Kapitel 16

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Als ich ging, umarmten Anne und Gemma mich sogar. Freudenstrahlend hüpfte ich die paar Stufen bei der Haustür hinunter und verließ das Grundstück.

Den kleinen Katzenanhänger hielt ich fest in der Hand. Das war das erste Geschenk, dass ich jemals bekommen hatte. Nach dem Unfall meiner Eltern jedenfalls, auch wenn ich mich an davor kaum noch erinnere.

Vor der Haustür zögerte ich. Wenn ich jetzt klingelte, wusste ich ja, was mich erwartete. War ich dafür bereit? Bis jetzt war doch alles so wundervoll gewesen ...
Warum konnte ich nicht in Harrys Armen bleiben?

Ich hab es einfach nicht verdient.
Ich habe es nicht verdient, Harry zu haben.
Ich habe es nicht verdient, dass Anne und Gemma mich mögen.
Ich habe dieses Stoffkätzchen in meiner Hand nicht verdient.

Ich verstaute das Stoffkätzchen in meiner Hosentasche und drückte die Klingel.

...

Kurz darauf saß ich, mit ein paar blauen Flecken mehr am Körper, im Badezimmer und setzte die Klinge an.

Eine Träne tropfte auf die offene Wunde und es brannte. Schön.

Ich lächelte ironisch. Gestern hatte ich mir noch gedacht, dass ich mit dem Ritzen aufhören sollte. Weil ich baden gehen wollte. Vielleicht in den Urlaub fahren. Mit Harry.

Wie naiv. So etwas würde nie passieren. Wie würde Harry sich für mich schämen, wenn ich mit nur einer Badehose an seiner Seite stände. Außerdem, wer weiß ob ich, wenn sich so eine Chance mal ergeben könnte, überhaupt noch hier wäre. Und selbst wenn ... man wird die Narben immer sehen. Mein ganzer Körper ist voll davon, tiefe Schnitte. Sowas vergeht nicht einfach nach ein paar Monaten. Vorallem nicht, wenn jeden Tag neue dazu kommen.

Bei den Gedanken drückte ich die Klinge nur fester hinein.

Warum war das alles nur so ungerecht.

Es ist nicht ungerecht. Ich habe es einfach verdient.

Nein.

Doch.

Es war alles ein Kampf mit mir selbst. Als wäre ich zwei Personen, die eine versucht verzweifelt wieder glücklich zu werden und die andere drückt die verzweifelte zu Boden.

Es ist klar, wer früher oder später gewinnen wird.

Nein. Ich schmiss die Klinge quer durchs Badezimmer gegen die Wand. Nein.

Harry war doch hier. Harry wird es schaffen mich aus diesem Loch heraus zu ziehen.

Zitternd rollte ich mich am Boden zusammen und vergrub meine Fingernägel in meinem Oberarm. Wo war meine scheiß Selbstkontrolle.

Wenn John mich so sehen würde, würde er bestimmt noch fester zutreten und meine Adoptiveltern würden mich auf die Straße setzen.

Was würde Harry tun? Würde er mir helfen wollen? Würde er mich mit Narben am Körper überhaupt noch akzeptieren? Würde er denn jemanden lieben, der sich selbst verletzt? Einen kleinen, dummen Psycho, der nicht mit sich selbst klar kommt? Er würde mich abstoßend finden.

Nein. Harry würde helfen, oder? Ich griff nach dem Handy. Wieso ihm nicht einfach alles schreiben? Wieso ihm nicht schreiben, dass es mir gerade so beschissen ging?

Ich hatte eine neue Nachricht von ihm.

Harry: Ich liebe dich.

Sofort legte ich das Handy wieder weg.

Ich konnte es ihm nicht schreiben. Wenn er mich nicht akzeptieren würde, was dann? Das war es nicht wert.

Am nächsten Morgen weckte mich mein Handywecker. Schule. Ich wollte nicht. Schule war eines der schlimmsten Sachen, die es gab. Wahrscheinlich würde sie mir Spaß machen, wenn ich nicht ich wäre.

Help me, please 》Larry《Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt