Kapitel 1

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 POV: MARIAN

Heute habe ich keine Wahl, also reihe ich mich einfach für den Reiterquadranten ein. Als Kind eines Rebellen werde ich entweder im Reiterquadranten sterben oder darin aufsteigen. Heute entscheidet sich also mein Schicksal, meine Zukunft. Die Überquerung des Viadukts wird dafür meine erste Prüfung sein.

Ich binde mir meine schlecht gefärbten, bräunlichen Haare zu einem Pferdeschwanz und löse meine Schnürsenkel ein wenig. Den Druck auf meine Knöchel konnte ich noch nie leiden, davon bekomme ich Thrombose.

Alle zehn Minuten gehen wir einen Schritt voran, bis mir die frische Luft ins Gesicht prescht. Meine Augen beginnen schlagartig zu tränen und meine Sicht verschwimmt. Doch vor mir baut sich dieser muskulöse Körper auf, den ich überall und unter allen Umständen wiedererkennen würde. Seine perfekt geformten Muskeln pressen sich durch seine Tunika und lassen mein Herz beinahe explodieren. Sein Anblick ist selbst durch meine glasigen Augen ein Leckerbissen, den ich nur allzu gerne noch hier vor allen Augen verschlingen und nie wieder ausscheiden würde. Dieser Mann ist ein optisches Weltwunder, eine Granate, ein perfekter Mann. Es ist Xaden Riorson. Ich erinnere mich an jeden Moment in dem meine Augen mit seiner Anwesenheit beglückt wurden. Unsere Blicke treffen sich und er verdreht seine Augen. ,,Name?", fragt er mechanisch. ,,Marian Hoodehn", antworte ich mit stolzer Brust. Er lässt mich passieren und wendet sich schlagartig an den schlaksigen Jungen hinter mir.

Vor mir tut sich der Viadukt auf und mir gefriert das Blut in meinen Adern. Wo eben noch Feuer und Lust anschwoll, wächst jetzt Angst und Panik. Der steinerne Weg vor mir ist deutlich schmaler als in meiner Vorstellung. Ich mache einen Schritt vorwärts und ich knicke beinahe um. Meine Schuhe sind zu locker. Aber jetzt habe ich keine Zeit mehr um sie zu binden. Der schlaksige Junge kommt mit näher und drängt mich weiter nach vorne. Ich mache einen zweiten und einen dritten Schritt als sich ein lauter Schrei zu mir durchdringt. Der Schrei hallt nach, bis er von einem dumpfen Aufprall am Fußes des Berges übertönt wird. Mein Bauch verkrampft sich. Dies darf nicht auch mein Ende sein. Dies darf nicht mein letzter Augenblick sein. ,,Beweg dich!", ruft der schlaksige Junge hinter mir und streckt seine Arme zu mir aus. Ich weiche ihm gekonnt aus und gehen vorsichtig weiter. Ich werde den Viadukt überqueren. Ich werde heute überleben.

Ein Schritt nach dem anderen geleitet mich über den Viadukt. Auf der anderen Seite angekommen übermannt mich Lebendigkeit und reißt mich zu Boden. Ich drehe und wälze mich im nassen, schlammigen Gras und schreie in den Himmel hinaus. ,,Name?" Ich schaue zu einer vernarbten Nase empor und richte mich wieder auf. ,,Marian Hoodehn", wiederhole ich mich und marscheire an dem Narbengesicht vorbei, auf den Reiterquadranten zu.

Auf den Hof werden wir in Geschwader, Schwärme und Staffeln eingeteilt. Zu meinem Glück gehöre ich Xadens Geschwader, dem vierten Geschwader an. Mein Schwarm ist der Klauen Schwarm, unser Schwarmführer heißt Luca Ikregrold. Ich werde in die erste Staffel meines Schwarms zugeteilt, unter die Leitung von Trials Supracheck, der kleinste Mann den ich jemals gesehen habe. Seine Augen funkeln mich böse an, als ich mich den anderen neunzehn vorstellen möchte. Wenn ich mir meine Staffel genauer ansehe, stelle ich fest dass die meisten, so wie ich, im ersten Jahr sind. Drei sind aus dem zweiten und drei sind auch de dritten Jahr. Und obwohl ich von allen Seiten strenge Blicke kassiere, weiß ich schon jetzt, dass wir alle die dicksten Freunde werden. Dies wird eine unvergessliche Zeit, eine weltbewegende Reise. 


POV: ORENGA

Der Wind pfiff mir die braunen kleinen mini Zöpfe wild ins Gesicht. So windig war es selbst an der Nordküste Luceras nicht. Wie sehr ich mir gerade wünschte in meiner Heimatstad Sa-uh zu sein. Aber dieses Schicksal hatte ich mir selbst ausgesucht. Alle in meinem kleinen, bescheidenen Dorf dachten ich sei ein verträumtes, schwaches Mädchen. Ich würde es ihnen allen zeigen. Mein Blick ging runter und ich musste schlucken. Vielleicht würde ich es aber auch keinem zeigen, wenn ich in wenigen Sekunden auf dem Grund von Basgiath kleben würde. Nein, Orenga!, redete ich mir ein. Du wirst allen zeigen, wie poppig du sein kannst. Die poppige Orenga aus Sa-uh. So würde ich in die Geschichte eingehen. Ich sah es schon ganz klar vor mir. Mein Blick schweifte verträumt umher und ich musste dümmlich grinsen.

„Hallo???? Bist du taub???", schrie mich ein Mädchen ungeduldig an.

„Ich glaub die ist behindert, Xaden." Der mysteriöse Mann mit der coolen Narbe sah mich stumm an und die unvernarbte Augenbraue ging in die Höhe.

Ich musste schlucken, doch vor lauter Angst bekam ich Schnappatmung. Rede Orenga, sag irgendetwas! Ich fing an zu schwitzen und stotterte wild herum.

„I-i-ich...ich kom-m-m-me a-a-aus SAU. Ich meine aus Sa-Uh."

„Das interessiert keinen. Wie heißt du?", fragte das Mädchen genervt.

„I-i-ich h-h-heiße O-o-o."

„Meine Fresse!" Der Mann schwieg erneut und sah mich nur an. Scheiße, er sah aus als ob er mich gleich klatschen würde. Verübeln würde ich es ihm nicht. Ich dumme Sau.

Ich sagte mein inneres Mantra immer wieder auf: Die poppige Orenga aus Sa-uh. Die poppige Orenga aus Sa-uh. Die poppige Orenga aus Sa-uh. DIE POPPIGE ORENGA AUS SA-UH!!!!!

...und vergaß erneut zu antworten.

„Seit wann dürfen geisteskranke Menschen mitmachen? Körperlich behindert, ok. Wir hatten letztes Jahr sogar einen Rollstuhlfahrer. Der ist über den Viadukt geschlittert wie kein anderer. Aber die kann nicht mal reden." Erneut schwieg ihr gegenüber, ich glaube sie hatte ihn Xaden genannt.

Mit zitterten Händen zeigte ich auf meine Brust, denn ich würde es definitiv heute nicht mehr schaffen meinen Namen laut auszusprechen. Sie sah mit zusammengekniffenen Augen auf meine Brust und sah mich dann fassungslos an.

„Du hast dir ein Namensschild an die Brust geheftet?" Kopfschüttelnd sah sie auf ihr Klemmbrett und hakte meinen Namen ab.

„Mir soll's recht sein Orenga aus Sau. Viel Spaß auf dem Viadukt." Die poppige Orenga aus Sa-uh. Aber das würden sich alle noch einprägen in naher Zukunft. Dessen war ich mir sicher.

Sie ließ mich durch und ich bemerkte gar nicht wie alle hinter mir fluchten, weil ich fast 20 Minuten lang den Weg versperrt hatte. Mit zitternden Beinen machte ich den ersten Schritt auf den Viadukt, als plötzlich eine dunkle Stimme hinter mir ertönte.

„Ich finde sie poppig." Xaden fand mich poppig. Ich fing an zu grinsen wie ein Idiot und sprintete beflügelt den Viadukt runter. Nichts konnte mich aufhalten, dachte ich. Bis ich in eine Person reinlief und auf meinem Po landete. Sofort kamen mir die Tränen.

„Pass doch auf du Pute!"

„Ey, Thorsten, beruhige dich. Komm, die Aufstellung beginnt." Thorsten sah mich böse an und ging dann mit seinem Kumpel zu den anderen, die sich aufgestellt hatten.

Ich sah wie Xaden sich ganz nach vorne stellte und eine Liste in der Hand hielt. Plötzlich ging er hektisch herum und strich beim Geschwaderführer links neben ihm einen Namen durch und fügte seiner Liste einen neuen Namen hinzu.

Xaden fing an aufzuzählen: „Marian, Chio, Thorsten, Zilam...Opal, Fren, Moruka und...ORENGA." Er hatte meinenNamen als letztes auf die Liste geschrieben! Ich fing unkontrolliert an zu kichern. Alle sahen mich komisch an, aber das bemerkte ich gar nicht, denn ich war für Xaden die poppige Orenga. Plötzlich brüllte ein Drache und meine Stimmung wechselte schlagartig und ich fing an zu heulen.

Fourth Wing: Marian und OrengaWhere stories live. Discover now