Auswahlverfahren

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London, 2005

„Louise, es gibt gleich Mittagessen." Anne steckte den Kopf in mein Zimmer, nur um mich auf dem Bett liegend vorzufinden, an die Decke starrend.

„Ich komme gleich", antwortete ich leise. Sie bemerkte, dass ich nicht so fröhlich und ausgeglichen war wie sonst immer und setzte sich zu mir.

„Was ist denn los?" Anne war für mich mehr als eine Betreuerin, sie war meine beste und auch einzigste Freundin hier im Waisenhaus. Sie war immer für mich da, wenn ich sie brauchte.

„Ich habe Angst vor den Leuten die morgen zu uns kommen." Meine Lehrerin, die uns immer einzeln unterrichtete, hatte mir gesagt, dass morgen Leute kommen würden, die ein Kind mit zu sich nach Hause nehmen wollten.

„Aber warum denn, Schätzchen? Das sind bestimmt ganz nette Leute. Wir würden einen von euch doch nie an eine Familie abgeben, die nicht gut zu euch ist."

„Ich habe Angst. Ich will nicht, dass sie mich von hier mitnehmen." Ich hatte Tränen in den Augen. Ich konnte mir nicht vorstellen, einfach so zu fremden Leuten zu gehen und dort zu leben.

Anne legte behutsam ihre Hand auf meinen Kopf.

„Sie werden sich hier erst mal umschauen, es ist gar nicht sicher, dass sie überhaupt ein Kind adoptieren möchten. Aber eins kann ich dir versprechen: wenn du sie nicht magst, musst du auch nicht mit ihnen mitgehen, dafür werde ich sorgen." Ich lächelte sie dankbar an.

„Kommst du jetzt mit zum Essen?" Ich nickte und sprang vom Bett auf.

~~~

„Verhaltet euch anständig, diese Leute wollen keine kleinen Bengel, die ihnen die Haare vom Kopf fressen und auch noch alles verschmutzen!" Die Direktorin des Waisenhauses stand vor den versammelten Kindern und gab Anweisungen, wie wir uns zu verhalten hatten, wenn die Besucher kamen.

Keiner traute sich, auch nur einen Laut von sich zu geben. Normalerweise war die Direktorin, Misses Greek, etwas freundlicher aber heute merkte man auch ihr die Anspannung an, die sie vor dem Besuch der Familie hatte.

Vielleicht freute sie sich darüber, dass bald einer von uns in einer ganz normalen Familie aufwachsen würde oder sie war einfach nur froh, ein Kind weniger hier herumwuseln zu haben.

Mrs.Greek warf einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr.

„Also los, auf eure Plätze! Und wehe, einer von euch denkt auch nur daran sich unanständig zu benehmen!" Da ertönte auch schon der Türsummer, der den Besuch ankündigte und wir setzten uns schnell an den großen Tisch im Speisesaal.

Insgesamt waren wir an die dreißig Kinder, die hier lebten, jedoch nur zehn, die im richtigen Alter für eine Adoption waren.

Ich hörte wie Anne den Besuch an der Tür empfang und sie nach einigem Smalltalk in unsere Richtung kamen.

Ich beugte mich vor, um einen Blick auf sie zu erhaschen.

Beide waren sehr jung, ich schätzte sie erst um die zwanzig, die Frau hatte blonde Haare und der Mann braune. Ich fand die Frau sehr hübsch und beobachtete mit Neugier, wie sie allen Kindern die Hand gab und sie nach ihrem Namen fragte. Sie kam zu mir.

„Hallo, wie heißt du denn?" Ich ergriff ihre Hand und schüttelte sie, mein Blick glitt zu Anne die mit dem Kopf nickte und mir ein Lächeln zuwarf. Ich sah wieder die Frau an, die immer noch vor mir kniete.

„Louise."

„Das ist aber ein sehr schöner Name." Sie ging weiter, ihr Blick blieb jedoch an mir hängen und ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

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