Familie

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»Ich habe mich schon gefragt, wann ich dich wieder sehe, Baby-Girl.«

»Keeley, das muss echt nicht sein.« Die Frau strich mir durchs Haar und lächelte.

»Sieht sie nicht bezaubernd aus, Clark?«, fragte sie ihren Ehemann und zerzauste meine Haare mit ihrer Hand.

»Wunderbar, sieht sie aus.«, bemerkte Clark sarkastisch und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

»Wenn jetzt noch Jackson auftaucht, sind wir komplett.«, bemerkte ich mit einem Grinsen. Carol saß bereits mit Benny in der Küche, während ich die Neuankömmlinge rein ließ. Die rothaarige Asiatin und mein Beinahe-Bruder waren aufgestanden, schlossen die beiden Besucher in Umarmungen.

Megan war vor zwei Tagen wieder abgereist, sie fehlte mir jetzt schon, doch ich klammerte mich an den Gedanken, dass ich Fynn und sie bald wiedersehen würde. Im Grunde in siebenundvierzig Tagen, die Hälfte hatte ich hinter mir. Siebenundvierzig Tage bedeuteten auch, dass ich Louis dann in meinen Armen halten würde, dass ich nicht mehr Schwanger sondern so richtig Mutter werden würde. Mit Windeln wechseln, füttern, zum Schlafen bringen. Panik überkam mich.

»Alles okay, Eve?«, fragte Benny mich sofort. Ich hasste es, dass ihm Gesichtsausdrücke anderer immer sofort auffielen. Ich hasste es, dass er wusste, wie man mit Menschen umgehen musste.

Mit einem aufgesetzten Lächeln sagte ich: »Klar, was soll schon sein.« Inzwischen musterten mich alle im Raum, Carol war die erste die sich abwandte.

Sie legte ihre Hand an Bennys Wange und drehte sein Gesicht in ihre Richtung. »Unser kleines Nesthäkchen ist schwanger, Benjamin, stress das arme Kind nicht noch mehr.« Dann drehte sie sich wieder zu mir. »Und du, Baby-Girl, komm her, wir spielen Mensch ärgere dich nicht, ganz wie früher.«

Und so machten wir es uns am Küchentisch bequem und spielten ein idiotisches Spiel, den alten Zeiten wegen. Während Clark, Keeley und Carol alle ein Bier vor sich stehen hatten, tranken Benny und ich ganz kulturell ein Glas Milch – jedenfalls tranken wir jedes Mal davon, wenn wir jemanden aus dem Weg schlugen oder überholten – oder eben wenn wir grade wollten -, hatte man sein „Haus" erreicht, exte man den restlichen Inhalt. Als ich älter wurde, hatten die vier das Spiel immer weiter abgemildert, vermutlich wollten sie mich nicht wegen jeder Scheiße einen Kurzen trinken lassen. Wobei ich bis jetzt nur einmal bei Mensch ärgere dich nicht Alkohol trinken durfte und das war eine Woche bevor Benny verhaftet wurde.

Nach sechs Jahren saßen wir wieder hier, alle an Bennys Küchentisch und spielten. Damals war Jackson noch hier gewesen und wir hatten uns in Teams eingeteilt. Mein Bruder und ich gegen die anderen zwei Teams. Auch heute spielten Benny und Carol sowie Keeley und Clark in einem Team, ich saß alleine, verfluchte Anastasia und würfelte als erste.

»Erzähl mal, Kleine, wir haben uns lange nicht gehört.« Clarks Worte zogen mich aus meinen Gedanken heraus. Auch wenn seine Haare von weitem schwarz aussahen, konnte man im Licht der Küchenlampe das eigentliche Blau erkennen. Keeley arbeitete als Friseurin, schon als ich jünger war, sie war es auch, die meine Haare zum ersten Mal färbte.

»Eigentlich, finde ich es ziemlich schade, dass nur Benny Fynn kennen gelernt hat, er hätte euch alle treffen müssen. Genauso hätte Megan euch kennen lernen müssen, wobei sie vermutlich panische Angst vor euch hätte.«, antwortete ich ihm.

»Megan ist goldig, ein wahrer Engel. Ich verstehe gar nicht, wie sie es mit dir aushält, Eve.«, mischte Benny sich ein. Ich streckte ihm die Zunge raus.

»Und ihr Lover? Fynn? Wie ist der?«, fragte Keeley grinsend an Benny gewandt.

»Blond. Amerikanisch.«

»Fynn ist wunderbar.«, entgegnete ich. »Er studiert Medizin.«

»Ein angehender Arzt? Er scheint all das zu sein, was wir uns je für dich wünschen könnten.«

Ich lachte. »Oh, er ist das komplette Gegenteil von dem, was ich eigentlich immer gewollt hatte.«

»Er raucht und hat ein genauso großes Alkoholproblem wie unser Nesthäkchen.«, erzählte Benny stattdessen weiter. »Im Grunde passt er perfekt in unsere Gruppe, nur eben, dass er total amerikanisch ist.«

»Ihr seid grausam, alle zusammen.«, bemerkte ich und nahm einen Schluck von meiner Milch, während Keeley würfelte.

»Deine Figur ist raus, Baby-Girl.«, teilte sie mir mit einem Lächeln mit und setzte sich ihre Bierflasche an die Lippen. Früher hatte es mich immer gestört, dass sie mich wie ein Kleinkind behandelten. Wobei ich in der Zeit wirklich noch ein Kleinkind gewesen war. Auf Keeleys und Clarks Hochzeit sollte ich das Blumenmädchen spielen, wobei ich an dem Tag bereits achtzehn Jahre alt war. Ich weiß noch, wie ich den kompletten Morgen durchgeheult hatte, weil Benny nicht dabei sein konnte und wie Carol letztendlich vorgeschlagen hatte, dass wir beide zusammen erscheinen könnten, als Gag. Bennys Königin und das Mädchen, dessen Bedeutung ein komplettes Geheimnis war. Niemand wusste, was genau zwischen den beiden ablief.

Die vier und mein Bruder, jedenfalls bevor Benny beinahe gestorben war, hatten mich unter ihre Fittiche genommen hatten, inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass ich von ihnen immer als Kind angesehen werden würde. Egal ob ich Schwanger wurde oder nicht, ob ich ein Kind großzog oder nicht – ich würde bis zu meinem Tod das Nesthäkchen bleiben.

Jedenfalls dachte ich das, bevor mich ein heftiges Ziehen überwältigte und ich mich erschrocken vornüber beugte. Ein Wimmern entfloh meinen Lippen und ich kniff die Augen zusammen.

»Alles okay, Kleine?« Carol, die neben mir saß, griff nach meiner Schulter und versuchte mich in ihre Richtung zu drehen.

Ich schüttelte energisch den Kopf. »Nein, nicht. Fuck!« Ich lehnte meine Stirn gegen die Tischplatte. »Oh, Shit. Es ist gleich vorbei, das war's immer. Scheiße!« Ich reagierte schon mein ganzes Leben lang auffällig aggressiv auf Schmerzen.

»Königin, wir fahren ins Krankenhaus, los.« Ich spürte wie Benny mich an den Schultern packte und mich vom Stuhl zog. »Carol, in meinem Handy ist Fynns Nummer eingespeichert.« Ich realisierte kaum, was um mich herum geschah.

»Ich fahr den Wagen vor.«, sagte Keeley so hastig, dass ihr gesamter Satz wie ein einziges Wort klang. Benny schien sie trotzdem zu verstehen.

Clark half meinem Beinahe-Bruder mich aus der Wohnung zu schaffen, die Treppen herunter und aus dem Gebäude heraus. Carol lief hinter uns her.

»Hör zu, Amerikanischer-Junge, deine Freundin kriegt ihr Kind – ich bin mir ziemlich sicher. Nein ich war noch nie schwanger, aber ihre verdammte Fruchtblase ist geplatzt

Ich lachte auf und verzog sofort das Gesicht. Mein gesamter Bauch fühlte sich an, wie ein Krampf. Ein allbekannter Krampf in der Wade, der hin und wieder auftauchte und einem das Leben für einen Moment zur Hölle machte. Nur war es mein Bauch und darin befand sich ein Kind, mein Sohn. »Benny, das stimmt doch gar nicht, ich hab noch sieben Wochen.«

»Es wird alles gut, Baby-Girl.«, wendete sich Clark stattdessen an mich.

Ich bezweifelte es, doch ich antwortete nicht mehr auf seine Worte.

Couple in a roundabout wayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt