Kapitel 9

544 31 5
                                    

„Was?" Meine Stimme kratzte. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Antwort hören wollte. Das Wort „beichten" ließ meine Knie weich werden und sorgte dafür, dass sich langsam ein riesen Kloß in meinem Hals bildete. Verunsichert von meinen Gedanken schloss ich die Augen und atmete tief durch, während ich auf ihre Antwort wartete. Doch sie kam nicht.

Also flatterten meine Augen wieder auf und starrten in das besorgte Gesicht meiner besten Freundin. Wenn sie mich so ansah, wusste ich, dass etwas nicht stimmte.

„Lena, sag mir, was los ist!" forderte ich sie mit etwas Druck auf. Auch wenn ich nicht wusste, was mich erwarten würde, wollte nun endlich wissen, was sie mir verschwieg.

Zögernd wich sie meinen drängenden Augen aus, sodass sie stattdessen den Boden betrachtete.

Nach ein paar wenigen Sekunden sah sie auf und wirkte entschlossener.

„Komm mit" Sie nahm mein Handgelenk und zog mich durch das Gebäude. Verwirrt, ließ ich mich bis in die Cafeteria ziehen.

„Setz dich" forderte sie mich auf. Normalerweise hätte ich trotzig die Arme verschränkt, doch mir war nicht danach. Alles was ich wollte, war die Wahrheit.

„Ich war vorhin nicht ganz ehrlich zu dir", begann sie und rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her, „Ich habe Dylan heute zwar noch nicht gesehen aber dafür die halbe Schule. Er hat auf dem Schulflur heute Morgen einen Jungen aus der Stufe unter uns verprügelt und zwar so sehr, dass dieser ins Krankenhaus gebracht wurde."

Lena stoppte und atmete noch einmal tief durch. „Dylan wurde von der Polizei festgenommen."

Ich war sprachlos. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte aber definitiv nicht so etwas. Dylan und Gewalt? Das passte nicht so recht zusammen. Mir war klar, dass ich so gut wie gar nichts über ihn wusste aber einen jüngeren zusammen schlagen? Würde er das wirklich tun?

Mein Kopf drohte zu platzen, weswegen ich mich schwankend von dem Stuhl erhob und desorientiert in eine Richtung lief. Dabei hörte ich auch nicht die Rufe meiner besten Freundin, die wissen wollte, wohin ich ginge.

Die ganze Zeit dachte ich nur daran, dass ich einen Schläger in mein Haus gelassen hatte. Wenn er schon nicht davor zurückschreckte, einen Schwächeren zu verprügeln, was würde er sonst noch tun? Wie weit würde er gehen? Er hätte mir etwas antun können. Wieso hatte ich nicht nachgehakt und ohne nachzudenken einen Fremden bei mir übernachten lassen? Wie konnte ich nur so dumm sein. Seine Großeltern mussten einen guten Grund gehabt haben, wenn sie ihn rausgeschmissen haben. Ich kannte diese Leute seit ich ein kleines Baby war, sie hätten ihn nie einfach so rausgeschmissen, dazu waren sie zu gutmütig. Was hab ich mir nur dabei gedacht?

Ehe ich mich versah trugen mich meine Füße schon aus dem großen Schulgebäude und rannte den ganzen Weg zurück nach Hause, mein Kopf dabei vollkommen ausgeschaltet. Ich fokussierte mich nur auf meinen Instinkt und dieser sagte mir, ich bräuchte Antworte.

Also vergaß ich alles andere um mich herum, wie zum Beispiel, dass ich eigentlich in den Unterricht müsste und gerade eben meine beste Freundin einfach sitzen gelassen hatte.

Als ich in meine Straße einbog, kamen mir plötzlich Zweifel, ob dies wirklich so eine gute Idee ist. Doch ich redete mir ein, dass ich keine andere Wahl habe, dass ein nun kein Zurück mehr gibt. Kurz bevor ich das Grundstück Dylan's Großeltern betrat, holte ich tief Luft und drückte auf die Klingel.

Eine Sekunden passierte gar nicht bis plötzlich Schritte auf dem Flur zuhören waren, sodass ich leicht Panik bekam und hektisch ein und aus atmete.

Die Tür wurde aufgerissen und eine strahlende ältere Frau mit lockigen, weißen Haaren blickte mit überraschtem Ausdruck auf mich herunter.

„Bella, dich habe ich ja schon lange nicht mehr zu sehen bekommen" Ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, scheinbar erfreut mich wieder zusehen. Sie wusste schließlich auch nicht, weswegen ich gekommen war. Plötzlich kam mir meine Idee völlig dumm vor.

Aus Höflichkeit lächelte ich zaghaft zurück, bevor sie mich in ihr Haus bat.

„Hätte ich gewusst, dass ich Besuch bekommen würde, hätte ich Kuchen und Kekse gebacken aber nun kann ich dir leider nur einen Tee anbieten." Erstaunt, fragte ich mich wie so eine liebe Frau so einen Enkel haben konnte.

„Nein danke, machen sie sich keine Umstände, ich wollte sowieso nicht lange bleiben." Kurz flackerte Enttäuschung in ihren Augen auf, bevor sie mir wieder ein kleines Lächeln schenkte und mich aufforderte, mich auf das Sofa zu setzen. Also ließ ich mich auf dem Sofa nieder, während sie sich gegenüber von mir auf den kleinen Beistellsessel setzte. Nervös wischte ich andauernd meine schwitzigen Hände an der Hose ab und fühlte mich von Sekunde zu Sekunde unwohler, da ich einfach nicht wusste, wie ich sie auf Dylan ansprechen sollte. Ich wollte sie auf keinen Fall traurig machen oder in irgendeiner Weise verletzen, denn das hatte sie nicht verdient. Doch ich musste irgendwas sagen, ich musste die Wahrheit rausfinden. Auch wenn es mich eigentlich überhaupt nichts anging, da ich vor gestern noch nicht einmal einen Satz mit ihm gewechselt hatte, beschäftige mich nichts mehr als diese Sache. Um ehrlich zu sein, hatte ich den mysteriösen Jungen schon lange beobachtet, hatte jedoch nie genug Mut aufbringen können ihn wenigstens zu begrüßen, wenn ich ihm begegnete.

Frau Willow schien zu bemerken, dass mich etwas bedrückte und erhob sich aus ihrem Sessel, um in die Küche zu gehen. Nach einer Zeit tauchte sie mit einer dampfenden Tasse in der Hand wieder auf und drückte sie mir in die Hand. Heiße Schokolade.

„Nach einer Heißen Schokolade sieht die Welt schon ganz anders aus" schmunzelte die Frau vor mir sanft. Ich konnte nicht anders als zu lächeln.

Und wirklich, nach ein paar Schlucken ging es mir erheblich besser und ich fühlte mich bereit, mehr über Dylan zu erfahren. Hoffentlich würde sie überhaupt mit mir über ihn reden wollen.

„Weswegen ich eigentlich hier her gekommen bin" fing ich an „Ich wollte sie etwas über Dylan fragen."

Es war raus und eine Stille entstand im Raum. Sie hielt inne und ein schmerzlicher Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht.

„Ich wollte sie nicht- ich" stotterte ich, verzweifelt daran versucht die Situation zu retten.

„Nein, nein, schon okay. Es ist nur noch nie jemand gekommen, um nach Dylan zu fragen." Sie schien nachdenklich.

Ich wusste nicht, was ich darauf antworten könnte, also blieb ich stumm.

„Was genau möchtest du denn über ihn wissen?" Ich hatte nicht erwartet, dass sie nun doch über ihn reden wollte. Was genau wollte ich denn wissen?

Ich wollte so vieles über ihn erfahren. Wieso er bei seinen Großeltern lebte und nicht wie üblich bei seinen Eltern. Wieso die Willows ihn rausgeschmissen hatte. Es gab so viele offene Fragen.

„Ich habe gehört, dass er heute einen jüngeren Schüler zusammengeschlagen hat. Wieso?" fragte ich leise. Sie nahm einen tiefen Luftzug und seufzte.

„Wieso? Ich kann dir nicht sagen, wieso er es tut. Er wird seine Gründe dafür haben, alles hat seine Gründe. Man kann sich darüber streiten, ob seine Gründe wirklich seine Taten rechtfertigen." ,Begann sie stockend, „Ich wünschte, ich wüsste wieso er das tut. Es ist nicht das erste Mal, weißt du. Irgendwas in seinem Leben hat ihn verändert. Zu diesem Mensch gemacht, der er jetzt ist." Eine einzelne Träne bahnte sich aus ihrem wässrigen Auge und rannte lautlos über ihr altes Gesicht.

Scheinbar schien er nicht der Mensch zu sein, für den ich ihn gehalten hatte. Vielleicht hätte ich mich von ihm fernhalten sollen. Vielleicht hätte ich ihn nach dieser Nacht einfach aus meinem Gedächtnis verbannen sollen. Jetzt war es zu spät.

-

Ein neues Kapitel! Und ein ziemlich verwirrendes dazu, finde ich. Irgendwie geht es mir alles zu schnell aber das kann man jetzt nicht mehr ändern. Ich hoffe, euch gefällt die Story trotzdem noch.



JUST ONE TOUCH x Dylan O'BrienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt