- Kapitel 60 -

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Lukes Sicht

»Guten Morgen. Es wird Zeit zum Aufstehen. In einer Stunde musst du an der Wache sein!«, waren die ersten Worte des Tages, die ich hörte.

Der Stimme nach war es Mom. Zusätzlich rüttelte sie mir leicht an der Schulter, worauf ich verschlafen brummte.

»Du hast eine Dreiviertelstunde zum fertig machen!«

Mit einem »Hm-m«, nahm ich das zur Kenntnis, woraufhin ihre Hand von meiner Schulter verschwand und sie mit den Worten: »Wir sehen uns gleich unten«, aus meinem Zimmer verschwand.

Gähnend streckte ich alle viere von mir und versuchte mehr Leben in den Körper zu bekommen.

Unmotiviert und verschlafen setzte ich mich auf.

»Und wieder ein Tag mit Konfrontation. Hoffentlich wird das nicht zu viel und ich schaffe das …«

Langsam stand ich auf und stellte mich vor meinen Schrank.
Aus diesem zog ich ein dunkelblaues T-Shirt heraus und eine Cargohose. In Jogginghose sollte ich dort nicht aufschlagen.

Schnell zog ich mich um, angelte meine schwarze Sweatshirtjacke vom Schreibtischstuhl und ging nach unten.

Auch wenn mir nicht nach essen zumute war, sollte ich wenigstens versuchen was in den Magen zu bekommen.

Wie angekündigt saß Mom am Esstisch und hatte die obligatorische Tasse Kaffee vor sich stehen.

»Ich verstehe immer noch nicht was an diesem Zeug so besonders ist. Kakao ist viel besser!«

Mit der halben Portion Müsli und meiner Tasse Kakao setzte ich mich an den Tisch.

»Weißt du schon wie lange das heute geht?«, wollte Mom wissen.
»Nein. Dazu hat Damien nichts gesagt«, verneinte ich.
»Schreibst du mir dann, wenn ich dich abholen kommen soll?«
Bestätigend nickte ich, da ich einen Löffel Schokomüsli im Mund hatte.
»Gut«, kam darauf von ihr, wonach es wieder still zwischen uns war.

Für's Frühstücken brauchte ich keine zehn Minuten und ich konnte abräumen und nach oben verschwinden.

Bevor ich mich für die restliche Zeit wieder ins Zimmer verzog, ging ich ins Bad, putzte mir die Zähne und kämmte meine Haare durch, die mir mittlerweile bis über die Ohren reichten.

»Die müssten bald auch Mal wieder gekürzt werden.«

Klang nach einer Idee. Die Frage war nur, wann.

Nachdem ich im Bad lles erledigt hatte, ging ich ins Zimmer und verbrachte dort die restliche Zeit bis zur Abfahrt.

Die Nervosität ließ mein Herz wieder schneller schlagen.

Zehn vor neun ging es los.

Da ich mit Mom alleine fuhr, durfte ich auf dem Beifahrersitz sitzen.

Wie so oft herrschte auf dem Weg schweigen. Mir war auch nicht nach reden zumute.

Auf dem Parkplatz verabschiedete ich mich von Mom, stieg aus und lief auf das Gebäude zu, wo Damien mich bereits erwarten sollte.

Dem war auch so.

Neben der Eingangstür lehnte eine Person in Rettungsdienstuniform an der Wand und schien auf wen zu warten.

Von Aussehen her war schnell klar, dass es sich bei dieser Person um Damien handelte.

Er entdeckte mich und winkte mir zu. Ich hob leicht die Hand und ging weiter auf ihn zu.

»Guten morgen. Wie geht’s dir?«, begrüßte er mich und stellte sich gerader hin.
»Morgen. Bin etwas nervös«, gab ich zu und schaute an ihm vorbei.
»Du darfst nervös sein. Das ist nicht schlimm«.
Leicht nickte ich und schaute die Tür an.

»Gestern habe ich es ohne Panikattacke geschafft und heute schaffe ich das wieder!«

Leicht ballte ich meine linke Hand zur Faust.

»Bereit?«, fragte Damien mich. Zustimmend nickte ich und wir gingen rein.

Einatmen … Ausatmen … Einatmen … Ausatmen

Die Angst war da. Lauerte. Wartete auf den Moment, an dem sie zuschlagen konnte. Doch ich erlaubte es ihr nicht.

Damiens beruhigende Präsenz war hinter mir spürbar.

»Sehr gut machst du das«, lobte er mich und meine Mundwinkel zuckten für einen kurzen Moment nach oben.

»Komm. Wir gehen nach oben«, meinte er, legte eine Hand in meinen Rücken und animierte mich so dazu weiterzulaufen.

»Ob Maik heute auch wieder da ist?«, flog mir die Frage durch den Kopf, während wir die Treppe nach oben liefen.

Zusammen liefen wir den Flur entlang zu der Tür, hinter welcher der Aufenthaltsraum liegt.
Der Raum, wo sich die Besatzung versammelte.

»Gehts?«, vergewisserte er sich.
»Geht«, antwortete ich.

Dann öffnete er die Tür und wir gingen rein.

Mein Herz schlug mir mittlerweile bis zum Hals und ich war am Schwitzen.

»Eins. Zwei. Drei«, zählte ich gedanklich, wie viele Personen außer Damien und mir in diesem Raum anwesend waren und in diesem Moment zu uns schauten.

Ich hatte das verlangen den Rückwärtsgang einzulegen oder mich zumindest hinter Damien zu verstecken, um den forschenden Blicken von manchen zu entkommen.

»Ist das deine angekündigte Begleitung?«, kam die Frage von einem Sanitäter, der mir bekannt vorkam. Ebenso die Frau neben ihm kam mir bekannt vor. Wo hatte ich die beiden schon mal gesehen?

Nicht hier. Da war ich mir sicher.

»Ja. Das ist er. Er heißt Luke«, stellte Damien mich den anderen vor.

»Ah. Jetzt erinnere ich mich! Lea und ich haben dich Mal in einem Einsatz versorgt«, erinnerte der Sanitäter, der mir bekannt vorkam sich an unser erstes Zusammentreffen. Leider wollte mir sein Name nicht mehr einfallen.

»Dann kennt ihr euch ja bereits«, sagte Damien und der Sanitäter nickte.

»Daniel da drüben kennst du ja bereits aus dem Einsatz mit deiner Schwester«. Er deutete auf die dritte anwesende Person. Dieser hob kurz die Hand.

Dann bewegte Damien sich hinter mir weg und setzte sich zu diesem Daniel aufs Sofa.

Da ich ungern dort stehen bleiben und die Aufmerksamkeit auf mich ziehen wollte, folgte ich ihm schnell und setze mich neben ihn, wo ich mich so klein wie möglich machte.

»Bis jetzt sind hier nur Leute, mit denen ich mindestens ein Mal was zu tun hatte. Allerdings bezweifle ich, dass die Besatzung nur aus vier Leuten besteht. Sicher ist noch ein Teil unterwegs …«

Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, öffnete sich die Tür und zwei weitere Personen kamen herein.

Der Blick von mir und dem großen dunkelhaarigen Mann mit leichtem Bartwuchs am Kiefer trafen aufeinander.

Ein Bild erschien vor meinem inneren Auge.
Ein kurzer Fetzen einer Erinnerung, in der er zu sehen war.
Jedoch nicht in Rettungsdienstuniform, sondern in Krankenhausuniform.

Angestrengt dachte ich nach, doch es wollte mir nicht einfallen.

»Das sind Simon und Erik. Simon ist Notarzt und Anästhesist. Erik ist Notfallsanitäter«, stellte Damien mir die beiden dazugekommenen vor.

Es war so als fehlten meinem Hirn diese beiden Puzzleteile, um mir den Zugriff auf die fehlende Erinnerung zu ermöglichen, in der die Person vorkommt.

Und mit dieser Erinnerung hatte ich plötzlich Zugriff auf eine weitere Erinnerung, wo ich mir nicht sicher war, ob ich mich je wieder dran erinnern wollte oder es gut war, dass ich es nicht konnte.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt