Kapitel 9 (Wie man einem Japaner Deutsch beibringt)

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"Okay... let's go,"
sagte ich, ließ einen Stapel an dicken Geschichtsbüchern auf den Tisch in der Bibliothek des Anwesens der Sakamakis fallen und sah den großen Typen, der mir mit geschlossenen Augen gegenüber saß, ernst an.
"Urusai,"
erwiderte dieser bloß und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Ich habe dich jetzt zwei Wochen nicht mit diesem verdammten Referat genervt, weil ich mir ziemlich sicher war, dass du einen Scheiß zu diesem Schrott beitragen und mich dann sowieso nur mal wieder aussaugen würdest. Aber ich seh' es nun wirklich nicht ein, alles alleine zu machen und deshalb wirst du jetzt gefälligst deinen Beitrag zum Projekt leisten,"
textete ich den Blonden zu und duldete bei meiner Aussage keinerlei Wiederrede.
"Das ist zu aufwändig,"
kommentierte der Vampir ausdruckslos und erweckte den Anschein, gleich ein zu schlafen.
"Na schön du pennender Nichtstuer. Was du kannst, kann ich schon lange. Man nannte mich in meiner alten Schule nicht umsonst "schlafende Streberin". Denn ich krieg es wenigstens auf die Reihe gute Noten zu erzielen, auch wenn ich meistens nichts dafür tue,"
entgegnete ich genervt, ließ mich auf den Stuhl ihm gegenüber fallen, legte meine Füße auf den Tisch, steckte meine Kopfhörer in die Ohren und machte Musik an. Mal sehen, wer länger aushielt.

Langsam wippte ich im Takt der Melodie der gerade endenden Single mit und wartete schließlich auf die nächste. Oh nein... das war jetzt... ungünstig. Das Positive, wenn man seinen Player auf Shuffle an hatte war, dass man eine angenehme Abwechslung an Liedern angeboten bekam. Das Negative daran war hingegen, dass jederzeit ein Song laufen konnte, bei dem man einfach mitsingen musste. Noch schlimmer jedoch wurde es erst, wenn der besagte Titel auf Deutsch war und die Situation einer gewissen Person... ja, damit meinte ich eventuell mich... am besten beschrieb. Obwohl... eigentlich passte der Text auch zu einem gewissen blonden Vampir. Ich verdamme dich Gehirn, dass du dir den Schrott gemerkt hattest und dass dir dieses Lied so gut gefällt... Eisberg... warum, warum, warum...

(Nun kommen Lyrics... das erinnert mich so an irgendeine verdammt schlechte Fanfiction...)

Ich zeig dir nur die weiße Spitze
Die gute Seite, rein und klar
Der ganze Dreck, auf dem ich sitze
Ist für dein Auge unsichtbar

Bin wie ein Eisberg, hart und unverletzbar
Ich treib alleine auf dem Meer
Nehm jede Welle ohne Mühe
Aber mein kaltes Herz schlägt schwer

Und tief unterm Eis fühl ich mich so wie du
Ich steuer' irgendwo da draußen auf die Lichter zu

Dass mein Gegenüber die Kopfhörer aus seinen Ohren gezogen, die Augen geöffnet und seinen Blick auf mich gerichtet hatte, bemerkte ich nicht.

Ich will glänzen
Ich will scheinen
Und ich tu als tät nichts weh
Würd dir gerne
Alles zeigen
Bin ein Eisberg auf der See

Vielleicht wird's morgen für mich regnen
Und irgendwann ergeb' ich mich
Wenn wir uns je wieder begegnen
Dann zeig ich dir mein wahres Ich

Und tief unterm Eis fühlst du dich so wie ich
Ich steuer' irgendwo da draußen immer Richtung Licht

Ich will glänzen
Ich will scheinen
Und ich tu als tät nichts weh
Würd dir gerne
Alles zeigen
Bin ein Eisberg auf der See

Ich werd' mich aus dem Wasser erheben
Und dich mit nach oben ziehen
Wir werden überm Eismeer schweben
Um zum ersten Mal verstehen

Den Oh, oh, oh"-Teil ließ ich bewusst aus, da ich diesen jedes Mal vergeigte.

Ich will glänzen
Ich will scheinen
Und ich tu als tät nichts weh
Würd dir gerne
Alles zeigen
Bin ein Eisberg auf der See

Ich will glänzen
Ich will scheinen
Und ich tu als tät nichts weh
Würd dir gerne
Alles zeigen
Bin ein Eisberg auf der See

Dasselbe tat ich auch beim letzten "Uh". Ich atmete tief durch, hoffentlich hatte ich nicht zu laut mitgesungen, immerhin war die Lautstärke meiner Musik nicht gerade leise eingestellt. Doch ein heimlicher Blick zu meinem Gegenüber ließ mich augenblicklich rot anlaufen, ich zog ruckartig meine Kopfhörer aus den Ohren, starrte den jungen Mann, wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange, an und sagte
"du hast das nicht ernsthaft gehört, oder?"
"Doch...,"
erwiderte er ungerührt, ich erstarrte, knallte meinen Kopf auf die Tischplatte und flüsterte
"mein gesellschaftlicher Bankrott ist gesichert."
"Du hast eine relativ gute Gesangsstimme und es hörte sich recht gefühlvoll an, welche Sprache war das?"
meinte der Blonde nach einer Weile. Ich blickte leicht auf, direkt in seine blauen Augen, die auf mir ruhten und entgegnete leicht verwirrt
"Deutsch."
"Was bedeutet der Text,"
fragte mein Gesprächspartner weiter, ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, richtete mich wieder auf und antwortete
"das... das willst du doch nicht wirklich wissen, oder?"
"Sonst würde ich nicht fragen,"
stellte der Vampir klar. Ich runzelte die Stirn, schwieg einige Zeit und sagte schließlich
"auf Japanisch kann man die Bedeutung der Worte eher schlecht erklären...".
"Dann bring mir Deutsch bei,"
erwiderte der Blonde ungerührt. Ich stierte ihn mit großen Augen an und antwortete leicht stotternd
"a...also... das ist relativ schwierig und eine... sehr langwierige Angelegenheit."
"Ich war auch in der Lage, Latein zu erlernen,"
meinte der junge Mann bloß schulterzuckend. Mir klappte die Kinnlade runter, ich überlegte unbeschreiblich lange und entgegnete schließlich
"na schön, ich werde dir diese Sprache beibringen, aber nur, wenn du auch etwas für das Referat tust und ich werde dir auch nur so viel lehren, dass du den Text des Liedes verstehst."
"Abgemacht,"
antwortete der Blauäugige, streckte seine Hand zu mir aus und ich schlug ein. Ich glaube, das würde eine sehr... wirklich sehr lange Nacht werden.

"So, und das hier...,"
ich schrieb die deutschen Worte für "Ich will glänzen" auf ein, schon von der ersten Strophe, beschmiertes Blatt Papier, setzte daneben die üblichen Kanji-Schriftzeichen und sprach auf Japanisch weiter
"... bedeutet "ich will glänzen". Wiederhol es mal."
"Ich will glaze,"
sagte der Blonde in einem sehr brüchigen Deutsch und runzelte dabei leicht die Stirn.
"Hey, das war doch gar nicht so schlecht,"
meinte ich mit einem leichten, enthusiastischen Lächeln auf den Lippen und fuhr fort
"aber ich glaub, das reicht heute fürs Erste. Arbeiten wir an dem Referat weiter?"
"Hm,"
machte der Blonde, schloss kurz die Augen und fügte hinzu
"es ist mühselige Arbeit, haben wir dafür nicht noch genug Zeit?"
"Naja, ob eine Woche jetzt genug Zeit ist... darüber lässt sich streiten. Aber wenn du schon zu faul bist, jetzt daran zu arbeiten könnten wir ja wenigstens darüber reden, wie wir das am besten vortragen könnten,"
antwortete ich, gähnte und stützte den Kopf auf meiner Hand ab.
"Oder du lässt mich von deinem Blut trinken,"
entgegnete der Vampir, öffnete eines seiner Augen und starrte mich an.
"Nee, das ist jetzt nich' drin Freundchen. Also, irgendwelche kreativen Einfälle, die uns eine Eins einbringen könnten?"
erwiderte ich unbeeindruckt und verschränkte die Arme vor der Brust. Der gefühlskalte Blick des jungen Mannes schüchterte mich auf keinem Fall ein.
"Zeitgetreue Kleidung,"
meinte er plötzlich nach einer Weile des Schweigens monoton.
"Und wo bekommen wir die her?"
fragte ich tatsächlich ein wenig interessiert.
"Hier im Haus müssten noch irgendwelche Kisten mit Klamotten aus dieser Epoche herumliegen,"
entgegnete der älteste der Brüder schulterzuckend.
"Ja klar, bei mir zu Hause lagert auch antiker Krempel, letztens erst 'ne Münze aus Blackbeards Schatz gefunden,"
antwortete ich sarkastisch, verdrehte die Augen und stand auf.
"Wo gehst du hin,"
erkundigte sich der Blonde desinteressiert und steckte sich einen seiner Kopfhörer ins Ohr.
"Ich werde jetzt diese ominösen Kisten suchen gehen und weißt du, wer mich dabei unterstützen wird? Richtig, du! Herzlichen Glückwunsch,"
erwiderte ich mit einem Ton, der keinerlei Einsprüche duldete. Der Angesprochene seufzte und erhob sich sehr langsam. Also wirklich, schon fast noch langsamer als eine Schildkröte. Wobei... hatte man überhaupt schon mal so ein Reptil gesehen, wie es sich aufrichtete? Hm... wenn nicht... so ungefähr sah das bestimmt aus. Jetzt wo ich so darüber nachdachte hatte Shuu wirklich Ähnlichkeiten mit einer Schildkröte. Bestimmt lief er auch ganz, ganz schleppend. Koalas und Faultiere waren mit Sicherheit noch schneller als er.

Bis(s) Sie Mir Den Letzten Nerv Rauben (Diabolik Lovers FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt