Hilfe ist nicht uncool

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„Die Selbsthilfe-Tante? Nicht dein Ernst, von der will ich keine Hilfe. Die denkt noch, dass ich schwach bin und nicht alleine klar komme." Nadija funkelt mich böse an. Dabei hab ich sie bloß daran erinnert, dass wir mit Charlotte doch einen nützlichen Kontakt haben. 

„Keiner kommt alleine klar. Meiner Mutter hilft auch so eine vom Jugendamt mit meinen Brüdern", murmelt die Föhnfrisur-Barbie. 

„Echt?" Nadija legt den Kopf schief. „Warum hast du nie was gesagt?" 

„Naja, du weißt ja, dass die Leute vom Jugendamt hier so beliebt wie Kanalratten sind. Mit denen gibt's meistens nur Stress!", rechtfertigt sich die Föhnfrisur-Barbie. „Aber die, die uns hilft, ist echt okay. Ist die Selbsthilfe-Tante denn wirklich so schrecklich?" 

 Nadija schüttelt den Kopf. „Ne, sie nervt nur. Habt ihr wirklich keine bessere Idee? Kommt schon, Leute, lasst mich nicht hängen." 

James Bond legt die Stirn in Falten, als denke er angestrengt nach, schüttelt aber dann den Kopf. „Deine Mutter will deinen Alten nicht anzeigen. Was sollen wir denn machen? Zu fünft bei ihm aufkreuzen und ihm die Meinung sagen? Dann schlägt er wieder zu, sobald wir weg sind."

Die Föhnfrisur-Barbie nickt. „Ihr müsst aus der Wohnung raus und deine Mama muss ihm sagen, dass ihr erst zurückkommt, wenn er nicht mehr säuft. Hör dir doch mal an, was diese Selbsthilfe-Tante sagt. Wir kommen auch mit, wenn du willst." 

Nadija verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. „Na schön. Hoffentlich hat sie eine brauchbare Idee, sonst schenke ich mir das nächste Mal diese Pseudo-Gruppentherapie." 

„Ach, du machst immer einen auf starke Solo-Fighterin, aber aus irgendeinem Grund bist du ja bei diesem Selbsthilfe-Ding gelandet. Eigentlich möchtest du die Hilfe von den Leuten da, gib's doch zu." Der Türke verdreht die Augen. „Denkst du, wir dissen dich deswegen? Wir checken doch am besten, wie scheiße das Leben hier sein kann. Voll okay, dass du da Unterstützung willst." 

Irre ich mich oder blinzelt die taffe Nadija gerade ein paar Tränen weg? Kein Wunder, bei ihren verständnisvollen Freunden. Obwohl alle drei aussehen wie typische Chantals und Kevins aus dem Glasscherben-Viertel, verhalten sie sich so gar nicht rücksichtlos oder aggro. Und sogar der Türke macht nicht auf unbesiegbaren Macker, sondern findet es okay, mal schwach zu sein. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal so offen mit Anne und Lena geredet habe. Vermutlich noch nie. Sieht so aus, als ob die Ghettokids besser verstanden haben, was wahre Freundschaft ausmacht als wir gepamperten Mittelschichtsmädels.

*

Tatsächlich muss sich Nadija überwinden, Charlotte direkt um Unterstützung zu bitten, als wir zu fünft bei ihr im Caritas-Gemeinschaftshaus auftauchen. Sie macht ein paar Mal den Mund auf und zu wie ein stummer Fisch, bevor sie schließlich die Worte „Ich brauche deine Hilfe" herauswürgt. 

Charlotte ist sichtlich erstaunt, dass gerade die taffe Nadija inmitten einer bunt zusammengewürfelten Gruppe aus Freunden so offen um etwas bittet. „Ja, klar. Alles, was du brauchst", antwortet sie dennoch wie aus der Pistole geschossen, wofür ich sie gern fest drücken würde. Wie sich herausstellt, hat die Caritas tatsächlich ein paar Verfügungswohnungen, in denen Familien in Notsituationen vorübergehend unterkommen können. Die wahre Herausforderung besteht darin, Nadijas Mutter zu überreden, das Angebot anzunehmen. Schließlich hat James Bond die rettende Idee und schlägt moralische Erpressung vor (sag ihr, wie sehr deine kleinen Geschwister unter dem Geschrei und den Wutausbrüchen leiden, wenn dein Alter mal wieder gesoffen hat). 

Zu Nadijas Mutter fahren Charlotte und Nadija aber alleine, denn bei so einem schwierigen Gespräch stört eine Bande Teenager nur. So finde ich mich mit Föhnfrisur-Barbie, dem Türken und James Bond alleine auf dem Spielplatz neben dem Caritas-Gemeinschaftshaus wider. 

„Du musst also auch zur Selbsthilfegruppe", durchbricht der Türke schließlich die Stille und mustert mich neugierig. „Hätte nicht gedacht, dass man so schicke Ponyhof-Mädels wie dich hier findet. Warum betrinken sich denn Leute, die in hübschen Häusern wohnen und mit ihrem vielen Geld eine Badewanne ausstopfen könnten?" 

Ich seufze und wippe auf der Schaukel leicht hin und her. „Meine Mutter ist trotzdem nicht glücklich. Super Karriere als Anwältin, nach außen hin eine Bilderbuchfamilie und trotzdem fehlt irgendwas. Klar, Geld ist wichtig, aber es ist eben nicht alles." 

James Bond nickt. „Immerhin muss man in unserem Viertel vor den Nachbarn nicht immer so tun, als sei alles perfekt. Bei uns hat jeder Probleme, das ist voll normal. Diese pinkrosa Einhorn-Welt aus der du kommst, ist so verlogen. Auch wenn ich gegen einen verlogenen Urlaub auf den Bahamas nix einzuwenden hätte." 

Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe herum. „Ich glaube, ich bin genauso verlogen", gebe ich zu. „Ich pushe Nadija, damit sie was gegen ihren Säufer-Vater unternimmt und was mache ich mit meiner Mutter? Ich sollte sie an den Haaren in den Entzug zerren. Stattdessen stöpsel ich mir die Kopfhörer ein, wenn sie mal wieder hysterisch an der Flasche hängt." 

James Bond legt den Kopf schief. „Hmm... Wie wär's mit einer Schocktherapie? Wenn deine Mutter mal andere Säufer sieht, ist sie vielleicht so schockiert, dass sie selbst mit 200 Sachen Richtung Rehaklinik düst. So feine Damen kippen doch aus den Latschen, wenn sie den Spiegel vorgehalten bekommen."    


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