19 Schmetterlinge aus Eis.

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【 ANTONELLA 】


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Etwas kitzelte meine Nase und ich musste leicht niesen. Nur langsam wurde ich wach und öffnete müde die Augen. Mein Nacken schmerzte und meine Füße waren kalt. Doch trotzdem fühlte ich mich unheimlich sicher und geborgen.

Niall hielt mich fest, so als würde er befürchten, man möge mich im Schlaf stehlen. Es war nicht unangenehm, sondern unglaublich schön. Mich hatte noch nie jemand so festgehalten.

Falsch.

Samuel hatte es getan. Aber aus anderen Gründen. Ich dachte an meinen besten Freund. Sein breites Lächeln, seine strahlenden blauen Augen und wenn ich mich ganz fest versuchte zu erinnern, dann hörte ich immer noch seine klare, sanfte Stimme.

Ich vermisste es unglaublich ihn um mich zu haben. Wie er zu jeder Tages- und Nachtzeit bei mir reinschneite, weil sein Kühlschrank leer war und er von einer Reise aus Mittelerde oder sonst wo zurückkam.

Zumindest nannte er es so, wenn er mal wieder Tage, manchmal sogar Wochen einfach verschwand, ohne sich zu melden, damit er zusammen mit seiner Kamera der Suche nach dem perfekten Foto nachgehen konnte.

Ich vermisste es, wenn er mich mit großen Kulleraugen darum bat, irgendwelche gestörten Horrorfilme mit mir zu gucken, oder wie er einfach auf der Arbeit bei LG vorbeikam und meinte, ich hätte doch sicher noch keine Mittagspause gemacht.

Samuel war mit einer Leichtfüßigkeit durch das Leben spaziert, wie ich es nie gekonnt hatte. In meinen ersten Semesterferien hatte er eines Abends einfach meinen Rucksack mit ein paar Klamotten gepackt, meinen Pass aufgestöbert und mich zum Flughafen gezerrt.

Zwölf Stunden später verschwendete ich keinerlei Gedanken mehr an eine Prüfung, die ich im zweiten Versuch schrieb. Stattdessen tanzte ich mit ihm in einer verwunschenen Straße in Rom.

Es waren jedoch nicht die großen Dinge, die mir am meisten fehlten. Eher die unzähligen kleinen. Unsinnige Textnachrichten, Abende vor dem Fernseher, Besuche in unserem Stammlokal, oder telefonische Diskussionen über Gott und die Welt.

Ich vermisste Samuel und alle den Wind, den er in mein Leben gebracht hatte.

Niall bewegte sich. Seine Fingerkuppen strichen federleicht über meine Handflächen und ich beobachtete sie dabei, wie sie undefinierbare Muster zeichneten. Dann drehte ich mich leicht in seiner Umarmung.

Seine Wärme zu spüren war tröstlich und als ich ihn ansah, wurde mir bewusst, dass ich in seinen Augen nicht lesen konnte.

Dies war das Seltsame.

Normalerweise konnte ich Menschen sehr gut einschätzen, allen voran half mir das im Gericht, oder bei außergerichtlichen Treffen. Aber bei Niall konnte ich absolut nicht sagen, was er dachte. Das Einzige, was ich in seinen Augen erkannte, war ein wundervolle Lebendigkeit, von der nichts zu ahnen schien.

Ich wünschte Samuel hätte Niall kennengelernt, denn ich war mir sicher, dass er meine Faszination geteilt hätte, was Nialls Ausdrucksstarke Augen anging.

Vielleicht hätte er in ihnen lesen können, ich wusste es nicht.

„Guten Morgen", sprach Niall mit rauer Stimme. Ich antwortete nicht, sondern sah ihn immer noch an. Er dagegen blickte auf unsere Hände, die nun miteinander verschränkt waren.

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