Etwas besorgt musterte ich ihn, in den letzten Wochen hatte der Ärmste kaum Schlaf bekommen. Aber mal ehrlich - Wer in unserem Alter konnte das schon von sich behaupten?

Auch ich lag nicht selten stundenlang wach, meine üblichen Nachtgedanken plagten mich und raubten mir die Erholung, die ich doch so dringend nötig hatte.

Meine üblichen Nachtgedanken. Keine Ahnung worüber sich normale Teenager so den Kopf zerbrachen, meine Ängste und Zweifel drehten sich jedenfalls jede Nacht aufs Neue um meine Eltern.

Nicht, weil sie mir Hausarrest erteilt und wir uns gestritten hatten.

Nicht, weil sie sich wegen meinen schlechten Noten über meine Zukunft Sorgen machten.

Nicht, weil sie mich zwangen, meine Großmutter zu besuchen.

Nicht, weil ich mein Zimmer nicht aufgeräumt hatte.

Nein.

Sondern weil sie tot waren und ich sie vermisste - scheiße - weil ich sie so schmerzlich vermisste. Besonders in diesen stillen Stunden der Einsamkeit, in denen mein Wimmern niemand hören und meine Tränen niemand sehen konnte.

Ich hasste es vor anderen zu weinen, mir den Schmerz anmerken zu lassen.

Doch wer mochte das schon.

"Es reicht jetzt, wir müssen raus hier!", rief ich übermotiviert und fing an, an den klapprigen Armen meines abgeneigt guckenden besten Freundes zu ziehen. Wo früher Muskeln gewesen waren, sah ich nun lediglich Knochen.

"Wohin?", wiederholte Sirius stur.

"Wir müssen noch Schulsachen kaufen, schon vergessen?", meinte ich ohne zu überlegen und zog mir meine Lederjacke über. "Die Zeit läuft uns davon, der Hogwarts Express fährt schon übermorgen. Denk nur an die alte Mcgonagall, die dreht doch durch, wenn wir da ohne Bücher aufkreuzen! Liebeskummer zählt bei der sicher nicht als Ausrede."

Sirius rang sich ein schwaches Grinsen ab. "Hast Recht", gab er stumpf zurück. "Und du als neuer Schulsprecher darfst auf keinen Fall negativ auffallen, das wäre ja fatal!"

Das war schon mehr der Sirius, den ich kannte. Den Sirius, den ich meinen besten Freund nennen konnte.

Binnen weniger Sekunden waren wir in die Winkelgasse appariert und mischten uns rasch in die Masse, die uns direkt zu den Läden trieb. Es waren keine Worte nötig, damit Sirius und ich gleichzeitig Qualitäten für Quidditch  ansteuerten. Das Fachgeschäft für unseren Lieblingssport, das allerdings bereits ziemlich überfüllt war mit aufgeregt schnatternden Hogwartsschülern.

Mit einem schlechten Gewissen, das angesichts der hohen Preise nur noch wuchs, dachte ich daran, dass Mum und Dad bestimmt nicht gewollt hätten, dass ich ihr reiches Erbe für einen schnelleren Besen ausgab. Die meisten jungen Hexen und Zauberer liebten diesen Laden, doch die meisten verließen ihn auch wieder, ohne etwas zu kaufen.

Ganz anders war das bei Sirius und mir.

Keiner von uns beiden hatte Geldsorgen, da jeder von uns aus einer mehr oder weniger angesehenen, auf jeden Fall aber alten und vermögenden Familie stammte.

Was für ein dummes Klischee, dass nur Mädchen sich glücklich shoppten, dachte ich, als wir dreißig Minuten später im mittaglichen Sonnenschein auf die Straße traten, jeder eine große Tüte in der Hand.

Schief grinsend drehte ich mich zu Sirius um und ging ein Paar Schritte rückwärts, als ich es hörte. Ihre Stimme. Schon wieder.

"Erstklässler dürfen keinen Besen besitzen, das steht in der Schulordnung. Hey, das habe ich genau gesehen, mach das nicht noch mal! Ehrlich, Marlene, was ist nur mit den Kindern von heute los? So waren wir doch damals nicht, oder?"

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