Chris versuchte sich derweil ein besseres Bild von Marius Verletzung zu machen.
»So wie das aussieht, muss das genäht werden«, kommentierte er das, was er sah und ich ahnte böses.

»Du bleibst hier stehen, ich hole fix was zum Verbinden!«, meinte Chris und verschwand aus der Küche.

Währenddessen stand ich nach wie vor in der Mitte der Küche herum und starrte in Marius Richtung.

»Gehts dir gut?«, kam es von Marius, der mich besorgt musterte.

Nein.
Mir ging es nicht gut. Überhaupt nicht.
Ich war schuld an dem, was passiert war und es lief darauf hinaus, dass es zum Nähen in die Klinik ging. Ein Ort, wo mich so einfach niemand rein bekam.

»Luke?«, versuchte er weiter meine Aufmerksamkeit zu bekommen.
Statt, dass ich ihm meine Aufmerksamkeit schenkte, überkam mich der Fluchtimpuls, den ich zum ersten Mal seit Wochen wieder zu spüren bekam und rannte los Richtung Flur.

In diesem Moment kam Chris um die Ecke und ich rannte ungebremst in ihn rein.
Ich stolperte rückwärts und landete mit dem Hintern zuerst am Boden.

»Huch. Alles okay?«, wollte er wissen und schaute zu mir runter.

»Papa. Er hat Panik. Das ist genauso wie am Samstag!«, war es Marius, der Begriff, was mit mir los war.

Hektisch versuchte ich wieder auf die Beine zu kommen. Nach wie vor war mein Ziel hier rauszukommen und zu verhindern, dass ich mit zum Krankenhaus musste.

Leider wurde mein Weg von Chris versperrt, der sich noch nicht von dort weg bewegt hatte.

Mit jeder Sekunde, die verging, wurde es schwieriger für mich, mich auf den Beinen zu halten.

Marius Worte waren die Letzten, die ich problemlos verstehen konnte, danach machte es mir das Rauschen in meinen Ohren unmöglich.

Ich wich nach hinten zum Esstisch zurück und klammerte mich mit meinen Händen an die Tischplatte. Suchte halt.

Meine Augen hatten Chris fixiert, der sich nicht von der Stelle bewegte.

»Ich komme hier nicht raus … Scheiße …«, ging es mir durch den Kopf und ich verlor den Halt an der Tischplatte, wodurch ich zu Boden ging.

Rauschen in meinen Ohren, mir war heiß und in meinen Lungen kam gefühlt kein Sauerstoff mehr an.

Jemand berührte mich an meiner Schulter, gedämpfte Stimmen waren zu hören.

Halbherzig versuchte ich mich zu wehren, einen Effekt hatte es nicht.

Die Stimmen, die ich zwar hörte, aber nicht verstand, was sie sagten, redeten weiter. Ob sie miteinander redeten oder auf mich ein redeten, wusste ich nicht.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich das Gefühlt hatte, dass der metaphorische Würgegriff der Panik sich löste.

Die Atemnot legte sich, meine angespannte Körperhaltung löste sich und das Rauschen in meinen Ohren verschwand.

»Luke?«, hörte ich jemanden meinen Namen sagen.

Leicht öffnete ich die Augen und konnte erkennen, dass jemand vor mir kniete.

»Kannst du mich anschauen?«, wurde ich von dieser Person gefragt und ich drehte meinen Kopf leicht, sodass ich zu der Person hochschauen konnte.

Chris und neben ihm saß Marius.

Schnell versuchte ich mich aufzusetzen. Mein geräderter Körper hatte aber Schwierigkeiten damit die nötige Kraft aufzubringen, weshalb ich ein paar Anläufe benötigte.

»Mach langsam. Du bist nicht in Gefahr«, versicherte Chris mir. Mein Blick wanderte zu Marius rüber, dessen Verletzung notdürftig versorgt worden war.

Schnell wandte ich meinen Blick wieder ab. In mir stieg das schlechte Gewissen auf. Das schlechte Gewissen darüber, dass ich nicht dazu in der Lage war mich zusammenzureißen.
»Es tut mir leid«, brachte ich leise hervor.

»Was tut dir leid?«, hakte Marius nach.
»Das ich es nicht geschafft habe die Panikattacke zu verhindern …« Mein Blick klebte am Boden.

»Mach dir nichts draus. Ist doch nicht deine Absicht gewesen«, versuchte Marius mir mein schlechtes Gewissen zu nehmen.
Vorsichtig schaute ich wieder zu ihm. In seinem Gesicht konnte ich kein Zeichen von Wut oder einer ähnlichen Emotion erkennen. Stattdessen war dort Sorge abgebildet. Sorge um mich.

»Aber …«, setzte ich an, aber wurde von Marius unterbrochen! »Nein! Du kannst da nichts für!«

Er schien es ernst zu meinen.

»Umarmung?«, fragte er nach einigen Sekunden der Stille. Kurz überlegte ich, stimmte aber letztendlich zu.
Kaum eine Sekunde später wurde ich auch schon in eine Umarmung gezogen.

Chris saß einfach dabei und hatte uns im Blick.

Ein paar Minuten vergingen, bis diese Person sich dazu entschied Mal was zu sagen: »Ich möchte euch ja nur ungern stören, aber die Schnittwunde müsste noch versorgt werden«, erinnerte er uns.

Mein Magen zog sich unangenehm zusammen.

»Keine Sorgen. Wir nehmen die Wache. Vielleicht hat ja Jules Dienst. Der kann das fix Flicken«, entschärfte der Sanitäter in unserer Runde die Situation, bevor sie meinerseits ein erneutes Mal eskalieren konnte.

»Die Wache kenne ich zwar, allerdings habe ich sie bisher zwei Mal erst betreten. Ein Mal unfreiwillig und mit Panikattacke. Das zweite Mal auch mehr oder weniger freiwillig und mit Panikattacke … Außerdem weiß ich nicht, ob ich glücklich darüber sein soll, dass es Jules sein soll, der sich um Marius Verletzung kümmern soll.«

Marius löste sich von mir und ich schaute ihn an.

»Kann ich nicht einfach mit dem Bus nach Hause fahren?«, versuchte ich mich irgendwie aus der Situation zu ziehen.
»Mir ist nicht wohl dabei dich nach dieser Panikattacke alleine nach Hause fahren zu lassen«, verneinte Chris indirekt meine Frage.

Verdammt.

»Ich bin mir sicher du schaffst das. Wir sind bei dir. Du bist nicht alleine«, sagte Marius, um mir Sicherheit zu vermitteln.
Leicht nickte ich.

Ja. Sie waren bei mir, doch reichte das, um eine erneute Panikattacke zu verhindern?

Ich musste es wohl oder übel herausfinden …

WKM - Angst vor ihnen Where stories live. Discover now