Meine Mutter seufzte, doch ich konnte nicht genau bestimmen, ob die Erinnerung mehr positive oder negative Gefühle in ihr hervorriefen.
Mich erstaunte es jedenfalls. Tessa und sollten Sandkastenfreunde sein? Noch skurriler konnte mein Leben nicht mehr werden.

"Mit den Jahren hat sich glücklicher Weise die Beziehung zwischen euren Vätern wieder gebessert. Sobald sich die Firmen in unterschiedliche Richtungen weiter entwickelt hatten, konnten die beiden wenigstens wieder zu zweit in einem Raum stehen. Aber nachdem du in deine Trotzphase gekommen warst, die hoffentlich bald mal vorbei ist", zwinkernd stupste sie mich in die Seite," habe ich es erst gar nicht mehr versucht, dich zu überreden mit mir zu kommen und schließlich... hatte Erika den Autounfall."
Moms Augenbrauen zogen sich über ihren glänzenden Augen zusammen.

"Kannst du dich an den Zeitungsbericht erinnern?" Bitter lachte sie auf. "Naja, was heißt hier einer, einen Monat lang stand es in jeder Zeitschrift der Region!
Wie Aasgeier haben sie sich auf die Beiden gestürzt, wochenlang haben sie keine Ruhe gefunden."
Leider konnte ich mich noch zu gut erinnern- auch wenn es mir damals vollkommen egal gewesen war.
Mom war wie ein Geist durch unser Haus geeilt, immer wieder stehen geblieben und spontan in Tränen ausgebrochen. Auch in der Schule war ein riesen Trubel gewesen. Der Direktor hatte extra eine Trauerfeier für die Andersons organisiert, doch nur Mr. Anderson war erschienen. Tessa hatte man erst Wochen später wieder in der Öffentlichkeit gesehen.

"Ich habe mich noch nie so einsam gefühlt, wie damals. Besonders die ersten Tage waren schlimm. Ich konnte gar nicht glauben, dass Erika einfach weg sein sollte! Richtig realisiert habe ich es erst, als ich ganze fünf Stunden in unserem Lieblingscafé auf sie gewartet hatte.
Man kann sich gar nicht vorstellen, dass diese Menschen, die wie ein Fels in der Brandung wirken, genauso vom Leben angreifbar sind wie wir.
Das hier durchzustehen ist für euch alle mehr als nur grausam", sie fasste mit einer ausladenden Handbewegung all meine Freunde ein. "Ihr seit noch so jung. Aber ich würde dir raten dir diesen Schmerz zu merken, er ist der deutlichste Beweis dafür, wie tief eure Verbindung zu einander ist."

Mir war schon etwas mulmig zu mute, so etwas mit meiner Mutter zu besprechen, aber die Worte wollten einfach aus mir heraus. Ich konnte sie nicht für mich behalten.
"Dass werde ich nicht. Dass KANN ich gar nicht. Tessa gehört zu uns, das steht fest."

Meine Mutter schenkte mir ein schiefes Lächeln und ich wandte mich schnell ab. Gott, war mir plötzlich  warm.

Um mich wieder etwas zu beruhigen konzentriere ich mich auf Ciara, die sich auf Marcos Schoß ausgestreckt hatte und sich die letzten Stunden etwas erholt hatte, gerade aber verschlafen die Augen öffnete.
Ihr schien noch nicht ganz bewusst zu sein, wo sie sich befand, denn ihr Blick huschte suchend durch den Raum, bis er schließlich an Marco hängen blieb.
Unwohl ließ ich meinen Blick weiter schweifen. Mir gefiel es nicht, dass ich anscheinend nicht mehr Ciaras Fixpunkt war, aber vielleicht gehörte das dazu.
Sie war nicht mehr meine Kleine. Sie begann sich selbstständig zu machen und das war gut! Auch wenn es mir missfiel.

Unbewusst hatte ich ein anderes Pärchen beobachtet. Sie waren bereits hier gewesen, als unsere Gruppe hereingekommen war und doch verharrten sie noch immer in genau der selben Haltung.
Der Mann drückte die Frau eng an seine Burst, beide den starren Blick in die Ferne gerichtet.
Ich würde sie auf 50 schätzen. Vielleicht etwas älter.
Vor zwei Stunden waren mir die anderen wartenden Leute aufgefallen. Wie sie alle auf die ein oder andere Weise genau das gleiche taten. Starr da sitzen sich mit dem 'was wenn...?' quälen. Wenn noch ein Partner dabei waren, dem anderen Trost spenden, soweit das denn überhaupt möglich war.
Auf wen warteten sie wohl alle? Die junge Frau in der hinteren Ecke vielleicht auf eine Freundin. Sie schaute sich schon seit dem sie hier war mit leerem Blick Fotos auf ihrem Handy an.
Die drei älteren Herren hinter uns vielleicht auf einen Verwandten. Sie hatten sich Geschichten aus ihrer Kindheit erzählt, was sie damals alles zusammen angestellt hatten.
Egal auf wen, sie durch litten gerade die gleiche Hölle wie wir und dafür verdiente jeder von ihnen einen Heldenorden.

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