2. Kapitel (3)

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»Noch Fragen?«

Wo ist der Notausgang? Ich will hier raus!


»Äh, ja. Arbeitet hier jemand mit den Initialen D.M.?«

Sie runzelte die Stirn. »Meinst du Mr Dean? Ich wusste nicht, dass du ihn kennst. Er verbringt das Semester in Europa.« Bevor ich fragen konnte, ob Mr Dean etwa mit Vornamen »Mister« hieß und seine Initialen gern verkehrt herum schrieb, schrillte die Pausenglocke: Meine erste Stunde hatte ich soeben verpasst.

***

Der Rest des Vormittags erwies sich als totaler Reinfall. Alle meine neuen Lehrer nahmen mich sofort dran. Ich konnte eine ihrer Fragen beantworten, drei nicht, und mein einziger Trost war, dass mich niemand für eine Streberin halten würde.

In Biologie fragte mich Mr Jackson nach den Farben der Flagge Indianas! Ich hatte keinen blassen Schimmer – aber das blonde Mädchen in der Bank vor mir hielt einen blauen Leuchtstift hoch und zupfte zugleich sehr auffällig an ihren kurzen Haaren. Also riskierte ich eine Antwort: »Blau und gelb?«

»Blau und gold«, kam die eisige Erwiderung. Jemand lachte. »Und welche Symbole ...«

»Entschuldigen Sie«, unterbrach ich Mr Jackson, weil ich es satthatte, die Dumme zu sein. »Auf meinem Stundenplan steht nicht Flaggenkunde, sondern Biologie. Bin ich hier falsch?«

Ich bekam meinen ersten Verweis.

Die anderen Schüler grinsten sich eins! Nur die Blonde in der Bank vor mir, mit ihren pinkfarbenen Strähnen im Haar, sah mitfühlend drein.

In der Pause nach der dritten Stunde fand ich meinen Spind im Flur des Erdgeschosses. Kaum drehte ich am Kombinationsschloss, sagte meine Spindnachbarin: »Ich habe dich noch nie gesehen.«

Puppe oder Prinzessin, war mein erster Eindruck: makellos gebräuntes Gesicht, perfekt gestylte dunkelbraune Locken, dezenter rosa Lipgloss. Dazu ein blassrosa Babydoll-Kleid mit blassrosa Sandalen.

Ich streckte ihr die Hand entgegen. »Kenzie Walsh.«

»Corrie d'Angelo.« Ihr Ton klang, als müsste ich den Namen kennen. Misstrauisch beäugte sie meine Finger. Wollte sie sich überzeugen, dass sie sauber waren? Ein Perlenarmband schimmerte an ihrem Handgelenk.

»Freut mich. Corrie, sagst du?«

»Du weißt nicht, wer ich bin?« Das klang verblüfft. »Wer wir sind!«

Ich sah mich um, konnte aber nicht erraten, wen sie in das Wir mit einbezog. Oder war das ein königliches Wir?

»Ich bin erst seit gestern ...«

»Ich weiß«, unterbrach sie mich. »Wenn du von hier wärst, würde ich dich kennen.«

Sollte ich sie dafür bewundern, dass sie sich die paar Bewohner dieses Kaffs merken konnte? Ich verbiss mir eine sarkastische Bemerkung und nutzte die Gelegenheit, um zu fragen: »Toll! Kannst du mir helfen? Ich suche nämlich einen Jungen.« Er ging wahrscheinlich auf diese High School. Warum hatte ich bisher nicht daran gedacht? »Größer als ich, brünett ...«

»Was trägt er?«, unterbrach sie mich ungeduldig.

»Äh, heute? Keine Ahnung.«

»Ich meine: Was trägt er? Wie zieht er sich an?«

»Ganz normal«, erwiderte ich ratlos und wies auf einen Jungen in Jeans und einem blau-weiß karierten Hemd. »Ungefähr so? Er trug eine Bandana.«

Angewidert verzog Corrie die Lippen. »Ein kariertes Hemd und eine Bandana? Was bitte willst du mit einem Farmboy?« Ihrem Ton nach zu urteilen, standen Farmboys bei ihr ungefähr so hoch im Kurs wie tote Ratten.

Eine Antwort blieb mir erspart. Denn in diesem Moment trat der Junge im karierten Hemd zur Seite – und hinter ihm stand niemand anderer als mein guter Samariter. Heute in einem khakifarbenen Hemd und ohne Bandana.

»Da ist er!«

Gleich darauf sah ich: Er war nicht allein. Eine weitere High-School-Prinzessin mit schwarzen Locken stand bei ihm. Bevor ich wusste, was ich tat, zerrte ich Corrie hinter die offene Tür ihres Spinds.

»Was soll das? Bist du bescheuert?«, zischte sie.

Ich ignorierte sie und lehnte mich ein wenig vor, um die beiden zu beobachten. Mein Samariter war einen halben Kopf größer als seine Prinzessin und er duckte sich, als sie leise etwas zu ihm sagte. Die Vertrautheit zwischen ihnen zu sehen, tat weh.

»Wir können uns nicht mehr treffen«, las ich ihm von den Lippen ab. Aber das war garantiert bloß Wunschdenken!

Nur am Rande bemerkte ich, dass mich Corrie zur Seite schubste. Mein Samariter und seine Prinzessin redeten noch miteinander. Ihr Kleid, oben Jeansstoff und unten schwingender weißer Chiffon, sah ein bisschen nach Tiffs Outfits damals in Michigan aus, bloß hundert Prozent weniger trashig. Ihre goldenen Armreifen blitzten. Sie legte meinem Samariter eine Hand auf den Arm und er wirkte nicht gerade, als wäre ihm die Berührung unangenehm.

So viel zu meinem guten Omen. Alles, wirklich alles an Indiana wollte mein Leben ruinieren!

Corrie tänzelte auf die beiden zu. Alarmiert packte ich ihren Arm. »Warte! Du willst doch nicht ...«

»Lass mich los!« Ihre Stimme wurde schrill. Ein paar Mitschüler sahen sich schon um, trotzdem hielt ich sie fest.

»Wer ist er?«

Ihre Augen weiteten sich. Begriff sie erst jetzt, auf wen sich meine anfängliche Frage bezogen hatte? Sie wollte sich losreißen. Ich lockerte meinen Griff nicht, bis sie mir ins Gesicht fauchte: »Josh Mercer!«, und floh.

Josh Mercer. Ich lehnte mich an meinen Spind. Zu meiner Erleichterung wandte sich Josh ab und verschwand in einer Gruppe anderer Jungs, bevor Corrie ihn und die Prinzessin erreichte.

Immerhin hatten die Kolibriaugen nun einen Namen.

Josh Mercer.

KolibriküsseDonde viven las historias. Descúbrelo ahora