Kapitel 9: Schwarmgefühle, Phase 2: Necken und Gefühle verstecken

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„Da hast du sogar Recht, Cherié. Denn wenn du nach Hause kommst, dann hast du für die nächsten vier Wochen das Verbot, dich auch nur einer Party zu nähern. Schön, dass wir uns einig sind. Wir lieben dich, Schatz. Mama und ich wünschen dir noch viel Spaß!" Und dann...dann hatte er einfach aufgelegt! Oh nein, das hatte er gerade nicht gewagt! Oh ja, ich war super sauer und mehr als das: Ich kochte innerlich! Nicht nur wegen des Verbotes, sondern auch wegen der Tatsache, dass das "Wir haben dich lieb" wieder einmal nur mit einem sarkastischen Unterton erwähnt wurde. Wie immer. Für ausgesprochene, liebevolle Worte war nie die Zeit gewesen. 

Und Macys schadenfreudiges Gesicht machte meine frustrierte Stimmung auch nicht besser, im Gegenteil. „Wie viel hast du verstanden, Americano?" Fragte ich fauchend und sie zuckte nur grinsend mit den Schultern. „Genug, um zu wissen, dass das Fräulein ziemlich in diesem Handy-Krieg verloren hat und dass dein Vater „Cherié" viel süffisanter und sarkastischer aussprechen kann als du."

"Und du kannst nicht nur wegen deinem englischen Akzent Loser besser aussprechen, sondern weil du die Definition davon bist, Miststück!" Erwiderte ich zischend, bevor ich mich wieder meiner Matheaufgabe zuwandte. "Verdammte Lesbenschlampe." Entfuhr es mir leise. So leise, dass es die Lehrerin nicht hören konnte, aber laut genug, damit Macy es hören und neben scharf einatmete.

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"Shop oder Flop!" Meinte ich, sobald wir die Schule verlassen, den Supermarkt betreten und ich Macys ersten Protest gegen meine Shoppingaktion gehört hatte.

"Da bin ich lieber ein Flop..." Macy stellte sich auf beide Zehenspitzen, bevor sie nach etwas griff und anschließend ein Päckchen Erdnussflips in der Hand hielt. "Und nehme Flip gleich mit!" Ich musste mir verkneifen, nicht zu lachen. Das war zwar lustig gewesen, aber nicht so lustig, dass es eine vernünftige Reaktion verlangte. Sondern nur ein Augenrollen plus dazugehörigen Fremdscham. "Komm schon!" "Nein." Ich legte beide Hände auf die Hüften, bevor ich sie vorwurfsvoll musterte. "Ist es nicht asozial, keine Zeit mit seiner Austauschschülerin zu verbringen? Solltest du mich nicht herumführen?" "Erstens..." Erwiderte Macy, während sie den Daumen ihrer rechten Hand hochreckte und in einem fiepsigen Tonfall, was wohl eine Anspielung auf meine Aktion von heute morgen sein sollte. "...ist es asozial, jemanden in eine ungewollte Nachsitzaktion mit rein zu ziehen. Zweitens: Ist mein Wille, nach Hause zu gehen und stattdessen auf meine Deutscharbeit zu lernen und nicht unter Menschen gehen zu wollen, der eines ehrgeizigen Introvertierten. Beides sind Fremdwörter für dich, oder?" Bevor ich etwas erwidern konnte, fuhr sie auch schon mit dem dritten hochgezogenen Finger fort: "Drittens: Du findest den Weg auch gut ohne mich. Wir sind jetzt schon mehrmals S-Bahn gefahren und ich habe dir die App erklärt. Noch dazu ist Luke auch nicht gerade auf den Kopf gefallen. Der hilft bestimmt." 

Ich atmete tief ein. "Was habe ich dir eigentlich getan?" "Soll ich die Liste aufrollen und vorlesen?" Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder dem Einkaufswagen zu, legte mich auf den Lenker, zog beide Füße hoch und schob mich etwas nach vorne. Anschließend drehte ich mich wieder zu Macy um. "Ich habe nur ein paar Sprüche gerissen! So mache ich das, bei jedem, den ich..." Bevor ich das entscheidende Wörtchen sagen konnte, hatte ich schon bemerkt, dass ich zu viel von mir gegeben hatte. Diese Genugtuung gab ich ihr nicht. Stattdessen ging ich langsam nach vorne und fragte leise: "Was ist los mit dir?" 

Für wenige Sekunden lang glaubte ich, zu sehen, wie sich Macys Gesichtsausdruck etwas weicher wurde. Eine kleine Träne drang aus ihren Augen, berührte ihre Wange und tropfte lautlos auf den Boden. "Das sollte ich wohl eher dich fragen, verdammte Heteroschlampe." Entgegnete sie in einem monotonen Tonfall, bevor sie sich lautlos in Richtung Kasse machte. 

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"Jade?" Luke wedelte mit seiner Hand tausendmal vor meinem Gesicht herum, bevor er es aufgab und laut schrie: "Miss Coufleur! Würden Sie sich bitte von ihrem Thron der Fantasie erheben und wieder in das Land der Sterblichen zurückkommen!" Ich gab ein schiefes, falsches Lächeln von mir. "So kann man mich auch in Zukunft wecken. Ihre Kreativität kann ich nicht oft genug loben, Monsieur Decouvrir!" Wir beide laschten gerade Seite an Seite durch das Einkaufszentrum LP 12, während wir abwechselnd vor Schaufenstern stehen blieben und Markenklamotten begutachteten. Bis jetzt war mein erster Eindruck von den Shopping Malls dieser Stadt überraschend gut gewesen. Wenn Berlin für eines bekannt war, dann für x Shoppingmöglichkeiten. 

Sobald ich wieder in meinem düsteren Gedankenfluss angekommen war, zog mich Luke auch schon beiseite und lehnte sich mit mir an eine Reling, von der man in das untere Geschoss schauen konnte. Kaum hatten sich meine Augen gierig an einem Eisstand festgemacht, knuffte mich mein bester Freund in die Seite und hatte wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. 

"Hör auf mit der Fassade und sag, was los ist." Erwiderte der Schwarzhaarige bestimmt, bevor ich aufseufzte und murrte: "Sieht man das denn nicht?" "Der grimmige Gesichtsausdruck, der selbst Horrorfilmfiguren erschrecken könnte? Ja." Luke lachte, als ich ein leises Knurren von mir gab, bevor er wieder ernst wurde. "Aber den Grund dafür hab ich immer noch genannt bekommen, Frankenstein." 

"Meine Eltern haben mir ein einmonatiges Partyverbot aufgebrummt." Murrte ich, bevor ich mich einem genervten Seufzer dem Adidas-Shop näherte. "Hast du nichts von Turnschuhen erzählt, die du noch unbedingt kaufen muss?" "Das hat Zeit." Meine Augen wanderten von den meines Freundes zu der Figur in der Vitrine bis hin zum Boden. Ich konnte spüren, wie Scham aufkam. "Ich hab was Beschissenes gesagt." "Und das ist was Neues?" Ich schüttelte mit einem traurigen Lächeln den Kopf. "Nein, ist es nicht, Dumpfbacke. Ich...bin über die Stränge gesprungen, habe es mit meinen Neckereien übertrieben." "Inwiefern?" Kaum hatte ich leise das Wort von der Nachhilfestunde ausgesprochen, atmete Luke scharf ein. "Das war richtig scheiße von dir." "Ich weiß..." "Was war denn davor passiert?" Ich schaute überrascht auf. "Du hasst mich nicht? Ich habe doch etwas Homophobes von mir gegeben!" "Und das bist einfach nicht du." Erwiderte mein bester Freund, bevor er nochmal eine Frage stellte, dieses Mal präziser: "Ist was mit deinen Eltern passiert? Normalerweise nehmen nur die solche Wörter in den Mund und schämen sich nicht mal dafür." "Weil sie sich für etwas Besseres halten und denken, dass nur sie selbst recht haben." Murmelte ich, bevor ich ihn wütend anblickte. 

Wieder wurden alle vier Mauern, die mich innerlich umgaben, hochgezogen und alles, was ich in diesem Moment spürte, war Fremdscham. Ich wollte nicht mit solchen Eltern aufwachsen. Ich sollte nicht mit solchen Eltern aufwachsen. Und doch suchte man sich so etwas nicht aus. Man bekam das, was das liebe Schicksal einem vorsetzte. Und langsam glaubte ich, dass es mich hasste, wenn selbst mein bester Freund wirklich das gesagt hatte, was mich am meisten verletzte.  "Willst du mir wirklich sagen, dass ich wie meine Eltern bin?" Zischte ich in die Richtung des Schwarzhaarigen. "Wenn ja, dann ist das bisher dein schlimmstes Kommentar gewesen, Decouvrir." 

My Frenemy (GirlxGirl)Where stories live. Discover now