1 Kirschbonbons.

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365 Tage tot. 

370 Tage zerrissen. 

384 Tage ohne Rat. 

389 Tage Stillstand.

389 Tage zu spät.


【 ANTONELLA 】


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Es gab Tage, da fühlte ich mich unbesiegbar. Wie Superwomen oder eben so mächtig wie die Queen.

Aber diese Tage hielten sich leider sehr in Grenzen. Aktuell fühlte ich mich eher wie das Mädchen für alles. Anders gesagt auch wie die Mommy für die hohen Tiere des Rechts.

„Miss Baker, ich brauche die Kopien vom Nicholson-Fall, am besten bis gestern."

„Haben Sie die Notizen für die Steinbeck-Scheidung?"

„Der Dutton-Fall wird verlegt auf den ersten Juni. Hat das jemand Richter Parks mitgeteilt?"

„Können Sie die Unterlagen an die Staatsanwaltschaft schicken, liegt doch eh auf Ihren Weg."

Wenn man davon absah, dass ich keine Sekretärin war, kein ausgebildeter Laufbursche, sondern Anwältin im zweiten Jahr, dann fasste man sich doch regelmäßig an den Kopf.

Beladen mit Post, Umschlägen, Akten und losen Papieren stieß ich das Tor zur Hölle auf. Ich war einfach durch das Vorzimmer der nörgeligen Miss Rose marschiert und stand nun schwer atmend vor dem imposanten Schreibtisch meines Chefs.

Mit einem lauten Knall ließ ich den ganzen Stapel vor seiner Nase fallen und schnappte nach Luft. Dann strich ich mir eine dunkle Haarsträhne, die sich aus meinem aufwendigen Dutt gelöst hatte, hinter mein Ohr und zupfte an meiner weißen Bluse herum.

Mr David Lee, einer der größten Teilhaber von LG & Partner ließ seinen Telefonhörer sinken und musterte erst den Stapel vor seiner Nase, dann schließlich mich. „Ich rufe Sie zurück, Mr Bellman, Augenblick bitte."

Missmutig verschränkte ich die Arme vor der Brust und funkelte ihn an. Doch statt das Wort an mich zu richten blickte mein Boss durch den Stapel an Unterlagen. Er hob die Augenbrauen als er die Mitschriften zu einem Scheidungsfall in den Händen hielt.

Eigentlich konnte ich Mr Lee sehr gut leiden. Er war ein gerechter, wenn auch strenger Vorgesetzter. Mir gefiel seine Firmenpolitik, nämlich das wir uns die Energie für Intrigen lieber für die Arbeit aufheben sollten als gegeneinander aufzumischen.

Außerdem gab er viel auf Loyalität und sah es nicht gerne, wenn sich einer seiner Anwälte abwerben ließ. Einmal abgeworben war es sicher, dass man nie wieder bei LG & Partner auf eine Stelle zu hoffen brauchte.

„Nun, Miss Baker, womit kann ich Ihnen helfen?", fragte er scheinheilig, dabei wusste er ganz genau was ich ihm mit meinem Auftreten sagen wollte. Vor vier Wochen war ich schließlich schon einmal in seinem Büro gewesen, wenn auch mit einem weniger dramatischen Auftritt.

„Sie haben gesagt, dass hat ein Ende! Dieser Unsinn hier habe ein Ende!", ich wies auf den Stapel. „Stattdessen ist es nur noch schlimmer geworden. Bei allen Respekt Mr Lee, aber ich bin eine Cambridge-Absolventin und seit zwei Jahren hier. Doch ich werde noch immer wie ein Mädchen für alles behandelt. Das ich nicht noch Kaffee koche ist alles."

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