Tot ist nur, wer vergessen ist. Dieser Spruch hing über Lucys Bett. Jeder wollte auf dieser Welt seine Fußstapfen hinterlassen, aber dazu musste man so sein wie Jesus oder Napoleon. Entweder man tat Gutes oder Böses. Dieser Spruch sollte sich aber nie darauf beziehen, es war damit gemeint in den Erinnerungen der geliebten Menschen weiterzuleben, denn so konnte man nicht vergessen werden. Irgendwann gab es niemanden mehr, der sich an jemanden erinnerte, aber das war auch so mit Cäsar, irgendwann würde niemand mal mehr seinen Namen kennen.

Genau daran dachte ich, als ich vor der Klasse stand und kaum ein Wort herausbekam, obwohl man mich bloß darum gebeten hatte meinen Namen zu sagen. Ich war nicht schüchtern, oder vielleicht doch ein wenig, aber eigentlich fühlte ich mich unwohl, wenn ich mit so vielen Leuten in einem Raum war. Das lag an der Beerdigung. Man hatte mich bei Lucy stets wie ein Familienmitglied behandelt, deswegen konnte ich ganz genau hören wie sie über mich redeten, als ich die Grabrede hielt.

»Wir sind...« Ich brach ab, da das Gemurmel, sowie auch das Geschluchzte einfach nicht enden wollte. Ich musste stark sein, obwohl ich am liebsten in Tränen zusammengebrochen wäre, denn es fühlte sich an als hätte man mir ein Stück meines Herzens brutal herausgerissen.

»Ich will...«, erneut versagte meine Stimme. Ich war die Rede tausend Mal durchgegangen, doch nun kam sie mir falsch vor. Es war das typische Gerede, aber genau das hatte sie nicht verdient. Ich zog tief die Luft ein, blickte auf meine Schuhe, meine Hände zitterten und zerrissen meine Notizen.

»Es gibt ungefähr sieben Milliarden Menschen auf dieser Welt, also auch sieben Milliarden Schicksale... Wir sind alle verschieden, aber jeder hat jemanden, dem er ähnelt. Ich will damit nicht sagen, dass Lucys Leben nichts besondere war, denn bei Gott, das war es... Sie hatte ein kurzes glückliches Leben, wer würde dies denn schon gegen ein Langes trostloses eintauschen? Wir waren nur Kinder, aber wir haben gelebt. Und sie-« Ich brach mitten im Satz ab. Der kalte Schweiß rann mir über die Haut. Ich hob langsam meinen Blick. Alles war still, alle lauschten wie gebannt an meinen Lippen. Ich konnte das nicht. Wie sollte ich diesen Leuten, ihren Verwandten, Geliebten... Freunden, ins Gesicht lügen können? Es war meine Schuld! Ich hätte in der Urne sein sollen, nicht sie.

»Ms. West, geht es Ihnen nicht gut?«, fragte mich Mrs. Abbington besorgt. Ich hob meinen Blick wieder. Alle sahen sie mich an, und das nur, weil ich die Neue war. Ich genoss diese Art von Aufmerksamkeit nicht. Ich genoss eigentlich gar keine. Wieso war ich nur hier, wo es so offensichtlich war, dass mein Platz nicht hier war? Ich gehörte nirgendwo hin, nicht einmal mehr nach London.

»Ja, es ist alles in Ordnung.«, versicherte ich ihr, um mich schnell hinsetzen zu dürfen.

»Gut, dann setzen Sie sich doch bitte neben Ms. Smith.«, wies sie mich an und deutete auf ein goldblondes Mädchen, dass mich mit einem abgehoben, aber trotz allem netten Blick begutachtete. Ein Blick auf Ihre Klamotten verriet mir, dass sie einer dieser schicki-micki Töchter war, die nur mit den Wimpern klimpern mussten, um alles zu bekommen.

»Hey, ich bin Ashley.«, begrüßte sie mich und reichte mir ihre Hand, ich wand mich aber gleich zur Tafel. Ich mochte es nicht von Fremden berührt zu werden, egal auf welche Art und Weise.

»Hast du einen Spitznamen? Kathrine ist nämlich ein ziemlich schöner Name, halt nur zu lang.«, schleimte sie dahin. Sie gehörte zu dieser Make - Up Gruppe, die nur mit Sportlern ausgingen, halt ich durfte nicht gleich so über sie denken. Sie sah vielleicht ein wenig so aus wie Mandy, die auf meine alte Schule ging, doch das musste noch lange nichts heißen, trotzdem war sie diese Art von Mädchen, denen ich am liebsten mit einem Abschminktuch übers Gesicht reiben würde, weil sie zwei Tonnen Make- Up trugen. Wenigstens das konnte ich behaupten.

Die Stille nach dirWhere stories live. Discover now