Kapitel 17

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Die kühle Septemberluft schlich sich zaghaft unter meine Jacke und färbte meine Nasenspitze in ein helles rot. „Scheisse ist das kalt." sprach Ava genau das aus, was ich mir gerade dachte und rieb sich dabei pustend die Hände. „Kein Wunder bei deinem mager bestückten Klamotten."
Sie trug nur eine dünne schwarze Strumpfhose, einen schwarzen Minirock und das Trikot ihres Bruders, welches sie genau wie ich hochgeknotet hatte, darüber steckte sie in einer Lederjacke. Mein Blut gefror schon allein vom Hinschauen.
Dennoch gefiel mir ihr Outfit und die dazu hochgesteckten Haare, bei denen einzelne Strähnen aus der Frisur in Löckchen heraushingen. Wir waren gerade dabei unseren Stand mit allerlei Krimskrams aufzubauen, an dem sich die Bewohner von Woodstock Fanartikel kaufen konnten. „Wer zum Teufels kam auf die Idee mit den Wackelköpfen?"
Demonstrativ holte Ava einen kleinen Mini-Sawyer aus dem Karton, dessen Kopf gefährlich schnell hin und her baumelte, woraufhin ich in lautes Gelächter ausbrach. Diese kleinen Figürchen waren nicht Vorteilhaft produziert worden, dass Gesicht von Klein-Sawyer wirkte aufgedunsen, die Augen waren schräg versetzt und der Mund viel zu groß. Auch Ava bekam sich kaum noch ein, während wir jeden einzelnen von den Figuren auf dem Tisch aufreihten und jeder einzelne auf ihre Art und Weise unsagbar witzig aussahen. „Na was gibt es da zu kichern Mädels?"
Perplex riss ich meine Augen auf und drehte mich augenblicklich zu der mir nur zu bekannten Stimme herum. Graue Augen starrten mir entgegen und ein freundlich aussehender Peter stand vor Ava und mir, über der Schulter trug er eine große Trainingstasche, die ähnlich war mit der von Reece. Seit wann spielte Peter denn Football und was macht er ausgerechnet hier?
„Peter was machst du denn hier?" warf Ava ein und verschaffte mir so mehr Zeit klar zu denken. Ihn hier zu sehen, außerhalb des Kinos ließ mein Herz schneller schlagen, doch ich wusste nicht ob es vor Freude oder Angst so schnell hämmerte. Was würde er denken, wenn er mein Oberteil sehen würde und vor allem, wenn er den Namen darauf lesen würde? Zum Glück bedeckte meine Jacke Reece Namen. „Wir spielen dieses Jahr auch auf der Benefizveranstaltung."
Mit wir meinte er seine High School, die Willow Creek high.
Sein Blick schwankte von Ava zu mir und der freudige Ausdruck wandelte sich in Mitleid um. „Ich hab mir Sorgen um dich gemacht, du kommst seit zwei Wochen nicht zur Arbeit."
Meiner Freundin schien meine Überforderung regelrecht zu spüren, weshalb sie eingrätschte.
„Sie hatte Pfeiffersches Drüsenfieber Peter, hatte ich doch erwähnt." Augenrollend verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah ihn vorwurfsvoll an, was mich beinahe wieder zum Lachen brachte. Verwirrt schaute er zwischen Ava und mir hin und her, was total niedlich aussah, aber ich konnte ihm unmöglich erklären was wirklich hinter allem steckte.
„Hast du kurz Zeit? Allein?" er schaute Ava entschuldigend an, die bloß entwaffnend ihre Hände hob und sich dann wieder dem auspacken der Kartons widmete. „Klar, ich kann dir ja die Umkleidekabinen zeigen."
Ich legte den Wackelkopf von Reece Campbell beiseite. „Bin gleich wieder da." informierte ich noch schnell Ava ehe ich zusammen mit Peter über den Parkplatz voller Menschen spazierte. „Tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe." murmelte ich schüchtern und musste zugeben, dass diese Umgebung und Peter sich anders anfühlte als wie sonst, im Kino. Dort waren wir ausgelassen, neckend und spielerisch, aber hier wirkte alles so ernst und hart. Trotzdem musste ich zugeben, dass er kein Stück an Attraktivität in den letzten Wochen verloren hatte und in normaler Alltagskleidung zehn Prozent schöner wirkte. Peter räusperte sich, schulterte seine Tasche noch einmal auf und blieb kurz vor dem Trainingsfeld stehen, auf dem unsere Footballmannschaft schon fleißig am üben war. „Hör zu Quinn, ich kann verstehen, dass es für dich Aspekte gibt Geheimnisse zu haben und niemandem zu vertrauen, aber du hättest mich nicht anlügen müssen."
Mein Herz setzte aus. Es war als würde sich die Welt weiterdrehen ohne mich, als würde alles um mich herum sich in doppelter Geschwindigkeit abspielen, nur ich stand angewurzelt auf dem nassen Rasen und musste mich zusammenreißen nicht auf der Stelle loszukotzen. Ich wollte auf der Stelle im Boden versickern, denn all meine aufgetischten lügen waren im Inbegriff wie ein Luftballon zu platzen und er hatte die Nadel dafür. „Was meinst du?" meine jetzige Taktik hieß bis zum bitteren Ende auf unwissend zu tun.
Er legte leicht seinen Kopf zur Seite und schaute mich mit ausgesetzter Miene an, als wolle er sagen „Du brauchst nicht mehr weiter lügen."
„Du hast im Trailerpark gewohnt und die Campbells haben dich adoptiert."
Die Erde unter meinen Füßen vibrierte, mein ganzer Körper stand unter Strom und da war diese unbeschreiblich große Wut. Ich wollte nicht, dass er es wusste. In sechs Monaten hätten sich unsere Wege für immer getrennt und all das wäre eine schöne Vergangenheit auf die ich in zehn Jahren gerne zurückgeblickt hätte und jetzt würde sie einen bitteren Beigeschmack haben. Meine perfekt aufgebaute Lügengeschichte war aufgeflogen und neben dem Zorn flackerte Scham im Hintergrund. Ertappt schloss ich für eine Sekunde meine Augen, atmete tief ein und beim öffnen meiner Lider wieder aus. „Ja ich habe im Trailerpark gewohnt, aber die Campbells haben mich nicht adoptiert, sie lassen mich bis zum Abschluss bei ihnen wohnen."
Diese Worte über meine Lippen zu bringen war schwer und hart. Zu lügen fiel mir einfacher als die Wahrheit auszusprechen und nun wo ich es endlich getan hatte, fühlte es sich trotz der ganzen negativen Gefühle befreiend an. Ich musste mich nicht mehr dafür schämen wo ich herkam. Es lag nie in meiner Hand.
„Das ist ganz schön großzügig von ihnen, zu mal du eine fremde wortwörtlich aus der Gosse bist." Peter fing an zu lachen so als sei es witzig gewesen was er da gerade gesagt hatte über mich und die Gosse, als wäre ich eine kriminelle, die die Campbells sich ins Haus geholt hatten.
Meine Augen zu Schlitzen verengt und meine Lippen leicht gekräuselt schaute ich ihm entgegen und wartete darauf, dass er sich für seine Worte erklären würde oder derartiges, doch nachdem sein Lachen verklang war da nur dieser Ausdruck in seinem Gesicht als wäre ich diejenige, die diese Situation nicht verstand. Genau das war es wovor ich am meisten Angst hatte, dass Peter mich nachdem er die Wahrheit kannte mit anderen Augen sehen würde. Er stammte aus einem reichen Elternhaus, mit all diesem Luxuszeug und innerlich hatte ich immer gehofft, dass er nicht dieses Klischeedenken über arme Leute besaß. Tja, da hatte das ganze hoffen und beten wohl nichts gebracht. Seine großen Hände umfassten meine Schultern und er rüttelte leicht an ihnen, so als wolle er mich aus einem Traum wecken. „Das war nur ein Spaß Quinn."
Genervt schüttelte ich seine Arme von mir ab und trat einen Schritt zurück. „Denkst du das meine Lebenssituation zum witzeln geeignet ist? Dass das alles eine riesige Lachnummer ist?"
Meine Stimme wurde lauter, die Leute in unmittelbarer Nähe drehte sich schon zu uns um und doch bekam ich mich nicht mehr ein. Ich hatte wirklich ein Problem mit meiner Wut.
Peter hob seine Hände, so wie Ava vorhin und setzte ein Lächeln auf was mich wohl beruhigen sollte, denn ihm schien es sichtlich unangenehm.
„Nicht jeder hat so ein Privileg wie du in einer reichen Familie geboren worden zu sein Peter. Tut mir leid, dass ich nicht der richtigen Familie angehöre."
„Jetzt machst du dich wirklich lächerlich Quinn." Von dem hinreißenden Peter Clark, an dem ich gedacht hatte mein Herz verloren zu haben, war so gar nicht mehr dieser Mensch aus dem Kino.
„Ich werd jetzt gehen." fauchte ich mit gebrochenem Herzen.
„Sonst warst du auch nicht so zimperlich und empfindlich." säuselte er vor sich hin und vielleicht waren diese Worte nicht für meine Ohren bestimmt, aber sie trafen mich direkt in die Magengrube. Anscheinend hatte ich den Tot doch noch nicht so wirklich verarbeitet, sonst würde ich nicht so emotional reagieren.
„Die Kabinen sind dahinten." ich zeigte mit meinem Finger auf die andere Seite des Feldes, streifte unvorbereitet Reece, der in meine Richtung schaute und für eine Sekunde abgelenkt war, was seinen Mitspieler zum Anlass nahm ihn mit voller Wucht von den Füßen zu reißen. In einer anderen Gefühlslage hätte ich wohl darüber gelacht.
Ohne ein weiteres Wort von Peter abzuwarten verließ ich den Sportplatz und gesellte mich mit hängenden Schultern wieder zu Ava, die laut ihrem Gesichtsausdruck etwas anderes erwartet hatte, so wie sie strahlte. „Und?" wollte sie neugierig wissen und stupste mich mit ihrer Schulter an.
„Er weiß es." seufzte ich, strich mir durch meine Haare und drehte mich Ava zu.
„Was hat er dazu gesagt?"
„Eigentlich hat er normal reagier bis auf seinen Witz."
„Was für ein Witz?"
Niedergeschlagen warf ich mich auf den einzigen Plastikstuhl hinter unserem Stand und warf die Hände in die Luft. „Vielleicht übertreibe ich auch, aber es hat mich getroffen."
„Scheisse Quinn wenn du mir nicht auf der Stelle sagst was für einen Witz er gerissen hat, dann werd ich persönlich zu ihm gehen und ihn umbringen." sie hielt ihre Hände vor ihrem Gesicht so als meinte sie die Drohung mehr als ernst.
„Seine Worte waren: „Das ist ganz schön großzügig von ihnen, zu mal du eine fremde wortwörtlich aus der Gosse bist.""
Ungläubig riss sie ihre Augen auf, was mir zeigte, dass meine Reaktion angemessen war und ich es nicht übertrieben hatte.
„Ich bring ihn um!" zischte sie, doch ich hielt sie mit meinen Händen davon ab, indem ich sie am Saum ihres T-Shirts festhielt.
„Bitte nicht, dass würde es unangenehmer für alle machen. Schließlich arbeiten wir zu dritt im Kino."
„Quinn er hat dich dargestellt als seist du eine Kriminelle."
Schulterzuckend nahm ich mir zwei Becher. „Das war's wohl mit der Lovestory." witzelte ich, doch innerlich weinte mein Herz hinter dem her was hätte werden können. Aus Peter und mir wäre niemals etwas werden können, aber bis vor kurzem fand ich ihn einfach toll. „Du verdienst was besseres."
„Wie läuft es eigentlich mit dir und Devenport?"
„Hör auf, der ist total Geschichte."

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