Kapitel 3

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Hoch konzentriert klebten die Augenpaare beider Spieler am Fernseher. Die Finger huschten mit Lichtgeschwindigkeit über den Controller und man hörte nur ein ständiges Klicken. Sie waren beide so besessen darauf nicht zu verlieren, dass sie wahrscheinlich schon ihren Wetteinsatz vergessen hatten und es nur noch ums Prinzip ging. So wie es gerade jedoch aussah, wurde das ein extrem knapper Wettkampf. Beide hatten eine K/D von 29/29, der letzte Kill war also mehr als entscheidend. Hyacinth saß total steif und verkrampft, so konzentriert war er. Die Familienpizza würde er gerne ausgeben, was nicht ging war die Sache mit den Haaren.
Genau so verspannt saß Marco auf dem Rand des Drehstuhls und wippte mit dem Bein hektisch auf und ab. Um Nichts in der Welt würde er seine pingelige Körperhygiene aufgeben. Wahrscheinlich würden sofort alle in seinem Umfeld denken, er war auf die schiefe Bahn geraten. Ihm selbst grauste es bei dem Gedanken, das eigene Gesicht mit einem Vollbart geschmückt zu haben. Männlich hin oder her, das war zu viel des Guten. Sie waren beide so überkonzentriert, dass selbst ein Staubkorn sie aus der Fassung hätte bringen können. Und auf genau diesen Moment wartete jeder von ihnen. Eine Lücke der Konzentration für den einen, die Chance auf den Sieg für den anderen. Als sie sich endlich gefunden hatten vibrierte ein Handy und das war die Sekunde, in der Hyacinth unachtsam wurde. Mit lautem Jubelgeschrei sprang Marco von seinem Stuhl auf und führte eine Art Freudentanz auf. Hyacinth vergrub das Gesicht in seinen Händen, ließ die Schande über sich hereinbrechen. Er trauerte schon jetzt um sein braunes Haar und rutschte auf dem Sessel immer weiter nach unten. Um ein Haar hätte er den Controller gegen die Wand geworfen, doch da fiel ihm ein, dass es nicht sein eigener war. "Wer ist der Beste? Huh, wer ist der Beste?" sang Marco und tanzte noch immer wie ein Depp vor dem Häufchen Elend herum, das von Cinth noch übrig geblieben war. "Wer auch immer dir geschrieben hat, ich liebe ihn und küsse ihm die Füße!" er streckte dem Verlierer die Zunge raus und die Schadenfreude ließ sich nicht mehr bremsen.
"Und ich bring ihn eigenhändig um" jammerte dieser verzweifelt.
"Pink wird dir großartig stehen" das böse Grinsen auf Marco's Gesicht war angsteinflößend und gleichzeitig aufmunternd. Wenn man ihn so sah, glücklich wie ein kleines Kind, konnte selbst Cinth ein winziges Lachen nicht länger unterdrücken. Gleich darauf verzweifelte er aber wieder und fiel zurück in das bodenlose Loch des Verlierens. Es konnte auch sein, dass er es ein wenig überdramatisierte, aber er schien sich wirklich zu ärgern. "Hach, ich bin so froh, dass ich mein Handy aus mache, wenn du hier bist" strahlte der Gewinner und er fühlte sich unschlagbar. Er hätte sich glatt selbst auf die Schulter geklopft für diese Glanzleistung.
"Ich hasse mein Leben" jammerte Cinth gekünstelt und rollte sich wie ein Embryo auf dem Boden zusammen.
"Ach komm, so schlimm ist das auch nicht." versuchte Marco seinen besten Freund wenigstens ein bisschen zu trösten, ohne es wirklich zu versuchen. Dieser nahm endlich die Hände von seinem Gesicht und starrte ihm ernst in die Augen. "Okay, du hast Recht, das ist schlimm" die tiefen Lachfalten durch sein momentanes Dauergrinsen ließen Marco aussehen, wie einen alten Mann. "Willst du nicht wissen, wem du dein Todesurteil zu verdanken hast?"
"Judas"
"Jetzt hör schon auf zu schmollen und guck nach" schmunzelnd trat Marco dem am Boden Liegenden leicht gegen den Fuß.
Stöhnend zog sich der Embryo zum Bett, wo sein Handy lag. Er erhob sich endlich und entsperrte das kleine Gerät mit vier Zahlen. Genervt legte er den Kopf in den Nacken und hätte das schwarze Handy gern wieder zurück auf die Matratze geworfen. "Und?" fragte Marco. "Wem muss ich die Füße küssen?"
"Lia" kaum hatte Hyacinth den Namen ausgesprochen, da verschwand das Lächeln auf den Lippen des Italieners.
"Will sie wieder wissen wo du bist?" der giftige Unterton war genau so hörbar, wie ihm die Eifersucht ins Gesicht geschrieben war. Lia war die Freundin des deprimierten Verlierers und Marco konnte sie beim besten Willen nicht leiden. Er würde beinahe behaupten sie zu hassen.
"Sie macht sich halt Sorgen" Hyacinth glaubte selbst nicht was er da von sich gab.
Ein höhnisches Lachen, eher ein Zischen, verließ Marco's Kehle. "Klar. Wie viel Uhr haben wir nochmal?" das Hochgefühl des Sieges und die gute Laune war komplett verflogen.
"Komm, lass das." bat Cinth, der selbst von den Aktionen Lia's genervt war.
"Ja, klar. Tun wir einfach so, als wäre deine Freundin kein Kontrollfreak, sondern einfach nur besorgt, kein Ding" er zog das Wort 'besorgt' ins Lächerliche, indem er es mit den Fingern in Anführungszeichen setzte.
"Jetzt Übertreib mal nicht, ich weiß, dass du sie nicht leiden kannst, das ist kein Grund sie schlecht zu machen."
"Ja, ganz genau ich kann sie nicht ab. Ich, der normalerweise jeden sofort heiraten würde. Mach dir da mal ein paar Gedanken drüber" beleidigt verschränkte er die Arme und drehte sich weg. Lia war ein ausgesprochen hübsches Mädchen, das war gar keine Frage. Aber bei dem Gedanken an ihren Charakter drehte sich Marco der Magen um. Sie war nicht nur kontrollsüchtig sondern auch unhöflich, taktlos und eine riesige Zicke zu jedem der nicht Hyacinth Jones hieß. Wann immer er den Raum verließ verwandelte sich das niedliche kleine Mädchen in eine zynische Furie die jeden abstechen würde, der sich zwischen sie und ihren Freund stellte. Und aus dem Grund war ihr Marco auch ein ganz besonders großes Dorn im Auge. Sie konnte es nicht haben, dass ihr Liebster mehr Zeit mit ihm verbrachte, als mit ihr. Jedes Mal wenn sich die beiden begegneten war es ein unausgesprochener, eiskalter Krieg. Die Blicke beider hätten den jeweils Anderen schon lange töten, oder zumindest erstarren lassen müssen, aber glücklicherweise konnte der Blickkontakt nichts weiter ausrichten, als dem Gegenüber seine Unerwünschtheit zu übermitteln.
Cinth atmete tief aus. "Ich weiß ja" er ließ sich auf das hohe Bett fallen und starrte auf sein Handy, unschlüssig darüber ob er ihr antworten sollte.
"Trenn dich doch einfach von ihr. Du bist selbst genervt und so lange seid ihr noch nicht mal zusammen. Ist ja nicht so als wäre es die große Liebe" die letzten beiden Worte schmückte Marco wieder mal mit seinen Händen aus, indem er die Handflächen wie einen Regenbogen auseinander gehen ließ.
"Ich mag sie, ok?" warf Cinth jedoch ein.
"Oh wow. Ich mag Joey auch, deshalb laufen wir nicht händchenhaltend durch die Gegend und schenken uns Schokolade zu Festtagen. Oder schreiben uns gegenseitig mitten in der Nacht um herauszufinden wo der Andere gerade rumhängt" fügte er bissig hinzu.
"Nichtmal für Geld würde Joey mit 'nem Typen ausgehen"
"Es geht ums Prinzip, Hyacinth." betonte er den Namen ernst und dem Angesprochenen lief es kalt den Rücken runter.
"Ok, ok, reg dich ab. Wenn du mich schon so nennst, bist du kurz vor'm hyperventilieren." er hob verteidigend die Hände. "Beruhig dich" sagte er leiser.
Marco rieb sich die Schläfen. "Mir soll's egal sein, ich muss sie nicht ertragen" Aber es war ihm nicht egal und er musste sie sehr wohl ertragen. Schmollend setzte er sich zurück auf den Stuhl und überkreuzte die Arme ein zweites Mal vor der Brust. Den Blick hatte er starr auf den Bilfschrim gerichtet, wo man noch immer seinen Sieg sehen konnte.
"Hey..." versuchte Cinth sein Glück seinen wütenden Freund wieder aufzumuntern. "Hey, Marco sei nicht so" er legte den Kopf zur Seite um einen scheinheiligen Eindruck zu machen.
"Was denn" giftete er und drückte sich weiter in die Rückenlehne des Stuhls.
"Komm schon." Cinth erhob sich wieder und trottete zu dem Jungen mit dem Schmollmund. "Soll ich dir was verraten?" er stützte sich auf die Armlehnen und beugte sich ein wenig zu ihm herüber, weshalb er einen riesigen Schatten auf Marco warf. Dieser zuckte nur mit den Schultern und vermied Augenkontakt. "Ich muss mir die Haare pink färben" er sprach es so aus, als wäre er stolz. Daraufhin zuckten Marco's Mundwinkel und letztendlich lächelte er doch wieder bis über beide Ohren. Er sah seinem Besten in die Augen und auch dieser lächelte glücklich darüber, dass er Erfolg dabei hatte die Stimmung wieder zu heben und Marco grinsen zu sehen.
"Ich hasse dich" lachte der Blonde in sich hinein und schubste ihn an der Schulter.
"Tust du nicht" der Größere grinste breit.
"Doch und jetzt hau ab, du bist zu nah, ich riech' deinen Knoblauchatem" er kickte seinem Gegenüber gegen den Oberschenkel, damit er sich endlich entfernte. Gegen die Nähe hatte er zwar eigentlich nichts, aber es hätte ihm definitiv die Röte ins Gesicht getrieben, wenn er noch länger so über ihm gehockt hätte. Lachend und kopfschüttelnd ging sein Freund dann seiner Bitte nach und die kleine Auseinandersetzung war schon wieder vergessen.

》Colourful《Where stories live. Discover now