Kapitel 14: Von Komplikationen und unausgesprochenen Gedanken

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Sie war in dieser Hinsicht wie ein kleiner Kugelfisch: Kaum kamen mögliche Feinde, blies sie sich auf, um größer zu wirken, auch wenn sie nur High Heels trug. Ihre Stacheln spürte man erst, wenn man tiefer zu ihr vordrang, als ihr es lieb war. Und genau jetzt war so einer dieser Zeitpunkte, das hatte ich in den vergangenen Tagen gelernt. Deswegen würde ich wohl warten müssen, bis sie sich mir gegenüber von sich aus öffnete. Denn wegen dieser Alkoholprobleme, die schon Luke erwähnt hatte und dieser gespaltenen Persönlichkeit machte ich mir wirklich Sorgen um sie, ob ich es wollte oder nicht. Dieses Gefühl in mir drinnen war einfach stärker als ich.


Jade:

In so einer Situation konnte ich normalerweise nur mit den Augen rollen, aber bei ihr war das irgendwie etwas anderes: Ich musste mich wirklich umdrehen, um ihr nicht die Augen zu sehen. Denn diese sorgenvollen, graublauen Augen würden mich bestimmt dazu bringen, alles auszuplappern und dabei wahrscheinlich dann auch zu weinen. Nein, danke! Bis jetzt hatte sie schon genug von mir gesehen und ja, mein Herz hatte verrückt gespielt, als ich neben ihr aufgewacht war, aber das musste aufhören! Genau das, das ganze Gefühlschaos, welches ich auf einmal nicht mehr unter Kontrolle bekam, dieses unterdrückte Lächeln, was trotzdem zum Vorschein kam, wann immer ich sie sah. Was sollte das? Warum jetzt? Warum?

Ich dachte, ich würde es ohne jemanden aushalten. Jade Coufleur brauchte keinen Mann! Ja, keinen Mann, sondern doch eher...ach vergesst es, ich war doch nicht lesbisch! Ich hatte für Hunderte von Jungs geschwärmt, bevor ich Macy kennengelernt hatte!

Und trotzdem... Trotzdem hatte ich mich gefreut, dass sie sich Sorgen um mich gemacht hatte, wie gestern Abend und auch jetzt. Doch das...ich konnte ihr dieses Geheimnis einfach nicht anvertrauen und das musste sie, ob es ihr es passte oder nicht, kapieren.

Meine Gedanken wanderten von dem vorherigen Geschehen wieder auf meinen Laptop, dessen leuchtender Screen mich nicht mehr zu Blinzeln brachte. Wozu auch? Die meiste Zeit,  in der ich an dem Gerät hockte, war nachts. Und tags, wenn ich alleine war. Man konnte also sagen, dass ich fast immer dran hockte und durch tausende von YouTube Videos klickte. Das war aber nur der Fall, wenn jemand dabei war. Kaum war Macy eingeschlafen, holte ich meinen Laptop wieder hervor, platzierte ihn auf den Nachttisch und begann zu tippen:

Josie war sich durchaus bewusst, dass sie manchmal einfach zu verbittert war. Die Tatsache, dass sie Mason liebte, war eine ihrer größten Geheimnisse, aber auch wie eine Art Schutzschild. Er war ihr Schutzschild vor allem, was ihr jemals widerfahren würde, aber auch ihre größte Schwäche. Niemals dürfte jemand erfahren, dass der schmale, schüchterne Junge ihr so viel bedeutete. Also schrieb sie ihre Liebesbriefe an ihn und zerriss sie wieder, blickte ihm unauffällig in der Schule nach, wenn niemand hinschaute. Zuhause ergriff sie, wann immer keiner zuhause war, die Gelegenheit, in ihr Tagebuch über ihn zu schreiben. Was sie über ihn wusste und was er nicht über sie wusste. Letzteres war: Sie war nicht sein perfektes Mädchen, seine Angebete, die er mit einem schüchternen Blick bedachte. Äußerlich schien sie das perfekte Mädchen sein, doch innerlich war sie gebrochen.

Ich schloss den Laptop mit einem tiefen Atemzug, bevor ich nur verwirrt den Kopf schüttelte. Was war nur in letzter Zeit mit mir los? Ich schrieb völlig belangloses Zeug in mein Buch, ging nicht nach der Storyline, welche besagte, dass er Josie abschreiben sollte, sie vergessen sollte und es schlussendlich kein Happy End geben würde. Wie immer, wie im realen Leben. Guter Mensch traf bösen, kaputten Mensch, der nicht gut für ihn war. Er erkannte, dass der andere ihn zerstören würde und haute ab, um sich selbst zu schützen. War es so falsch, dass ich, wie auch im realen Leben, hoffte, dass endlich mal etwas klappte, was man sich erträumte und dazu noch etwas mit einer Person, die man mehr mochte als sich selbst?

In meinem Kopfhörer erklang aktuell parallel zu meinen Gedanken die Stimme von Silver Thunder, einer Sängerin, der ich auf YouTube folgte und deren Musik ich öfters gerne hörte. Im Gegensatz zu anderen Sängerinnen hatte sie niemals ihr Gesicht gezeigt, sondern einfach nur Musik online mit Textvideos gepostet. Aber genau das machte sie besonders. Sie wollte nicht, dass Leute sie wegen ihres Aussehens, sondern wegen ihres Talents mochten. Ich konnte das nur zu gut nachvollziehen. "Du hast nur die guten Gene von deinen Eltern geerbt." Hatte meine Oma Clara erst demletzt gesagt, bevor sie von ihren Zeiten bei der Miss America-Wahl erzählt hatte und auch mir einreden wollte, dass ich perfekt für einen Schönheitswettbewerb war. Bei mir stoß sie allerdings nur auf Ablehnung. Lieber würde ich Dünger essen, als vor großen Publikum für mein Aussehen beurteilt zu werden. Das erlebte ich in der Schule schon oft genug.

Im Moment hörte ich mir Silvers erste EP "Hurricane Heart" an, durch die ich auf sie aufmerksam wurde. Ich würde nie vergessen, wann es dazu gekommen war. An diesem Tag hatte ich gerade meinen Mutter mit ihrem Ex erwischt und mich, während ich die Lieder gehört hatte, in den Schlaf geheult. Musik half mir, meine Gefühle freizusetzen, war wie für eine Therapie für mich. Da niemand im Haus gewesen war, hatte ich alle Lieder singen können und war überrascht gewesen, wie passend der Text meine Probleme beschrieben hatte.

Auch jetzt traf Silver Thunder mit ihrem, aktuell spielenden Lied "Hard to love" wieder ins Schwarze, was meine Gefühlsregion anging: "I see reality, the  facts, that, I make you fly above." 

"Ich sehe die Realität, die Fakten, dass ich dir zum Fliegen helfe." Sang ich leise vor mich hin, bevor ich begann, durch die Fotogallerie meines Handys zu scrollen. Ganz oben waren, aufgrund ihrer Aktualität, die Fotos, die Macy und ich beim Besuch des Jahrmarktes gemacht hatten. Wir beide grinsten, mitsamt viel zu großem Minion in die Kamera. Sobald ich die Fotoreihe sah, legte ich unbewusst eine Hand auf das große Plüschtier neben und streichelte seinen Kopf, während ich größtenteils damit beschäftigt war, das Lächeln, dass mein Gesicht zierte, zu verscheuchen. Was brachte mir das? Es ließ mich nur wie einen verknallten Idioten aussehen, das hatte ich schon heute Morgen im Spiegel festgestellt. 

Vielleicht verhalf ich Macy mit meinen mittelmäßigen Witzen zwar zum Lächeln, aber...das war nicht genug. Sie war mindestens genauso unsicher wie ich und brauchte jemanden, der ihr Kraft gab. 

"While I'm stuck on the ground, baby, maybe I'm just too hard to love." 

"Während ich selbst am Boden festklebe, Baby, vielleicht bin ich schwer zu lieben." Okay, die deutsche Version hörte sich schräg an. Die Aussprache war auch um einiges...schwerer als die englische. Letzteres hörte sich leichter und sanfter an, während die deutsche Aussprache hart und kantig klang. Fast so unangenehm wie die Wahrheit über meine Gefühle, die darin steckte.  

Mein Blick fiel auf die friedlich schlafende Macy, dann auf das Bild von Rebecca und ihr, welches direkt auf ihrem Nachttisch stand. Die beiden grinsten mir direkt entgegen, als wollten sie mich mit Absicht ärgern. 

Silver sang, während ich wütend die Decke anstarrte, weiter und sprach mir mit den nächsten Worten genau aus der Seele: "I can't give you what you need, ain't got enough. Baby, maybe, baby, maybe, I'm just...too hard to love." Innerlich übersetzte ich, obwohl es wehtat, zum dritten Mal jedes Wort in Deutsch: "Ich kann dir nicht geben, was du brauchst, ich besitze nicht genug davon. Baby, vielleicht, Baby, vielleicht, bin ich einfach schwer zu lieben." Oder besser gesagt: Man konnte mich nicht lieben. Meine Eltern sagten mir es oft genug. Direkt und indirekt.  

Ich seufzte genervt auf, ja, es war falsch, sich Hoffnungen zu machen. Es würde schief gehen, wie immer! Kein Mensch brauchte mich, weil ich ihn nur runterzog! Genau deswegen bekam ich so viele Zurückweisungen: Ich war ein Chaos. Ein menschliches, übertrieben emotionales Chaos! Träumerinnen kamen einfach nicht weit im Leben und fertig! 




My Frenemy (GirlxGirl)Where stories live. Discover now