Prolog*

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So, es ist soweit. Hier ist der erste Blick auf die überarbeitete Fassung von "Lerne Fliegen".

Viel Vergnügen!

Ps: alle mit * versehenen Kapitel sind bereits überarbeitet

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"Some women are
lost in the fire.
Some women are
built from it."
-Michelle K
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Prolog

Sommer 1976

Das Viertel galt als aufgegeben, im Kern verrottet. Es war nur über einen schmalen, überwucherten Weg zu erreichen, der nach einer engen Biegung in einem dichten Laubwald verschwand. Tag für Tag fuhren Pendler Richtung Berlin, ohne die Abzweigung je mit einem Blick zu würdigen.

Wenn man diese dann aber betrat, verschluckte das Blätterdach jedes Licht, bevor sie sich erneut zu einer breiten Straße öffnete. Über sie betrat man eine andere Welt.

Sie schien aus der Zeit herausgerissen und dann vergessen.

Auf beiden Seiten wurde die Straße von großen  Villen gesäumt, verwaist seit Jahrzehnten. Es schien, als würden die Häuser mit ihren kleinen Türmchen und Anbauten anklagend auf die einst gepflegten Gärten und Abhänge hinabschauen, die sich die Natur rücksichtslos zurückerobert hatte.

Über allem hing seit Wochen eine ausdörrende Hitze und erst mit einem schweren Regenschauer, der sich über die Außenbezirke ergossen hatte, war wieder Leben in die aufgerissene Erde zurückgekehrt.

Nun waberte feuchtwarme Luft über den Boden und die Nacht hüllte die Straße in Stille. Doch trotz des Zerfalls war sie nicht unbewohnt.

Es gab noch magische Familien, die sich weigerten, vor den Muggeln und ihren Erfindungen aus der großen Stadt nebenan zurück zu weichen. Sie nannten sich Reinblütig und waren stolz darauf, dass ihre Ahnenlinien frei von nicht-magischem Muggelblut waren.

Niemand von ihnen hob den Kopf oder sah auch nur durch seine Vorhänge, als mit einem leisen Plopp eine Gestalt auf dem Gehweg erschien. In ihrem dunkelgrünen Umhang schien sie beinahe aus dem Gras zwischen den Pflastersteinen emporgewachsen zu sein.

Es war eine große Frau, deren Gesicht in der Dunkelheit so starr wie der Eisenzaun in ihrem Rücken wirkte.

Rasch sah sie sich um und ihre quadratischen Brillengläser blitzen auf, als sie mit großen Schritten die Straße überquerte.

Sie steuerte einen hohen Zaun an, dessen abwehrende Metallspitzen besonders hoch aufragten. Das matte Metall bildete Ornamente von stachelbesetzten Rosen und hinter ihnen lag das Haus der Familie, die als letzte verschwinden würde.

Säulen trugen ein imposantes Dach und unzählige Zinnen und Türme. Ein Großteil der Fassade lag im Dunkeln, nur an der Rückseite des Hauses erhellte Licht den Rasen.

Tiefer im Haus, umgeben von wispernden Bilderrahmen, schlug eine Standuhr Mitternacht.

In einem Wintergarten, der sich direkt an das dunkle Mauerwerk anschloss, befand sich eine Frau, die in ihrer Haltung der anderen nicht unähnlich war. Silbrige Haare waren in ihrem Nacken zu einem komplizierten Knoten geschlungen und der Saum ihres dunklen Umhangs streifte den Boden, während sie mit verschränkten Armen an der Glaswand entlang ging.

Sie hatte ein scharfes Profil, mit einer langen, geraden Nase und geschwungenen Augenbrauen über tiefblauen Augen. Ihre schmalen, geschminkten Lippen waren zusammengepresst, während sie einen Blick hinüber zu einem der Sofas warf.

Darauf lag ein schlafendes Mädchen.

„Deck sie zu." Die Worte der Frau wurden in dem großen Raum beinahe verschluckt, doch aus den Schatten trat eine kleine Gestalt.

Lerne Fliegen (HP FF, Rumtreiberzeit) ✔️Where stories live. Discover now