Erstes Kapitel - Verunsicherung

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Erstes Kapitel – Verunsicherung







Ich richte die Tasche auf meiner Schulter und streiche mir die schwarzen Haare aus dem Gesicht. Mein Handy klingelt lautstark los. Ein leises Seufzen verlässt meineLippen, denn zu allem Unglück regnet es dicke Tropfen vom Himmel. Trotzdem krame ich es aus meiner Jacke und gehe ran.

"Ja?",frage ich. "Hallo?"

"Alice...", höre ich die atemlose Stimme meines Vaters.
"Dad?"

"Wo bist du gerade?", will er wissen.

Ein komisches Gefühl breitet sich in meinem Magen aus. Etwas an dem Tonfall meines Vaters stimmt nicht.

"Fast bei mir Zuhause. Wieso?", antworte ich.

Er atmet laut aus. "Pass auf dich auf.", bittet er mich.

"Mach ich, Dad.", gebe ich zurück.

"Aber du weißt, dass ich gut auf mich allein aufpassen kann."

"Natürlich weiß ich das."

"Gut.", murmle ich, bevor ich mir mit der linken Hand übers Gesicht streiche.

Dieser Regen ist wirklich verdammt nervtötend.

"Ich leg dann jetzt auf.", entscheide ich, doch mein Vater unterbricht mich.

"Nein!" Beinahe wäre ich von seinem Schrei zusammen geschreckt.

Was zur Hölle stimmt denn heute nicht mit ihm?

"Was ist los?", frage ichsofort besorgt, denn es ist mehr als offensichtlich, das etwas nicht stimmt.

Schließlich führt er sich sonst nicht so auf. Er weiß, dass ich mich selbst verteidigen kann und stark genug bin. Also ist dieses Telefonat völlig merkwürdig.

"Ich...ich...habe noch eine Frage.", sagt mein Vater.
"Ja?"
"Hast du den Taser, den ich dir gegeben habe, immer noch bei dir?"
"Jeden Tag.", bestätige ich.
"Gut.", sagt er. "Du wirst ihn brauchen. Such' nicht nach mir."

Ein lauter, verzerrter Aufschrei seinerseits ertönt, bevor die Verbindung unterbrochen ist.


Augenblicklich beginnt mein Herz schneller zu schlagen. "Verdammte Scheiße.", entkommt es mir.
Ich habe Angst. Ehrlich Angst, das meinem Dad irgendetwas zugestoßen ist.
Für ein paar Sekunden stehe ich unsicher da, wegen seiner letzten Worte.


Such' nicht nach mir.


Ich kann ihn nicht einfach im Stich lassen. Egal was er sagt, egal worum es geht. Also schlage ich die Richtung zur Wohnung meines Vaters ein und renne. So schnell ich kann. Der Regen unter meinen Füßen lässt mich ab und an rutschen. Ansonsten bin ich standfest.

Danke an das beschissene, dünne Profil meiner Schuhe.
Meine Gedanken kann ich nicht mal annähernd ordnen.
Ein wenig außer Atem komme ich eine – gefühlte –Ewigkeit später bei dem Häuserblock an, in dem mein Vater eine Wohnung hat. Der Regen prasselt immer noch stetig hinab, während ich in meiner dunklen Tasche nach dem Ersatzschlüssel für Notfälle krame.
"Komm schon.", murmle ich mir selbst nervös zu.
Meine Finger zittern ein wenig, als würde sich eine dunkle Vorahnung in mein Unterbewusstsein schleichen.

Es fühlt sich an wie eine Erlösung, als ich ihn in den Händen halte. Endlich.

Ich schließe die Tür auf und verzichte darauf, auf den Fahrstuhl zu warten. Hektisch renne ich die Treppe nach oben. Ich sollte mich selbst daran erinnern, Dad zusagen, dass er nächstes Mal gefälligst in den ersten Stock und nicht in den Siebten ziehen soll.

Etwas außer Atem – nicht sehr – und mit rasendem Herzen laufe ich zur Haustür, stecke den Schlüssel herein. Vorsichtig, sogar etwas aufgeregt, drehe ich ihnso leise wie möglich herum. Ich gehe davon aus, dass mein Dad Zuhause ist. Wenn nicht dann muss ich mir was anderes einfallen lassen. Aber für gewöhnlich ist mein Vater montags nach der Arbeit sofort hier. Falls irgendjemand hier ist, greife ich nach dem Taser, von dem er am Telefon gesprochen hat.

So leise wie möglich, ich presse die Lippen fest zusammen, schließe ich die Tür hinter mir. Schon im Flur sehe ich das gedimmte Licht aus dem Wohnzimmer. Den Taser umklammernd, betrete ich es. Ich sage nichts.
Denn sollte jemand hier sein, will ich ihn nicht umbedingt auf mich aufmerksam machen.
Das Beunruhigenste an der ganzen Sache: Es gibt kaum etwas, das mein Vater fürchtet. Und das hier scheint eine sdieser Dinge zu sein. Als ich den Kopf um die Ecke wende, reiße ich die Augen auf. Ich weiß nicht genau, ob ich jetzt beruhigt sein soll, oder noch verängstigter.
Mein Vater liegt dort. Mein Vater liegt dort.

Eine blutende Wunde am Hinterkopf und gefesselt. Möglichst still gehe ich zu ihm, hocke mich neben ihn und löse die Seile. "Dad...", flüstere ich. "Dad...hey..."


Ich höre ein Knarren und fahre sofort hoch. Den Taser, den ich so leichtsinnig wie ich bin, für ein paar Sekunden neben mir abgelegt habe, greife ich sofort wieder.
Dad scheint das Bewusstsein verloren zu haben und einen kurzen Moment überlege ich einen Krankenwagen zu rufen. Wer weiß wie schlimm das ganze ist? Aber es klang nicht so als hätte er das gewollt.


Das ist doch Quatsch, denke ich.Jeder Mensch der bei klarem Verstand ist, würde sofort einen Krankenwagen rufen. Vor allem wenn es um den eigenen Vater geht.


Ich sehe mich um, lausche so gut ich kann.
Entweder ist jemand in der Wohnung und deswegen habe ich das Knarzen gehört, oder es war wegen mir. Ob mich jemand in eine Falle locken will? Doch ich kann jetzt nicht einfach jemanden anrufen, bevor ich nicht sicher gegangen bin. Völlig im Zwiespalt stehe ich da, völlig nervös und verunsichert.

Die ganze Zeit probiere ich, zu denken wie mein Vater, doch es funktioniert einfach nicht.
So bescheuert das auch klingen mag, ich nehme mein Handy, wähle die Nummer des Notrufs und will mich währenddessen umsehen.


Doch gerade als ich auf den grünen Hörer drücken und zurück in den Flur will, werde ich von hinten gepackt.


Das Handy fällt mir aus den Händen und auf den Boden. Es landet neben dem Taser, den ich vor Schreck ebenfalls fallen lassen habe. Ich könnte mich selbst schellen. Schreckhafte Vollidiotin!

Ich versuche einen klaren Gedanken zu fassen, aber alles, was ich ganz klar und deutlich wahrnehmen und realisieren kann, ist die eiskalte starke Hand, die über meinem Mund liegt.






Hunt you down | Captain America [#1] ✔Where stories live. Discover now