube, hinter seiner kalten Art versteckt er eine gebrochene Persönlichkeit und hinter seiner Arroganz seine eigene Unsicherheit." ,,Du könntest recht haben...", meinte Bain, ,,Aber jetzt lass uns sehen, wo wir helfen können."

Die Diebin von EsgarothWo Geschichten leben. Entdecke jetzt