Prolog

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Die einzige Information, die ich erhalten habe, ist, dass unser UDE eine Art Zuflucht für uns bildet.
Für uns. Die Überlebenden.

Ich stehe, nur mit einem langen, aber beinahe schwerelosen Nachthemd bekleidet vor dem einzigen Spiegel in unserer Kabine. Behutsam halte ich die Kette, die mir meine Großmutter gab, bevor sie starb, in meinen Händen. Ich drehe sie immer und immer wieder zwischen meinen Fingern und streiche vorsichtig mit dem Daumen über den filigranen Anhänger. Ich bemühe mich darum, zu verstehen, welche Bedeutung diese Kette für meine Großmutter gehabt haben mag und warum sie diese ausgerechnet mir vererbt hat. Bei dem Gedanken an meine Großmutter läuft mir eine winzige Träne, die im Sonnenlicht wohl wie ein Kristall glitzern würde, über die Wange und hinterlässt dort eine Tränenspur, die ich mir mit der flachen Hand aus dem Gesicht streiche.
Um nicht noch mehr zu weinen, schließe ich die Faust, in der ich das Erbstück halte und lege es sorgsam auf den runden Tisch, der direkt in mitten der Kabine steht. Mit einer schnellen Bewegung streife ich das Nachthemd von meinen Schultern und schlüpfe in die dunkle Kleidung, die jeder hier trägt. Ein schwarzes eng anliegendes Oberteil, dessen Ärmel mir bis knapp unter die Ellbogen reichen, und eine bequeme schwarze Hose mit weiten Hosentaschen, die viel Platz für alles Mögliche bieten.
Ich stelle mich wieder vor den Spiegel und betrachte das schlanke Mädchen in ihren dunklen und tristen Kleidern, das mir direkt gegenüber steht und auch mich geradewegs ansieht. Ihre schulterlangen, kastanienbraunen Haare fallen ihr in leichten Wellen geschmeidig auf die Schultern. Sie erwecken fast den Eindruck, als würden sie auf ihren Schultern tanzen. Mit ihren verweinten, blauen Augen verfolgt sie jede meiner Bewegungen ganz genau, nur um sie dann nachzuahmen. Die Schwäche, die sie zeigt, macht mich wütend. Ich wende mich von ihr ab, um ihren Anblick und ihre emotionale Schwäche nicht länger ertragen zu müssen. Auch sie wendet sich von mir ab.

Die elende Stille hier drinnen macht mich noch wahnsinnig. Wenn ich auch nur noch einen Augenblick länger hier bleibe, drehe ich völlig durch. Schnell schnappe ich mir meinen schwarzen Kapuzenpullover von der Stuhllehne, öffne die Tür am anderen Ende des Raums und stürme hinaus.

Ich eile den schwach beleuchteten Gang entlang und bleibe erst stehen, als ich vor der Tür zu Isabellas Kabine stehe. Isabella und ich lernten uns kennen, als sie damals zusammen mit ihren Eltern in das Haus neben unserem zog. Ein paar Wochen später besuchten wir beide dieselbe Grundschule und das machte uns schon bald zu sehr engen Freundinnen. Sie war die einzige Person, der ich alle meine Geheimnisse anvertrauen konnte.

Ich hebe meine beiden Hände, die ich mittlerweile zu Fäusten geballt habe, und schlage immer wieder mit all meiner Kraft gegen die Tür. Erst als meine Fäuste schon schmerzen und die Tür sich immer noch nicht geöffnet hat, wird mir bewusst, das Isabella vielleicht gar nicht da ist.

Voller Verzweiflung lehne ich mich mit dem Rücken an die kahle, graue Wand. Meine Knie lassen nach und ich gleite langsam an der Wand hinunter. Ich kauere mich auf den kühlen Steinboden, ziehe meine Knie an die Brust und lasse den Tränen und all der Wut, die sich in den letzten Wochen in mir aufgestaut hat, freien Lauf.

Eternal Eclipse - Die ÜberlebendenWhere stories live. Discover now