9

193 36 22
                                    

»Erzählen Sie mir etwas über sich Kathrine.«, forderte mich Dr. Grayson während unserer ersten Stunde auf. Was erwartete er von mir? Warum hörte niemand auf mich? Meine Eltern machten sich solche Sorgen um mich, aber sie verstanden mich nicht. Als sie mir sagten, dass sie mich zu Dr. Grayson schicken wollten, hatte ich es über mich ergehen lassen. Es war mir egal was mit mir passierte, ich konnte und wollte keine Welt ohne Lucy. Nun kamen wieder die Leute, die mir sagten wie schön das Leben doch sei, aber sie redeten von Dingen, die sie nicht verstanden. Wie würde sie sich fühlen, wenn einer der wichtigsten Personen in ihren Leben von einer Sekunde auf die andere tot wäre und es ihre Schuld war?

»Was?«, fragte ich mit rauer Stimme, da ich sie seit Tagen nicht mehr richtig benutzt hatte. Ich musste bald wieder in die Schule, allein in die Klasse, der Platz neben mir war nun frei und es würde für mich stets so bleiben. Die Lehrer sollten sich vielleicht freuen, vielleicht herrschte nun mehr Ruhe im Unterricht.

»Nun ihre Freundin Lucy ist gegangen, ich würde gern wissen wie Sie sich zurzeit fühlen.« Er hatte Psychologie studiert, sollte er es nicht genau wissen? Ich fühlte mich wie ein Wrack, obwohl das noch untertrieben zu sein schien. Es war so als wäre ich in einem Film, ich war nur der äußere Beobachter, der nicht in die Handlung eingreifen konnte. Ich fühlte mich leer, früher war die Welt farbig, nun schwarz weiß.

»Als ob ich tot wäre, aber irgendwie noch lebe.« Das traf es wohl am ehesten. Tot aber dennoch lebendig, Lucy hätte mich für diese Worte Zombie genannt. Der Gedanke an sie oder allein ihren Namen taten weh.

»Reden Sie darüber.«, forderte er mich weiter auf zureden. Ich setzte mich nun endlich gerade hin und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Alles hier wirkte fremd, ob es die weißen Wände waren, die man durch die vielen Auszeichnungen kaum wahrnahm, was auf mich erdrückend wirkte, die hellen Jalousien, die kaum Tageslicht hineinließen, das weiße Licht, die hellen Möbel oder das Eichenholzlaminat. Es machte mich nur noch depressiver, falls er so etwas über mich diagnostizieren würde.

»Das möchte ich nicht.«, hauchte ich und sah mit einem Tränenschleier auf meine zittrigen ineinander verschlungenen Finger.

»Es geht nicht darum was Sie möchten, Kathrine. Sehen Sie doch, ich will Ihnen helfen.«, redete er streng auf mich ein. Wie? Etwa indem er meinen Schmerz nur noch vergrößerte? So konnte ich kaum 'geheilt' werden, falls man es so nennen konnte. Mein Atem begann merkwürdig zu zittern, als ich anfing zu reden.

»Sehen Sie nicht?«, flüsterte ich gebrechlich. »Ich kann es nicht... Ich kann nicht über...« Ich brach ab, da ich wusste, dass ich den Satz nicht beenden konnte. Es kam mir vor wie eine Erlösung, als ich dann endlich aufschluchzen konnte, obwohl ich mit all meiner Kraft versuchte es zu unterdrücken. Man hatte mir gesagt ich wäre stark... Dass ich würde es schaffen würde, weil ich einer der stärksten Menschen war, den einige kannten. Sie trügten sich alle, ich war einer der Schwächsten.

»Ich hätte Gitter an den Fenster, Folteropfer und Todesschreie erwartet.«, antwortete ich auf Tylers Frage, als wir sein Haus betraten. Ich hatte nicht schlecht gestaunt, als er meinte, dass das mokkafarbene Haus sein zuhause wäre. Um ehrlich zu sein hatte ich mir gar keine Vorstellung über sein zuhause gemacht, aber der Anblick hatte mir die Sprache verschlagen. Irgendwer hier hatte auf jeden Fall einen grünen Daumen, der Vorgarten war mit wunderschönen Blumen aller Art bestückt.

»Ach keine Burggräben? Du kannst froh sein, dass wir über keine Zugbrücke in die Burg mussten.«, scherzte er, während er die Tür hinter sich schloss. In dem kleinen Flur hing ein Familienbild auf denen ich fünf Personen zählte. Zwei Erwachsene, welche seine Eltern sein mussten, ein kleines blondes Mädchen, das mit Flechtzöpfen in die Kamera strahle, Ned, der viel glücklicher aussah als in der Schule, und Tyler. Es schien wie ein ganz normales Bild zu sein wie wir sie auch zuhause stehen hatten, aber wenn man genau hinsah, fiel einem auf, dass Tyler bewusst etwas weiter abseits stand. Er lächelte zwar, doch es war wie mein Lächeln, das ich mir für meine Eltern abzwang, damit sie sich keine Sorgen machten. Es war reine Fassade.

Die Stille nach dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt