Kapitel 5

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Der restliche Tag verlief wie gewohnt. Nach der Schule ging ich mit zu Lena, wo sie zwei Stunden lang über unwichtige Dinge redete. So wie sie es immer tat. Und hörte ihr nicht zu. Auch so, wie ich es immer tat.

Auf dem Weg nach Hause stöpselte ich meine Kopfhörer in die Ohren und regelte die Lautstärke der Musik hoch. Dann schlenderte ich lustlos und müde die Straße herunter. Es war mittlerweile schon Abend und der Himmel dementsprechend dunkel. Die Erinnerung an die Nacht, in der die Party stattfand, schlich sich wieder mal in mein Gedächnis, die ich jedoch versuchte aus meinem Kopf zu verbannen. Nur keine Angst, sagte ich mir immer wieder. Aber es half nicht. Kein bisschen. Immer und immer wieder dachte ich an den blutigen Handabdruck auf Lenas Bluse. Der Handabdruck, der diesem merkwürdigen Jungen gehörte. Vielleicht hätte ich weglaufen sollen, als er stehenblieb. Ich wusste nicht einmal ob es Angst war oder die Tatsache, dass ich mir den Kopf angehauen hatte, weswegen ich mich nicht sofort aus dem Staub gemacht hatte. Ich meine, ich hatte sogar zugelassen, dass dieser Typ mir eine Hand auf die Schulter legt. Er hätte ein Pädophiler sein können oder ein Irrer, der mich hätte abschlachten wollen. Wie dumm war ich eigentlich?

Inzwischen war ich in meiner Straße angekommen. Ein paar Laternen belichteten die Häuser leicht und es war unheimlich ruhig. Aber das war nichts Außergewöhnliches. Da in meiner Straße fast nur Rentner wohnten, die um 19 Uhr schon schlafen gingen und normalerweise nie besonders laut waren.

Plötzlich sah ich einen Schatten. Etwas bewegte ich in dem Garten der Willows. Was ist das? Nein eher, wer ist das? Eine dunkle Gestalt saß auf den Treppen unseres Nachbarhauses. Leise ging ich näher an die Person heran. Je näher ich kam, desto besser konnte ich erkennen, dass es ein Junge war. Die Hände waren in den kurzen Haaren vergraben und er atmete scheinbar frustriert tief ein und aus, wobei jedes Mal ein kleiner Nebelhauch empor stieg. Er trug nur ein dünnes T-Shirt, obwohl es gefühlte Minusgrade hier draußen waren. Vorsichtig schlich ich mich an ihn ran, obwohl man es nicht wirklich als schleichen bezeichnen konnte. Durch die Stille hörte man jeden meiner Schritte. Er musste sie wohl auch gehört haben, denn er nahm langsam seine Hände von seinem Kopf und heftete seinen Blick auf mich. Dunkelbraune Augen starrten unsicher in meine. Sein Gesichtsausdruck wirkte verzweifelt und eine Gänsehaut zog sich über seine Arme. Er musste schon ziemlich lange dort sitzen, denn er zitterte heftig. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ob ich überhaupt etwas sagen sollte. Doch nach kurzem Zögern tat ich es.

„Was machst du hier, Dylan?" flüsterte ich, sodass er mich gerade noch so verstehen konnte. Dylan wohnte seit zwei Jahren neben an, bei seinen Großeltern. Seit er hier hinzog, gab es bei den Willows öfters Streit, weswegen die anderen Leute aus dieser Straße sich schon ein paar Mal beschwert hatten. „Ich wusste, dass dieser Junge nur Ärger bedeutet.", hatte ich Dylans Großvater einmal schreien gehört.

Dylan zuckte nur mit den Schultern. Dann sah er über den Zaun hinüber und starrte in die Dunkelheit. „Ich weiß nicht", antwortete er nach einer Zeit, als ich es fast aufgegeben hatte, noch eine Antwort zu bekommen. Er senkte den Blick und sprach weiter „Meine Großeltern haben mich rausgeschmissen, schätze ich." Danach herrschte wieder Stille. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Es war zu spät, jetzt noch auf unbeteiligt zu tun und einfach in meinem Haus zu verschwinden. „Du kannst bei mir schlafen" sagte ich ohne nachzudenken „also nur, wenn du willst."


JUST ONE TOUCH x Dylan O'BrienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt