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Freya

Eigentlich hatte ich gar nicht vorgehabt, mich mit dem Jäger zu treffen. Aber wenn Ace auf ein Date gehen konnte, dann konnte ich das auch! Vielleicht war es kleinlich und erbärmlich, aber ich wollte nicht, dass mein Bruder mir in etwas voraus war.

Nur war ich an diesem Freitag nicht sonderlich gut gelaunt. In der Nacht zuvor hatte ich wieder von Mom geträumt. Ich hatte von dem Tag geträumt, an dem sie ermordet worden war. In dem Traum hatte ich zu ihr wollen, hatte ihr helfen wollen, mich aber nicht von der Stelle bewegen können. Genauso wie damals. Dann war ihr Mörder -der Junge, der mir als Kind immer richtig alt vorgekommen war, mittlerweile in meiner Erinnerung aber jünger war als ich-, zu meinem Bruder gegangen und hatte auch ihn töten wollen. Er hatte das Messer gehoben und da war ich aufgewacht.

Ace hatte in meiner Türe gestanden, ich hatte mir die Haare aus dem verschwitzten Gesicht geschoben und alle aufkommenden Tränen heruntergeschluckt. Auch wenn er keine so starke Verbindung zu mir spürte, wie ich zu ihm, wusste er immer, wenn es mir schlecht ging.

„Spanner?", hatte ich gefragt.

„Gut geschlafen?", hatte er sarkastisch entgegnet. Das war seine Art, mich dazu zu bringen, über meine Alpträume zu sprechen, aber ich konnte ihm nicht sagen, dass ich mich an Moms Tod erinnerte. Es war zu grausam, also hatte ich nur meine Decke beiseitegeschoben und war aufgestanden.

Wenn ich davon träumte, jemanden aus meiner Familie zu verlieren, war es immer dieser Junge, der Schuld daran trug. Der Junge mit den rötlichen Haaren und der blassen Haut und den zitternden Händen, die sich um das Messer mit der blauen Klinge geschlossen hatten.

Manchmal tötete er Mom, manchmal Dad, manchmal Ace, manchmal Trish oder Dee, manchmal Onkel Aidan, Tante Bev, Ally oder Finn. Es machte keinen Unterschied, wen dieser Junge in meinen Träumen tötete, denn meine Mom hatte er mir wirklich genommen. Und an manchen Tagen hasste ich es, dass ich ihn nicht vergessen konnte, war aber gleichzeitig dankbar, denn meine Mom würde ich somit auch niemals vergessen.

Bevor Ace und ich an diesem Morgen das Haus verließen, um in die Schule zu gehen, drückte ich Trish eine Liste in die Hand.

„Hier", sagte ich.

„Was ist das?", fragte sie und faltete den Zettel auf.

„Eine Liste von Dingen, die Ace sich zum Geburtstag wünscht", sagte ich trocken und Dad, der sich eben erst seine zweite Tasse Kaffee eingegossen hatte, schloss angestrengt die Augen.

„Oh, und Freya wünscht sich eine Badekugel und ein Anklopfen-verdammt-nochmal-Schild für ihre Zimmertüre", ergänzte Ace vom Eingang aus und schlüpfte in seine Jacke.

Ich grinste Dad und Trish kurz an. „Hoffentlich konnten wir helfen."

„Danke, dass ihr einander nichts gesagt habt!", lachte Trish ungläubig auf und schüttelte den Kopf.

„Gerne!", riefen Ace und ich noch wie aus einem Mund zurück und zogen die Haustüre hinter uns zu.

Als ich am Abend pünktlich um sechs das Burger Restaurant betrat, spürte ich die Nachwirkungen meines Alptraumes immer noch deutlich. Ich suchte den Raum mit schnellem Blick ab und spürte den Jäger, noch bevor ich ihn sah. Er trug wohl sein Dämonenglas wieder bei sich und ich fragte mich abermals, ob ich einen Riesenfehler beging. Keiner wusste, dass ich hier war. Dad und Trish waren beide noch auf der Arbeit und Dee interessierte sich nicht genug für mein Privatleben, um mich mit Fragen zu löchern. Nicht einmal Ace hatte ich davon erzählt, dass ich mich mit einem Jäger verabredet hatte. Zwischen uns herrschte zwar das Gesetz, Dad und Trish niemals etwas zu erzählen, was sie nicht zu wissen brauchten, aber ich glaubte, dass mein Bruder sehr wohl gefunden hätte, dass ein potenzieller Attentäter durchaus in die Kategorie von Dingen fiel, die Dad und Trish erfahren sollten. Also hatte ich ihm erzählt, dass ich in die Bibliothek gehen wollte, um an unserem Chemieprojekt weiter zu basteln, weil ich mich nicht konzentrieren konnte, wenn Dee auf dem Flügel im Wohnzimmer herumklimperte. Das hatte er mir zwar nicht abgekauft, mich aber wortlos gehen lassen.

Cold Blood (Band 5)Where stories live. Discover now