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Ich strich mit meinen kalten Händen über den Lack der Fotos, die Marlin mir soeben wiedergegeben hatte. Es war unsere letzte Sitzung, also Freitag. Ich war unruhig, doch dies lag nicht an den Ferien. Christoph hatte mich angerufen, dass er sich um drei mit Tyler an meiner gehassten Brücke treffen würde. Ich wollte zusehen, auch wenn es nicht richtig war, das Treffen sollte um drei Uhr stattfinden, ich hatte nur noch ein paar Minuten, da die Fahrt nicht allzu lange dauern würde.

»Was denkst du, wenn du diese Bilder siehst?«, fragte sie mich, wobei ich scharf die Luft einzog, um dann einen Blick auf unsere glücklichen Gesichter zu riskieren. Ich hatte dieses Foto geliebt, aber wie konnte ich es nur in meinem unsicheren Spind lagern? Es war doch klar, dass sie mir zum Verhängnis werden würden. Gerade jetzt wo Marlin sie gesehen hatte und wollte, dass ich sie mir ansah... wozu sollte das schon gut sein?

»Dass mein Leben damals ein Traum war, aus dem ich seit ihrem Tod erwacht bin.«, sagte ich trüb, doch sie schüttelte nur stumm mit dem Kopf.

»Nein, sieh genauer hin. Lass dabei die Schuldgefühle außer Acht. Wir sind auf einem guten Weg, ich werde nicht zulassen, dass dieser Teil in dir es kaputt macht.« Dieser Teil in mir, was für ein Teil? Etwa der, der sich selbst die Schuld für den Verlust gab? Etwa der, der nicht darüber hinwegkommen wollte? Es war doch eine einzige Zwickmühle. Ich warf einen weiteren Blick auf unsere vor Freude strahlenden Gesichter, während wir auf dem Konzert von Passenger waren. Wir waren fast durchgedreht, als wir die Tickets bekommen hatten.

»Was machen deine Erinnerungen?«, fragte sie mich als meine Gedankengänge sich zum Ende bewegten. Die Erinnerungen... ich hatte sie beinahe vergessen. Es waren fast nur noch die Träume, die mich so festhielten.

»Warum soll ich mir das Foto ansehen? Das ergibt doch keinen Sinn.«, wechselte ich das Thema. Sie lachte nur leise auf.

»Woran denkst du wenn du es siehst?«, hackte sie sich weiter in mein Inneres. Ich legte den Kopf in den Nacken. Es war lustig, auch wenn ich traurig war, empfand ich auch große Freude, immerhin hatten wir Monate darauf gespart nur um billige Plätze zu kriegen, aber das war es uns wert gewesen.

»Ein einen ziemlich guter Abend... wir haben viel gelacht.«, hielt ich mich so kurz wie ich nur konnte. Sie lächelte zufrieden und warf einen Blick auf ihre Uhr.

»Nur unsere Erinnerungen machen den Moment zur Wirklichkeit, Kathrine. Denk darüber nach, unsere Zeit ist um.«

Ihre Worte gingen mir noch immer durch den Kopf, als ich ihr Büro verlassen hatte. Es lag eine schwere Wahrheit darin, die für mich nur schwer zu verdauen war. Ich hatte seitdem wir nach Bristol gezogen waren jede noch so kleine schlechte Erinnerung durchgekaut, sei es Dr. Grayson, meine Eltern oder Lucy. Dabei hatte ich die Guten fast gänzlich außer Acht gelassen, sie beinahe beiseitegeschoben. Aber vielleicht war auch gerade das so schlimm gewesen, denn nicht umsonst hieß es, dass die Person in den Erinnerungen weiterlebte. Doch wie sollte Lucy das, wenn ich mich nur an ihren Tod erinnerte? Sie hatte es verdient zu leben, das hatte ich selbst einmal gesagt. Ich schob die Gedanken beiseite, weg waren die Spielereien aufzugeben. Nicht jetzt, ich durfte nicht aufgeben und meiner selbst zerfallen. Das hätte Lucy niemals gewollt. Wenn ich mir nicht verzeihen konnte, dann sollte ich es wenigstens für sie weiter versuchen.

»Das kannst du nicht tun!«, hörte ich eine gebrechliche Stimme durch die leeren Gänge schreien. Ich erstarrte sofort als ich diese erkannte, Ashley. Mit dem Rücken an die Wand gepresst, spähte ich vorsichtig um die Ecke. Sie war es wirklich, das Handy an ihr Ohr gepresst, lehnte sie sich mit Tränen in den Augen gegen den Spind.

»Ich kann das nicht ohne euch.«, wimmerte sie zerbrechlich und sah auf ihr Handy, welches sie gerade vom Ohr genommen hatte. Ihr blondes Haar verdeckte dabei ihr Gesicht. Als nächstes hörte ich einen lauten Knall, bei dem es sich wahrscheinlich um ihr Handy gehandelt hatte, welches in einer hohen Geschwindigkeit den Weg gegen die Spinde vor ihr gefunden hatte.

Die Stille nach dirOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz