Kapitel 25: Zufallstherapie und offene Geständnisse

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Ich atmete tief ein, bevor erneut Tränen in meinen Augen aufkamen, die ich mir schnell wegwischte. Die Zeit reichte nicht, um mich meinen eigenen Gefühlen zu stellen, erst einmal musste ich die von Jade davon abhalten, sie zu ihrer liebsten Verarbeitung von Schmerz zu bringen: Trinken. 

Kurzerhand stürmte ich zu der Garderobe, zog mir eine Jacke an und rannte an meinen Eltern vorbei zur Haustür. "Macy..." Das war alles, was ich in all der Eile mitbekam, die weiteren Worte wurden von der Tür, die ich zwischen sie und mich schob, erstickt. Während ich zur nächsten S-Bahn-Haltestelle lief, mutierte mein Gedankenverlauf von "Jade, bitte mach das nicht..." zu "Jade, bitte sei noch am Leben!". Ob ich dadurch ruhiger wurde? Definitiv nicht! Kaum saß ich auf einem der billigen Sitze aus Plastik, wurde mein Atem schneller und unregelmäßiger. Ich fühlte Panik in mir aufsteigen, wie eine kleine Flamme, die sich rasend schnell zum Inferno ausbreitete. Wie ein Schwarm von wilden Glühwürmchen rasten die Gedanken durch meinen Kopf, mein Blickfeld wurde durch eine Art weißen Nebel umhüllt, bis... Bis eine fremde Stimme neben mir erklang. 

"Ruhig durchatmen. Atmen sie tief ein..." Ich wusste nicht, warum ich es tat, gehorchte aber trotzdem. Irgendwoher kannte ich die Strategie. "...und wieder aus. Wiederholen sie diesen Prozess bitte zehnmal." Die Stimme der Frau neben mir hörte sich bestimmt an, aber gleichzeitig konnte ich erkennen, dass deutliches Verständnis darin mitschwang. Als ich alles getan hatte, was die Frau von mir verlangt hatte, legte sich der Schleier. Ich wischte mir meine Tränen weg, um zu sehen, was ich erst verschwommen wahrgenommen hatte: Neben mir saß eine brünette, durchschnittlich große Frau, in einem Kleid mit Blumenaufdruck, die ich auf das Alter meiner Mutter schätzte, vielleicht sogar ein bisschen jünger. Sie musterte mich eingehend, bevor sie mich besorgt ansah. "Besser?" Ich nickte. "Woher..." "Alter Therapeutentrick." Als ich das hörte, musste ich wieder Jade denken und lächeln. Daher kannte ich es... "Ich kannte ihn schon vorher, aber..." "...aber du warst zu panisch, um daran zu denken." Sie blickte mich fragend an. "Ich kann doch du zu dir sagen, oder?" Ich nickte und strich mir lächelnd eine Träne von der Wange. "Ja, das ist um einiges lieber als Siezen." 

"Geht mir auch so. Vermutlich habe ich mich deswegen auf Kinder spezialisiert." Ich schaute sie verwirrt an, woraufhin Erkenntnis in ihre Augen trat und sie laut lachte. "Oh, Entschuldigung! Jetzt weiß ich, wie sich das für dich angehört haben muss. Nimm meine Visitenkarte und du wirst sehen, dass es nicht so ist, wie du glaubst." Die Frau hielt mir eine Pappkarte hin, die ich eingehend musterte, bevor ich schmunzelnd vorlas. "Frau Lisa-Marie Schann, Psychotherapie für Kinder."  Ich schaute zu ihr auf und gespielt skeptisch beide Augenbrauen. "Kann ich das Diplom sehen?" Die Frau lachte. "Momentan leider nicht, aber in meiner Praxis hängt es im Flur."

"Woher soll ich wissen, dass das nicht ein weiterer Versuch ist, mich zu entführen?" Erwiderte ich scherzhaft, woraufhin sie mit den Schultern zuckte. "Du musst mir nun eben mal vertrauen. Meine Telefonnummer steht drauf, falls du Interesse an Therapiestunden hast. Panikattacken kommen bei Teenagern übrigens genauso oft vor wie bei Erwachsenen. Solltest du kein Interesse haben, dann behalte bitte diese Übung im Kopf. Sie kann dir noch öfters helfen." Die braunen Augen der Frau blickten mich aufmunternd an, bevor sie zu dem Bildschirm über uns wanderten, der die nächsten drei Haltestellen anzeigte und dann wieder mich. "Kommst du soweit alleine zurecht?" Fragte sie, woraufhin ich nickte. "Gut...denn meine Haltestelle kommt bald. Wohin geht es für dich?"

Erst jetzt wurde mir klar, dass ich ohne Plan unterwegs war und komplett nicht wusste, wo Jade steckte. "Keine Ahnung." Antwortete ich ehrlich. "Meine Freundin, sie ist..." In diesem Augenblick unterbrach mich das laute Klingeln meines Handys. Sobald ich auf den Screen schaute und vier aufleuchtende Buchstaben unter einem von ihm selbstgemachten Bild, auf dem er die Zunge rausstreckte - und meiner Meinung nach so aussah, als würde er sich übergeben - entdeckte, bildete sich sofort ein Lächeln auf meinem Gesicht: Luke! 

My Frenemy (GirlxGirl)Where stories live. Discover now