Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben

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Angus

»Du darfst kein Aufsehen erregen, Agnus«, hat er zu mir gesagt. »Du darfst ja nicht auffallen. Versteck dich so gut, dass dich wirklich niemand sieht - sogar ich dich nicht - und wenn dich jemand dennoch findet und anspricht, läufst du davon. Ich finde dich! Komm einfach nur an einen der Orte, von denen ich dir erzählt habe.«

Ich stöhne innerlich auf, während ich mich an meinem Buch festkralle, als wäre es im Notfall eine gute Waffe. Vielleicht sollte ich es ihm auf den Kopf schlagen und davonlaufen. Ob er weiß, was ich vorhabe und er ausweichen wird? Weiß er dann, dass ich dazu gehöre und wird er mich zur Polizei bringen? Wird er mich als Geisel missbrauchen und damit die anderen in Gefahr bringen?

Mein Gedankenfluss wird unterbrochen, als mein Blick auf seine Hand fällt. Auf seinem Ringfinger sitzt etwas, das mir nur allzu bekannt ist. Ich kann seinen Worten nicht folgen und unterbreche ihn kurz darauf auch.

»Woher hast du den?«, frage ich schroff. Den gibt es nur ein einziges Mal. Entensiegelringe sind zu bekommen, aber nicht mit dieser hässlichen Gravur, die ich so sehr schätze.

»Gefunden«, sagt er arrogant. Dieses hässliche Grinsen auf seinen Lippen bringt meinen Bauch zum Brodeln. Wütend funkle ich ihn an, während er meinen Ring stolz hochhält. »Schick, nicht? Er ist schon irgendwie albern, aber stell dir vor, ich schreibe einen Brief mit Wachssiegel. Das sollte ich wirklich als erstes machen.«

Das kann nicht sein. Ich habe ihn immer getragen und kaum ist er verschwunden, taucht er an dem Finger eines Typens auf, der mir zufälligerweise über den Weg läuft und sich neben mich setzt, anstatt vielleicht selbst die Polizei zu rufen. Ist das eine Falle?

»Wo hast du den gefunden?«, frage ich und muss mein Lieblingsbuch neben mich legen, weil meine Hände so sehr zittern. Die Wut verpufft und eiskalte Panik bricht aus. Ich zögere, bevor ich zielgenau nach seiner Hand greife und mir den Ring genauer unter die Lupe nehme. Falle. Das hier ist eine Falle. Ich muss jetzt ganz geschickt vorgehen, um ja keinen weiteren Fehler zu machen.

Bevor ich alles komplett ruiniere, kommen die Jungs mir zum Glück zur Hilfe. Sie verlassen das Geschäft und starten schon mit der Feier. Sie bewerfen sich mit ihrem Raumzug. Unserem Raubzug.

Ich verdrehe die Augen. Sie freuen sich zu früh. Die Verkäuferin hat bereits ihr Handy gegriffen. Nicht mehr lange und die Polizei wird da sein. Wir müssen schnell hier weg.

»Ouch! Fick dich«, murmelt Robin, als er eine Wunderkugel abbekommt und reibt sich die Stelle, an der er getroffen wurde. Bevor Riley und Sage überhaupt reagieren könne, wirft er um sich. Die Schlacht setzt fort, bis viele Plastikverpackungen am Boden liegen und auch dort zurückbleiben, weil sich keiner von ihnen die Mühe macht, auch nur eine davon aufzuheben.

»Angus?«, ruft Riley nach mir, obwohl wir ganz klar ausgemacht haben, dass er mich bei einer stressigen Angelegenheit nicht mit meinem Namen nennen soll. Ich verenge die Augen, als keiner von den anderen stehen bleiben und auf mich warten wollen. Riley streckt die Arme aus und hält sie vom Gehen ab. »Angus? Ich habe dir Kaugummi mitgebracht! Wenn du nicht gleich kommst, schenke ich ihn weiter.«

Codeword.

Ich springe so schnell auf, dass ich fast über meine eigenen Beine stolpere. Noch halb versteckt hinter dem Mülleimer verklickere ich dem Fremden, dass er die Klappe halten soll, wenn die Polizei auftaucht. Ich laufe zu den anderen, ohne auch nur mich umsehen. Hoffentlich überfährt mich ein Auto.

»Du versteckst dich immer besser.« Lüge. Riley sichtet mich und streckt die Arme aus, um mich einzufangen. Er riecht nach billigen Parfüm und Schweiß. Er drückt mich fest an sich und kneift mir in die Nase. Ich verziehe das Gesicht und versuche mich von ihm zu lösen, doch höre sofort auf, als er mir die saure Kaufummikugel in die Hand drückt. »Wir müssen noch ein neues Buch für dich besorgen, also los jetzt, bevor die Bullen hier auftauchen!«

-///-Où les histoires vivent. Découvrez maintenant