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Ace

Irland war ein wunderschönes Fleckchen, fand ich. Das Schloss war perfekt, um sich irgendwo zu verkriechen, zu lesen, in Ruhe zu lernen oder ein bisschen den Regen zu genießen, den wir in San José fast nie zu Gesicht bekamen. Als Kinder hatten Freya, Dee und ich hier immer wunderbar Verstecken spielen können. Wir waren in die riesige Bibliothek gegangen und hatten die tollsten Zauber in ihren Büchern entdeckt, mit denen wir natürlich nichts hatten anfangen können. Wir hatten uns in Arlens Labor geschlichen, wenn es schon spät gewesen war und hatten so getan, als wären wir selbst Hexen und Zauberer gewesen, die mit ihren Tränken herumexperimentierten. Zumindest so lange, bis Arlen uns einmal entdeckt hatte. Danach war die Türe immer abgeschlossen gewesen.

Das Einzige, das ich an diesem Ort hasste, war die Zeitverschiebung.

Wir waren gegen neunzehn Uhr aus Kalifornien abgereist, aber hier war es um diese Zeit drei Uhr morgens gewesen. Jetzt ging langsam die Sonne auf, ich wurde allmählich müde, konnte aber nicht einschlafen. Ich wälzte mich in meinem Bett hin und her, zog mir die Decke über den Kopf und versuchte an etwas Schönes zu denken, um meine Gedanken zu beruhigen, aber es klappte nicht. Irgendwann griff ich nach meinem Handy und wählte Freyas Nummer.

„Kann mein werter Herr Bruder ohne mich nicht einschlafen?", fragte sie trocken, als sie abhob.

„Witzig." Ich rieb mir die Augen. „Warum bist du noch wach?"

„Ich kann nicht schlafen, wenn du nicht da bist", gab sie beleidigt zu, aber das überraschte mich nicht. „Blödmann. Warum musstest du ohne mich weg?"

„Warum wolltest du nicht mit?", gab ich die Frage zurück. „Hat Dad sich wieder beruhigt?"

„Keine Ahnung, ich bin nicht zu Hause."

„Wo bist du?"

„Bei Onkel Aidan geblieben."

„Mutig. Ob du wohl ohne Kopf herumrennst, wenn ich wieder zurückkomme?"

„Möglich. Glaubst du, er hebt meinen Hausarrest auf?"

„Möglich. Wahrscheinlicher ist, dass er ihn verlängert", lachte ich.

„Ekelhaft..."

Eine Zeit lang schoben wir nur belangloses Gerede hin und her, aber ich fühlte mich sofort wohler, und irgendwann legte ich mein Handy neben mir auf das Kissen und schloss die Augen.

„Bist du noch da?", murmelte Freya irgendwann, selbst schon völlig weggetreten.

„Mhhh...", machte ich zustimmend.

„Nicht auflegen", gähnte sie.

„Mhh..."

„Gute Nacht..."

„Mh."

~~ ~~

Dad würde sich für die Telefonrechnung bedanken, dachte ich, als ich gegen Mittag wieder aufwachte und mein Anruf immer noch lief. Freya war bestimmt noch nicht wieder aufgewacht und ich legte auf, wünschte ihr per SMS vorsorglich einen guten Morgen und rieb mir müde das Gesicht.

Um diese Zeit saßen Tante Bev und Ally wahrscheinlich schon beim Mittagessen. Mühsam kroch ich aus dem Bett, zog mich um und schlurfte durch die Gänge.

Wenn ich hier war, kam es mir immer so vor, als würde die Welt außerhalb dieses Schlosses nicht existieren. Es war einfach eine andere Welt. Wenn ich aus dem Fenster sah, sah ich nur endlose Grünflächen und dahinter das Meer. Sonst nichts. Die endlosen Flure, die riesigen Kronleuchter und die weiten Teppiche ließen mich immer fühlen, als wäre ich in ein anderes Zeitalter gerutscht.

Cold Blood (Band 5)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt