- Kapitel 61 -

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Lukes Sicht

»Alles in Ordnung bei dir Luke?«, kam die Frage von meiner rechten Seite.
Schnell wandte ich den Blick von dem Anästhesisten / Notarzt ab.

»Er war es der als zweiter Arzt anwesend war, als ich in der Notaufnahme war nach meinem Unfall und er war der Anästhesist während der Operation. Deswegen kommt er mir bekannt vor!«

Es war wirklich alles wieder da! Die Erinnerung an den Tag der OP war wieder da!

»Luke?«, war es wieder von meiner rechten Seite und jemand legte eine Hand auf meine Schulter.

Ich schaute auf den Boden vor dem Sofa.
Die Erinnerung lief wie einen Film vor meinem inneren Auge ab.

Die Fahrt zum Krankenhaus, die Ankunft, meine Anmeldung, die Vorbereitung und letztendlich die Einleitung in die Narkose.

Vorsichtig hob ich den Blick wieder an und schaute zu Damien, der auf meiner rechten Seite saß und die Person war, die versucht hatte meine Aufmerksamkeit zu bekommen.

»Ist alles in Ordnung?«, wiederholte er seine Frage.
Sollte ich mit ihm darüber reden oder es für mich behalten?
»Hab mich nur an was erinnert …«, war letztendlich meine Antwort und ich schaute zurück auf den Boden.
»Woran hast du dich wieder erinnert? Hat es was mit Simon zu tun?«
Da ich ihn nicht anlügen wollte, nickte ich.

Innerlich war ich hin- und hergerissen zwischen erzählen und nicht erzählen.

»Vielleicht hat er eine Erklärung dazu, wieso ich mich bis jetzt nicht daran erinnern konnte.«

Dieser Gedanke half mir dabei mich zu entscheiden es Damien zu erzählen.

»Ich hatte im August einen Sportunfall und habe mir dabei den rechten Unterarm gebrochen. Er, also Simon, war der Anästhesist bei dieser Operation. Daran konnte ich mich jedoch bis gerade nicht erinnern. Also an den Zeitraum von der Abfahrt von Zuhause zur Klinik und dem Aufwachen nach der OP. Als ich aufgewacht bin, dachte ich erst, dass ich auf der Fahrt eingeschlafen war und die OP noch bevorstand. Als mir gesagt wurde, dass es bereits vorbei war, war ich verwirrt. Schließlich konnte ich mich weder an die Ankunft erinnern noch an die Vorbereitung oder die Einleitung«, erzählte ich ihm ganz grob die Geschichte.

»Du hattest Angst vor dieser OP, nicht wahr?«, vermutete Damien.

Ja. Ich hatte Angst. Sehr viel Angst. Deshalb nickte ich auf seine Frage.

»Es passiert manchmal, dass das Gehirn Erinnerungen verdrängt, von Situationen in denen man unter Hochstress stand. Das ist ein Schutzmechanismus. Manchmal kommen diese Erinnerungen zurück, so wie bei dir, bei anderen bleiben diese Erinnerungen für immer unerreichbar«, erklärte er mir, wieso ich diese Erinnerungslücke hatte.

»Das geht wirklich?«. Es klangt seltsam, dass mein Gehirn dazu in der Lage ist selbst zu entscheiden, dass es Erinnerungen unerreichbar macht, zum Schutz.
»Ja. Das geht. Unser Unterbewusstsein ist ziemlich mächtig. Deshalb kann es auch solche radikalen Maßnahmen ergreifen«
»Kann das wieder passieren? Ich meine … In ein paar Monaten steht noch eine Operation an. Das Metall muss wieder aus meinem Arm raus. Wenn ich die Angst nicht schnell genug in den Griff bekomme, passiert das dann wieder?« interessierte es mich und ich schaute den Psychiater neben mir an.

»Das weiß ich nicht. Es kann wieder passieren, muss aber nicht. Kommt darauf an, wie viel Stress du in dieser Situation hast und ob dein Unterbewusstsein es für nötig empfindet auch diese Erinnerung wegzusperren. Natürlich wäre es das Beste, wenn es nicht passiert und du dich danach an alles erinnern kannst. Aber kein Stress. Wir werden darauf hinarbeiten. Noch haben wir Zeit an der Angst zu arbeiten. Keinesfalls solltest du dich stressen, weil die Zeit bis zu dieser OP immer weniger wird. Stress hilft dir nicht weiter«.

Es klingt so einfach, wenn er sagt, dass ich mich nicht stressen sollte.

Leider sind Operationen mein Endgegner.
Damit hat es angefangen.
Dadurch ist sie ein Teil meines Lebens geworden.
Die Angst.
Weil ein OP Team zu ungeduldig mit einem Kind war, dass Angst hatte, weil es nicht wusste, was passiert!

Leicht ballte ich meine beiden Hände zu Fäusten.
Bis heute konnte ich nicht nachvollziehen, wieso das damals so passiert ist.
Ja. Was passiert ist, ist passiert. Egal wie sehr ich mir auch den Kopf darüber zerbrach, es macht es nicht rückgängig. Nahm mir nicht die Angst, die bereits den Großteil meines Lebens mich begleitete und mein Vertrauen in die Leute zerstörte, die eigentlich helfen wollen.

»Woran denkst du gerade?«. Damien hatte wohl meine Anspannung bemerkt.
Da ich noch nicht dazu bereit war mit ihm darüber zu reden, schüttelte ich nur den Kopf.
»Okay«, verstand er und ließ mich in Ruhe. Stattdessen fing er ein Gespräch mit Daniel an.

»Es ist irre. Wir haben es Ende September. Vor zwei Monaten sind wir hier hergezogen.
Krass wie schnell die Zeit vergeht.
Vor zwei Monaten war ich noch fest davon überzeugt, niemals dazu in der Lage zu sein, einem Menschen mit medizinischem Hintergrund vertrauen zu können. Und nun sitze ich hier, im Aufenthaltsraum einer Rettungswache und neben mir sitzt Damien, ein Arzt dem ich vertraute.
Wie schnell sich Dinge doch ändern können …«

Mir war bewusst, dass ich noch längst nicht am Ende meiner Reise zum Besiegen dieser Angst war.
Ich hatte gerade einmal den ersten Schritt gemacht. Ein Fundament errichtet, auf dem ich weiter aufbauen musste.

Inmitten meines Gedankenganges, ging plötzlich Damiens Melder und ein weiterer los.

»So leid es mir tut, ich muss dich jetzt alleine lassen. Gegenüber sind die Ruheräume. In Raum eins kannst du dich zurückziehen. Da darf niemand rein außer uns beiden«, informierte er mich noch über meine Rückzugsmöglichkeit, bevor er mit Daniel aus dem Aufenthaltsraum verschwand und sich auf den Weg machte einem Menschen zu helfen.

Nun saß ich da. Alleine zwischen vier Rettungsdienstlern.

Da mir nicht wohl dabei war, stand ich auf, verließ den Raum und suchte den besagten Ruheraum eins. Schwer zu finden war es nicht. Wie Damien gesagt hatte, liegen die Ruheräume gegenüber vom Aufenthaltsraum. Der erste Ruheraum lag ganz links. In diesen ging ich rein und schloss die Tür hinter mir.

Auf dem Bett ließ ich mich nieder.

»Wie lange Damien das heute wohl durchziehen möchte?«, fragte ich mich.

Phase zwei seines Plans lautete ja, dass ich mich an die Umgebung gewöhnen sollte. Sogar ich wusste, dass Gewöhnung Zeit benötigte, weshalb ich damit rechnete, dass ich noch eine Weile bleiben musste.

Solange sich jeder an die Abmachung von Damien hielt, sollte das auch kein Problem werden.

Um mich von dem Gedankengang abzulenken, was passieren könnte, wenn sich jemand nicht an die Regeln hielt, nahm ich mein Handy aus einer der Hosentaschen und begann ein Spiel zu spielen.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt