Frühstück in London

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Lily P. o. V.

Mit einem freudigen Gesichtsausdruck riss ich die Haustür auf und lächelte strahlend, als ich Marlene erblickte. Juchzend fielen wir einander in die Arme.

"Ich hab dich vermisst!", lachte sie übermütig. Ihre Stimme kitzelte in meinem Ohr und ihr blondes Haar roch wie immer nach Rosen. Dieser vertraute Geruch war der Beweis dafür, dass es wahr war - Marlene und ich sahen uns tatsächlich wieder, nach so langer Zeit!

Wir lösten uns voneinander, beide ein breites Grinsen im Gesicht.

"Wie war es in Frankreich?", fragte ich schmunzelnd, während ich ihr half, das Gepäck nach oben zu bringen. "Großartig!", antwortete sie. "Eine Menge süße Jungen!"

"Oh bitte!", rief ich entsetzt auf und tat, als würde ich mir peinlich berührt die Augen zuhalten müssen. Marlene war die ganzen Ferien über in Frankreich bei ihrer Mutter und deren neuem Freund gewesen. Da dieser ein unwissender Muggel war, hatte sie auf den ausdrücklichen Wunsch ihrer Mum hin das Flugzeug nehmen müssen.

"Und bei dir so? Ist das Walross noch da?", erkundigte sie sich neugierig. "Und wie! Dicker denn je nimmt er tagtäglich den Platz auf unserem Sofa ein", sagte ich mit einem düsteren Blick.

In dieser Sekunde erschien das so ungleiche Paar am oberen Ende der Treppe. Beim Anblick der schönen Marlene fielen Vernon fast die Augen aus dem Kopf. Erst als Petunia ihn bissig und mit verschränkten Armen darauf hinwies, dass meine Freundin genauso "abnormal" sei wie ich, fing er sich wieder und bemühte sich verzweifelt, ihre verächtliche Haltung nachzuahmen. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, uns mit offenem Mund nach zu starren.

Auch wenn er über den IQ einer zerquetschten Erbse verfügte, so müsste er doch blind sein, wenn er Marlene nicht bewundert hätte. Sie war über den Sommer noch hübscher geworden, falls das überhaupt möglich war.

Ihre wenigen Pickelchen waren endgültig verschwunden, ihre feinen Gesichtszüge kamen besser zur Geltung und die französische Sonne hatte ihr eine bewundernswerte Bräune verpasst.

Fast neidisch sah ich zu, wie ihre durchtrainierten, schlanken Beine die Treppe vor mir hoch hüpften und dachte wehmütig an mein eigenes Bauchfett.

Meinem Körper fehlte die Bewegung. Ich wollte wirklich nicht jammern, das war nicht meine Art. Aber ich konnte nicht bestreiten, dass ich seit dem letzten Sommer fünf Kilos zugenommen hatte.

In meinem Zimmer ließen Marlene und ich uns kichernd auf mein Bett fallen und starrten an die Decke. "Ich freue mich wirklich, dass du hier bist", sagte ich und drückte ihre Hand. Marlene lächelte.

"Deine Schwester hat jetzt also einen Freund", stellte Marlene spöttisch fest. "Zu diesem Fang gratuliere ich ihr aber recht herzlich!" Der Sarkasmus in ihrer Stimme war kaum zu überhören. "Oh ja", ging ich ganz ernst darauf ein. "Es freut mich, dass du dich so begeistert zeigst. Wahrlich eine Meisterleistung!"

Marlene kicherte ausgelassen und ich stellte fest, wie sehr ich das vermisst hatte.

"Hast du über die Ferien etwas von Alice gehört?", wollte sie wissen und legte ihren Kopf auf ihre Hand. Ich schüttelte den Kopf und bemühte mich erfolglos, nicht allzu betrübt deswegen auszusehen. "Nee", meinte ich und schluckte schwer. "Sie ist doch mit Frank nach Schottland gefahren."

Alice fehlte mir. Genau wie Mary.

Es waren nur noch Marlene und ich da und - scheiße - es fühlte sich falsch an.

Unvollständig.

Fehlerhaft.

Als wären Mary und Alice nur kurz weg, im Urlaub oder so. Nun, im Fall von Alice stimmte das ja auch, allerdings würde sie nach ihrer Reise nicht zu mir und Marlene zurückkehren.

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