Kapitel 44 (Zerbrochen)

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Mit einer frisch gewonnenen Entschlossenheit stieß ich den Weißhaarigen von mir weg, machte dazu zwei Schritte nach hinten und verschränkte die Arme vorm Brustkorb,
"glaub mir, an mir wirst du dir deine Zähne ausbeißen. Und warte erst mal ab, was passieren wird, wenn Shuu hier aufkreuzt, um mich zurück zu holen."
Mein Gegenüber konnte sich nun ein tiefes, herzhaftes Lachen nicht mehr verkneifen. Im nu stand er wieder direkt vor mir, mich selbstgefällig angrinsend,
"dieser Taugenichts kann sich doch nicht einmal aufraffen die kleinsten Dinge zu erledigen. Du musst unglaublich naiv sein, falls du glaubst er würde wirklich die Courage aufbringen hier her zu kommen. Nicht mal in seinen kühnsten Träumen hätte er eine Chance gegen mich, geschweige denn meinen Bruder und mich zusammen."
Herausfordernd stierte ich nun den jungen Mann vor mir an,
"du hast doch keine Ahnung, zu was er fähig ist."
"Und du hast keine Ahnung, zu was ich fähig bin, mein Täubchen,"
mit einem Mal drückte er mich bestimmt an die Wand, die spitzen Fänge wenige Augenblicke später gefährlich nah an meinem Hals.
"Ich bitte dich,"
mit einer aufgesetzten Hochnäsigkeit versuchte ich meine plötzliche Nervosität zu überspielen,
"ich bin genau so wie du ein Vampir, mein Blut würde dir bestimmt nicht schmecken."
"Du denkst wirklich, ich wäre ein schwacher Vampir? Wie niedlich. Ich bin viel mehr als das, meine Liebe. Aber dir mehr davon zu erzählen... das würde mir den ganzen Spaß nehmen. Und das wollen wir doch vermeiden, nicht wahr?"
mit diesen Worten leckte er mir fast schon genüsslich über den Hals und atmete meinen Duft ein,
"noch immer so ein süßer, lieblicher Geruch, dein Blut muss hinreißend gewesen sein, als du noch ein Mensch warst."
Dann ließ er mit einem Mal von mir ab und als ich wieder meine Augen, welche ich unwillkürlich zugekniffen hatte, öffnete, war er verschwunden.

Okay Kaida, keine Panik, dein Bauchgefühl hatte zwar recht, aber das muss nun noch lange nicht das Ende bedeuten, oder? In Windeseile war ich zurück in mein Zimmer gehechtet, meine Bücher dabei komplett vergessend. Ich wollte mich für diesen Moment nur noch in einer trügerischen Sicherheit wiegen und am liebsten sofort die Erinnerungen an das gerade eben stattgefundene Aufeinandertreffen verlieren. Wenn Carla und Shin keine Vampire beziehungsweise nicht nur welche waren, was konnten sie dann sein? Werwölfe? Magier? Oder doch ganz andere okkulte Kreaturen der Dunkelheit? Ich musste es herausfinden, bevor es noch zu spät war, bevor sie mir vielleicht noch weh tun konnten.
   Auch wenn ich es niemals zugeben würde, der Weißhaarige hatte in mir eine Angst ausgelöst, wie ich sie vorher noch nie verspürt hatte. Die Unwissenheit darüber, welcher Spezies die Brüder nun angehörten und somit weder ihre Stärke noch eventuelle Schwächen einordnen zu können schürte in mir eine kaum beschreibbare Unsicherheit, welche mich von Innen heraus zu verschlingen schien. In mir machte sich allmählich der Wahnsinn breit, ich wurde schreckhaft, malte mir die hirnrissigsten Szenarien aus, eine Paranoia schlich sich in mein Empfinden. Jedoch geschah nichts. Carla kam mir die nächsten Tage nicht mehr so nahe, wie er es in der Bibliothek getan hatte. Shin ließ mich komplett links liegen, schien sich auf Yui fixiert zu haben. Ich schlief nicht mehr, rührte nicht das Essen an, welches man mir für die täglichen Mahlzeiten bereitstellte. Langsam merkte ich, wie dieser Zustand an meinen Kräften zerrte. Tiefe Ringe hingen unter meinen Augen, innerhalb weniger Wochen verlor ich an Gewicht und meine Instinkte spielten verrückt. Ich musste etwas zu mir nehmen, das wusste ich. Ich brauchte Blut. Dringend. Nur, woher sollte ich das bekommen? Yui – schoss es mir blitzartig durch den Kopf. Doch sofort schüttelte ich diesen heftig. Ich könnte es nicht über mich bringen, die Blonde auch noch zu beißen. Sie hatte schon genug mit den anderen Blutsaugern zu kämpfen, da brauchte sie nicht noch eine weitere Gefahr von jemandem, dem sie eigentlich vertraute.

Eines tristen Vormittags schlich ich mich auf leisen Sohlen aus meinem Zimmer. Im Zuge der Morgendämmerung vor einigen Stunden hatten sich die ungleichen Brüder in ihre Gemächer zurückgezogen. Dies wusste ich, da ich die letzten Wochen damit verbracht hatte verbissen ihren Alltagsablauf zu studieren. Jedes kleine Detail hatte ich mir eingeprägt, jede Chance zu entkommen vertiefte sich in meinem Hirn wie ein Brandzeichen. Es gab nicht viele Gelegenheiten sich aus dem Anwesen davon zu stehlen, doch mittags – wenn die Sonne am höchsten stand – verweilten die Tsukinamis stets in ihren privaten Räumen, als würden sie sich vor dem hellen Tageslicht verstecken. Genau dies war der günstige Moment, auf den ich so verbissen gehofft hatte, um endlich zu entkommen. Mit schnellen, nahezu lautlosen Schritten hastete ich durch den langen Korridor zum Treppenabgang in die Empfangshalle. Ich hatte nicht viel Zeit und wollte mir nicht einmal ausmalen, was die Brüder mit mir anstellen würden, wenn sie mich bei einem dann fehlgeschlagenen Fluchtversuch ertappten. Immerhin hatte ich Yuis bandagierte Arme gesehen. Diese beiden Kreaturen mussten noch so viel grausamer als die Sakamakis an ihren schlimmsten Tagen sein.
   Endlich war ich an der Treppe angekommen. Auf noch leiseren Sohlen schlich ich diese hinunter, die knarzenden Stufen bewusst überspringend. Nun trennten mich nur noch wenige Meter von dem gigantischen Eingangsportal, welches mir durch das schummrige Licht seiner bunt eingefärbten Mosaikfenster schon eine mich in Sicherheit wiegende Freiheit versprach. Mit einem Mal begannen meine Beine zu zittern. War das die Aufregung, mein Entkommen so greifbar in der Nähe zu haben? Wackelig torkelte ich auf das geschlossene Tor zu, nach wenigen Schritten schon die Hand zur golden schimmernden Klinke ausstreckend. Ich war so nah dran. So kurz davor, die frische frühjährliche Luft ein zu atmen, den kühlen Wind um meinen Körper zu spüren. Ich bemerkte nicht, wie meine Finger begannen zu kribbeln, wenig später wie auch schon meine Beine heftig zitterten. Ebenso wenig nahm ich wahr, dass meine Sicht langsam verschwamm, endlich griff meine eisige Hand um den ebenso kalten Türgriff. Das Portal schnappte auf.
   Meine Gliedmaßen gaben nach, als ich den entscheidenden Schritt über die Torschwelle machen wollte. Nein, schoss es durch meinen Kopf, nicht jetzt, nicht jetzt wo ich doch so kurz davor war zu entkommen. Das konnte einfach nicht wahr sein. Vor Entsetzen schloss ich meine Augen und wartete auf den dumpfen Laut beim Aufprall meines Körpers mit der steinernen Veranda des Anwesens. Jedoch blieb dieser aus. Anstatt auf dem kalten Boden aufzuschlagen fand ich mich in einem Paar erschreckend starker Arme wieder. Der Geruch eines teuren Eau de Toilettes stieg mir in die Nase, ein herzhaft dunkles Lachen rauschte mir durch die Ohren. Meine fahlen, blassen Wangen wurden nass. Die plötzlichen Tränen, welche aus meinen hoffnungslosen Augen strömten benetzten sie.
"Oh Kaida,"
säuselte nun Carla angsteinflößend, er musste ein breites, sadistisches Schmunzeln auf den hellen Lippen tragen,
"kleine, naive Kaida. Dachtest du wirklich, es wäre so einfach zu entkommen?"
Er hob mein Kinn an und starrte mir mit seiner golden leuchtenden Iris direkt in meine eisblaue. Wenn es überhaupt möglich war, wurde sein Grinsen nur noch breiter und furchterregender.
"Tu dir doch selbst den Gefallen, meine Liebe,"
sprach er nun leiser und beugte sich zu mir vor,
"und gib einfach auf. Akzeptiere dein Schicksal hier. Dann wirst du auch nicht mehr leiden müssen."
Mit schwachem Blick versuchte ich seinem Starren standzuhalten, was hatte er vor?
"Du musst fast ausgehungert sein,"
fuhr der Weißhaarige fort, strich mir dabei eine Haarsträhne aus dem Gesicht,
"dabei wäre es so einfach dich wieder zu Kräften zu bringen. Dafür musst du nur von nun an brav sein, mein Täubchen."
Er strich mir mit seinem kalten Daumen über die Lippen,
"wirst du das?"
Ich war plötzlich nicht mehr in der Lage, meine Augen von seiner goldenen Iris abzuwenden. Sie hatte mit einem Mal so etwas Tröstendes, Warmes. Zögernd nickte ich. Mein Gegenüber schmunzelte wieder,
"wundervoll,"
dann hielt er mir seinen Arm vor den Mund,
"und jetzt trink, meine Liebe."

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Hier bitte dramatische Musik einfügen. Ab jetzt wirds "dark".

Bis(s) Sie Mir Den Letzten Nerv Rauben (Diabolik Lovers FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt