- Kapitel 67 -

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»Hi Damien«, übernahm Marius neben mir die Begrüßung.
»Hallo Marius. Hast wie ich sehe Besuch«, erwiderte Damien diese und deutete auf Aylin, die er wohl bereits entdeckt hatte. Darauf nickte der elfjährige eifrig und grinste.
»Hey Damien. Lange nicht gesehen«, war es Aylin, die ihn als nächste begrüßte.
»Das stimmt«, stimmte er zu. »Wie läuft’s mit der Facharztausbildung?«
»Och. Soweit ganz gut! Drei Jahre sind geschafft. Fehlen noch drei und dann ist es hoffentlich geschafft!«, berichtete Aylin.
»Ich drücke dir weiter fest die Daumen, dass du das schaffst!«
»Danke!«

Nach diesem Gespräch kam Damien zu mir rüber.
»Hey, alles klar? Ich habe nicht damit gerechnet dich hier zu finden«
Ja. Das war selbst für mich eine Überraschung. Lag wohl daran, dass ich Marius und Chris bei mir hatte, die ich beide mittlerweile gut einschätzen konnte.
»So ganz wohl scheinst du dich aber nicht zu fühlen. Nicht wahr?« Er hatte das wohl anhand meiner angespannten Haltung ausmachen können. Da ich das schwer leugnen konnte und mir kein Grund einfiel, wieso ich das tun sollte, nickte ich.

»Ist das okay für dich, wenn wir einmal rausgehen und in Ruhe sprechen? Keine Sorgen. Nichts Schlimmes. Ich möchte nur was mit dir besprechen«, fragte mich der Psychiater und deutete mit einem leichten Kopfnicken Richtung Tür.
Dagegen hatte ich nichts, weshalb ich wieder nickte und Aufstand.

Kurz drehte ich mich zu Marius um. Dieser zeigte mir einen Daumen nach oben, wonach ich Damien auf den Flur folgte.

Nebeneinander liefen wir den Flur entlang.

»Ist Marius der Grund, wieso du heute während meiner Abwesenheit im Aufenthaltsraum geblieben bist?«, war seine erste Frage in dem vier Augen Gespräch.
»Glaube schon«, war meine Antwort darauf.
»Wie geht’s dir damit, dass seine Tante mit im Raum ist? Schließlich ist sie ebenfalls Ärztin und eine unbekannte Person für dich«, kam er auf Aylin zu sprechen.
»Ich weiß nicht. Dadurch dass ich sie nicht einschätzen kann, ist die Angst wieder mehr in Vordergrund. Als sie sich bei mir vorgestellt hat, wäre ich auch fast rausgerannt.«
»Du bist aber nicht geflüchtet. Richtig?« Ich spürte seinen Blick auf mir und nickte bestätigend.
»Da kannst du stolz drauf sein! Du hast der Angst und dem Impuls zur Flucht standgehalten und bist sogar im Raum geblieben«, machte er mir klar, dass das, was Gutes war, obwohl es sich mehr als erdrückend angefühlt hatte. Meine Mundwinkel waren leicht nach oben gezuckt.

»Was hältst du davon, wenn wir jetzt ganz langsam uns in Richtung Phase drei bewegen? Also der Phase, mit den Aufgaben, die du bewältigen sollst.«

Ich musste schlucken. War ich schon so weit? So lange waren wir doch noch gar nicht in Phase zwei des Plans, oder? Hatte ich mich schon ausreichend an diese Umgebung gewöhnt, um den nächsten Schritt zu wagen?

»Mach dir keinen Stress. Auch wenn wir festgelegt haben, welche Aufgabe deine erste wird, brauchst du sie nicht direkt am selben Tag oder in der Woche darauf zu Meistern!«, erinnerte Damien mich daran nichts zu überstürzten.
»Was wäre denn meine erste Ausgabe?«. Das war das, was mich in diesem Moment am meisten interessierte.
»Das überlegen wir jetzt gemeinsam. Wenn ich einen Vorschlag mache, der ein deinen Augen noch viel zu viel verlangt ist, dann darfst du das sagen. Okay?« Ich nickte.
»Gut! Zu aller erst brauchen wir etwas, womit wir im weiteren Verlauf arbeiten können. Jetzt ist die Frage, ob du dich wohler damit fühlst, wenn wir die Konfrontation direkt im Behandlungsraum in Zukunft weiter durchführen, oder ob es dir lieber ist, am Anfang einen neutralen Raum zu haben und später in den Behandlungsraum zu wechseln«, machte er mir den Vorschlag.

Der Gedanke daran bereits zu Beginn in den Behandlungsraum zu müssen, verursachte bei mir ein unangenehmes ziehen in der Magengegend.

»Mir wäre das mit dem neutralen Raum am Anfang lieber!«
»Das ist kein Problem. Müssen nur schauen, welchen neutralen Raum wir für den Anfang nehmen. Ungern nehme ich den Ruheraum, da ich dir diesen Safeplace nicht zerstören möchte.«
Krass das er an so Sachen dachte, wie das mit dem Ruheraum.
»Da muss ich mir dann noch was überlegen«

Wir waren mittlerweile an der Eingangstür unten angekommen und ich hatte mich auf die Treppen gesetzt, da vor Nervosität meine Knie wieder ihre Stabilität vernachlässigten.

»Kommen wir zum eigentlichen Thema. Ich hab geplant, dass du irgendwann einmal samstags durch unser ABCDE Schema gehst. Das ist ein Schema für die Ersteinschätzung von Patienten am Einsatzort. Dieses Schema hilft uns sozusagen innerhalb von kürzester Zeit dabei uns ein Bild davon zu machen, wie es gesundheitlich um eine Person steht. Da ist sowas dabei wie Atmung kontrollieren, abhören, Puls messen, Blutdruck messen, und noch ein paar Sachen mehr«, erklärte er mir grob seinen Plan. »Normalerweise würde man bei A wie Airway also Atemwege anfangen. Dazu gehört zum Beispiel das Überprüfen, ob die Atemwege frei sind. In deinem Fall würde ich nicht strikt nach dem Schema gehen, sondern es durchmischen. Dann stände beim ersten Mal nur Atemwege prüfen, Puls und Blutdruckmessen auf der Liste. Wenn du das geschafft hast würde mit jeder Woche mehr dazu kommen, bis wir am Ende beim gesamten ABCDE Schema angekommen sind. Was hältst du davon?«, erläuterte er mir genauer, was er sich vorgestellt hatte.

Ich nickte, auch wenn ich dadurch in Aussicht hatte quasi wöchentlich einmal durchcheckt zu werden.
Eben das, was Jules letzten Monat tun wollte und ich mich vehement geweigert hatte. Man vergesse die Panikattacke nicht, die nur durch das Erwähnen davon entstanden war.

»Wollen wir dann zurück zu den anderen oder hast du noch Fragen?«
»Zurück«, sagte ich darauf, Damien nickte, ich stand auf und wir machten uns zurück zum Aufenthaltsraum.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt