Sieben

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Sofort schießt mir das Blut in den Kopf. Auf einmal wird mir gleichzeitig heiß und kalt und mein ganzer Körper fühlt sich an, als würde er aus Pudding bestehen. Ein paar Sekunden lang spüre ich Julies weiche, glatte und süße Lippen auf meinen, bevor sie sich von mir löst.

Manuela und Nicole sehen uns entsetzt an. Meine Wangen kribbeln und meine Hände zittern nervös. Um auch nur irgendwas tun zu können, wische ich ein paar Tröpfchen Wein mit dem Handrücken von meinen Lippen. Das Schweigen ist beinahe erdrückend, im Hintergrund dudelt ein Song von Madonna.

Dann durchbricht lautes Lachen die Stille. Es ist Julie, die mich kichernd ansieht. „Eure Gesichter hättet ihr sehen sollen! Das war großartig!" Sie legt mir eine Hand auf die Schulter. „Sorry, Alexa, ich wollte dich nicht... erschrecken. Alles ist gut, das war nur Spaß."

Zögernd beginnen Manuela und Nicole zu lachen, und auch ich stimme nervös mit ein. Julie verunsichert mich extrem. Zuerst gibt sie mir ihre Nummer, ohne einen richtigen Grund dafür zu haben. Dann lädt sie mich einfach so ins Kino ein und danach auch auf ihre Silvesterfeier. Ich weiß einfach nicht, was ich von ihr halten soll. Vor allem nicht nach diesem Kuss. Hat sie es wirklich nur getan, um uns zu ärgern?

Ich fühle mich schlecht, als mir der Gedanke kommt, dass sich eventuell eine Frau in mich verliebt haben könnte. Nicht, dass ich etwas gegen Lesben hätte, ihre Liebe würde einfach nur unerwidert bleiben. Ich habe Simon, und ich liebe nur ihn.

Dieser Teil von mir versucht daran festzuhalten, dass Julie das nur aus Spaß macht. Dass sie einfach einen ungewöhnlichen Humor hat, den ich nicht verstehe. Dieser Teil besteht darauf, dass Julie, die in der Männerwelt gar nicht unbeliebt sein kann, sicher heimlich auf irgendeinen Typen steht.

Irgendwo in mir ist noch ein anderer, viel kleinerer und schwächerer Teil. Und der will Julie umarmen und sie noch einmal küssen.

Kaum ist mir dieser Gedanke gekommen, schiebe ich ihn wieder von mir. Ich habe Simon. Ich liebe ihn und er mich, wir sind seit über drei Jahren zusammen. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, eine Liebschaft mit einer Frau zu haben.

Die Stimmung ist seltsam verklemmt. Nicole erzählt von irgendwelchen Dingen, die ihr Hund letzte Woche getan hat, Manuela lacht darüber und Julie ist dabei, den Tisch abzuräumen und neuen Sekt zu holen. Ich erwische mich dabei, mich innerlich zu fragen, woran sie gerade denkt.

Sie setzt sich wieder neben mich und sieht mir in die Augen. „Alles okay?", fragt sie besorgt und sieht mich aus ihren stahlgrauen Augen an. „Du bist so blass, was ist los?"

„Ähm, nein, alles ist gut, ich hab nur ein bisschen viel Wein gehabt, glaube ich", murmele ich und sehe auf mein leeres Glas hinab. Meine Wangen kribbeln noch immer und ich bin bestimmt tomatenrot.

Julie greift nach der Flasche auf dem Tisch und dreht sie wieder. Dabei sieht sie mich immer noch an. Ich zwinge mich, zu lächeln. Sie soll sich keine Sorgen um mich machen, sondern einfach wieder lachen.

Der offene Flaschenhalt zeigt auf Nicole. „Wahrheit! Wahrheit!", ruft sie aufgeregt wie ein kleines Kind. Julies graue Augen funkeln vergnügt.

„Mir fällt echt nichts ein! Ich habe keine Ahnung. Kannst du dir nicht selber was ausdenken?" Warum sieht sie dabei mich an? Ich mustere ihre kleine Narbe auf der Stirn. Sie sieht röter aus als letztens, als wir im Kino waren.

Das Spiel zieht an mir vorbei. Ich sage kaum etwas und erwische mich immer wieder dabei, wie ich zu Julie sehe und an ihren Kuss denke. Innerlich bin ich sehr verwirrt, bin mir nicht sicher, warum ich daran denke. Es ist bloß Julie. Ich kenne sie erst seit ein paar Tagen. Außerdem habe ich einen Freund, den ich über alles liebe. Der ganze Abend ist verwirrend und seltsam.

Um Mitternacht zieht uns Manuela nach draußen auf den Balkon, damit wir uns das Feuerwerk ansehen können, das auf einem großen Feld in Stadtnähe veranstaltet wird.

Es ist das verwirrendste Silvester, das ich je erlebt habe.

JulietWo Geschichten leben. Entdecke jetzt