#114 Kitaische Nächte

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Doch Taejo war weise genug zu erahnen, was in Ivenej vorging und so bat er ihn mit sanfter Stimme: "Setz' dich zu mir Ivenej".
Der beeilte sich natürlich diesem – in seinen Ohren Befehl – nachzukommen und so hockte nun ein immernoch zitterndes Häufchen Elend vor ihm.
"Ich weiß was du fürchtest" sprach Taejo also beruhigend auf ihn ein, "aber anders als bestimmte unserer beider Vorfahren verspüre ich kein Vergnügen es mit einem von Angst gepeinigtem Menschen der kaum schon erwachsen ist zu tun."

Ivenej wusste von wem Taejo da sprach, er hatte die Gerüchte und Legenden gehört: "Ihr sprecht von Fedej Schestokij..."
Betätigend nickte der und ergänzte: "Und von Liang Taego Gomun..."

Kurz herrschte Stille in der Ivenej Taejo voller Erwartung anschaute, dann brach Taejo diese: "Schau' Ivenej, ich bin nicht wie Taego, der den Beiname Gomun¹ zurecht hatte – und auch wenn es nicht die offizielle Sicht meines Landes ist, bin ich froh, dass er es nie auf den Thron geschafft hat..."
"Anders als Fedej der Grausame" seufzte Ivenej, "Silistrien hatte nicht das Glück, dass die Sorener uns von unserem der beiden Teufel befreit haben..."
"Das weiß ich wohl" erklärte ihm Taejo nun, "und deswegen sollst du wissen, dass ich sehr wohl sehe, wie mein Volk dir ablehnend begegnet wegen Ereignissen der Vergangenheit für die du persönlich nichts kannst, dass ich durchaus merke wie du darunter leidest, denn du bist in einem Alter, wo es besonders schwer ist damit umzugehen. Aber indem ich dich hier als Teil meines Gefolges, als Teil der Menschen die meine engsten Vertrauten sind – oder zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung als solche gelten – vorzeige, unternehme ich etwas gegen Vorurteile. Und das ist der erste Schritt um zu einer Versöhnung zu kommen..."

Ivenej bekam rote Ohren, was Taejo insgeheim ganz niedlich fand, was aber auch ein offensichtliches Zeichen war, dass der Junge vor ihm sich gerade in Grund und Boden schämte.
"Ihr denkt an Versöhnung und ich..." stammelte Ivenej dann auch voller Scham, "...und ich.... ich..."
"Du hast dich gefürchtet?" half ihm Taejo behutsam auf die Sprünge.
"Ich dachte Ihr macht aus mir einen zweiten 'Newjesta Maltschik'² und würdet mir ein solch furchtbares Ende bereiten wie 'dwa djavola'³ einst ihm..." gestand Ivenej nun wie tief seine Ängste wirklich gingen, an dem Abend wo Taejo befahl ihn auszuziehen und von seinem Bruder zu trennen. Ängste die ihn seitdem auch nicht mehr gänzlich verlassen hatten.
Jetzt musste Taejo ein wenig grinsen und dann gab er zu: "Nun.... Vielleicht wollte ich ein kleines bisschen, dass dein Bruder das glaubt..."
"Mein Bruder?" fragte Ivenej nun ziemlich perplex, "warum solltet Ihr ihn denken lassen wollen Ihr würdet mir so ein Ende bereiten wollen?"
Fassungslos starrte der junge Silistrier nun Taejo an.
"Weil" erklärte der ihm nun sehr ruhig, "das Erbe Fedej Schestokijs in deinem Bruder weitaus stärker ist als in dir..."
"Und das Erbe Taego Mutschitels¹ in Euch gibt es nicht?" begehrte Ivenej nun auf.
Taejo schüttelte sanft den Kopf und dann entgegnete er: "Taego Gomun hatte keine legitimen Nachfahren, dem Himmel und den Sorenern sei Dank, ich und das ganze Haus Liang nach ihm stammen von seinem jüngerer Bruder Taebim ab."
"Aber auch die hatten denselben Vater" war Ivenej nicht überzeugt, "warum also sollte ich sicher sein, dass ihr kein Gefallen daran findet mich so in mein Ende zu schänden wie Taego und Fedej samt ihrem Gefolge von... von..." Ivenej suchte nach den richtigen Worten in Angevinisch, fand sie aber nicht. "...von Schkura i Pristavanije⁴ es einst mit dem armen Newjesta Maltschik taten?" spie er förmlich aus.

Die Antwort von Taejo darauf war so  unerwartet, sie haute Ivenej förmlich aus den Socken: "Das war nicht sein Ende..."
Er glaubte er habe es nicht richtig verstanden: "WAS?"
"Bride-Boy" erklärte ihm der Prinz nun geduldig, "er ist dabei nicht ums Leben gekommen..."
"Wie kann er überlebt haben?" Ivenej war fassungslos. "Wie kann man so etwas überleben?"
"Der Wille zu Leben und zu überleben, er kann sehr stark sein" erwiderte Taejo nur lakonisch.
"Wie kann man nach dem noch leben wollen?" Ivenej konnte es nicht verstehen. "Ich glaube ich hätte mich umgebracht..."
"Das sagt sich so leicht" entgegnete ihm Taejo, "aber wenn es dann soweit ist, ist es garnicht so einfach das Leben loszulassen..."
"Es ist schwer sich das vorstellen" räumte Ivenej nun ein.
"Deswegen verwenden wir ja auch das adjektiv 'unvorstellbar' um die Steigerung von etwas über den uns verstellbaren Bereich hinaus zu kennzeichnen" merkte Taejo an, "denn das Unvorstellbare ist unvorstellbar, bis es einem selbst widerfährt. Und dann ist es zwar vorstellbar, aber kaum in Worte zu fassen..."
"Da habt Ihr wohl recht" stimmte ihm Ivenej zu.

Dann allerdings sagte Taejo erneut etwas, dass er kaum zu glauben vermochte. Fast wie nebenbei sagte der nämlich: "Aber wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich es dir ermöglichen, dass du ihn einmal selbst danach fragen kannst, wie man das Unvorstellbare überlebt..."
In Ivenejs Gesicht spiegelte sich großes Unverständnis als er darauf sichtlich verwirrt fragte: "Wen soll ich selbst fragen?"
"Na, Newjesta Maltschik², wenn sonst?" erwiderte ihm Taejo mit einem feinen Lächeln.
"Wie soll ich denn mit jemandem reden der vor zweihundert Jahren...." echauffierte sich Ivenej sofort, dann aber kam ihm eine jähe Erkenntnis und er rief wie vom Donner gerührt: "Warte, er lebt noch?"
"Er lebt noch" bestätigte ihm Taejo, "und er ist so schön wie die Legende sagt..."
"Wie kann er..." hob Ivenej mit der nächsten Frage an, aber wie schon zuvor, kam er selber auf die Antwort  bevor er seine Frage ausgesprochen hatte, "....Sore oder?"
"Sore...." bestätigte ihm Taejo, dass er richtig lag.

"Deswegen sind alle Zaren seit Fedej Schestokij daran gescheitert gute Beziehungen mit Sore zu haben" realisierte Ivenej, "deswegen ist das alte Silistrien untergegangen. Der Fluch der Missetat von Fedej dem Grausamen hat uns letztendlich eingeholt...."
"Für Tihonguk war das auch nicht besser" erklärte ihm Taejo nun bitter, "der Fluch dieser Tat hängt uns in den Augen der Sorener an. Dabei sind die doch auch nicht besser!"
"Aber Euer Reich ist nicht untergegangen" widersprach ihm Ivenej.
"Aber nur weil Sore mit Trevor, meinem Gemahl, ähnlich abscheulich umgegangen ist und die Fehler welche die ach so stolzen Sorener dabei gemacht haben ihnen auf die Füße gefallen sind" empörte sich Taejo nun.
"Sie haben Trevor auch... das?" Das Entsetzen sprang Ivenej förmlich aus den Augen.
"Nein, so weit sind sie nicht gegangen" räumte Taejo ein, "aber sie haben ihn versklavt, gedemütigt und ihn gegen seinen Willen...."
"Wie konnte er ihnen entkommen?" wollte Ivenej wissen.
"Sie haben ihn zwangsverheiratet und sein Gatte wollte mehr Macht und hat ihn auf den Thron von Angevinien gesetzt..." begann Taejo nun zu erzählen.
"Und dann?" warf Ivenej ein.
"Und dann hat er den Spieß umgedreht, hat als frisch gekrönter König seinen Gatten einkerkern lassen und hat ihm das Geschenk des Himmels, nämlich ihr langes Leben, geraubt." fuhr Taejo fort.
"Dass muss Sore doch ziemlich geärgert haben?" erkundigte sich Ivenej.
"Das hat es, aber das Risiko eines großen Krieges war Sore dann doch zu groß und so hat man sich verständigt..." berichtete Taejo weiter.
"Der sorenische Gemahl von Trevor von damals – was wurde aus dem?" wollte Ivenej wissen.
"Der sitzt in den Verliesen von Chaudosham Palace. Zusammen mit deinem Bruder" antwortete ihm Taejo.
"Mit Alexej? Kann der Alexej etwas tun?" Ivenej gefiel die Vorstellung sichtlich nicht.
"Könnte er" erwiderte Taejo, "falls er Trevor einen Vorwand für seine Hinrichtung geben will...."
Bang kam es nun von Ivenej: "Denkt Ihr Trevor hat darauf gehofft?"
"Schon möglich" erwiderte Taejo, "aber so dumm ist Terastan nicht..."
"Terastan, ist das sein Name?" Ivenej überlegte wo er diesen Nanen schon einmal gehört hatte.
"Terastan, Terastan ab Apollam, das ist sein Name" bestätigte Taejo, "er ist der Bruder von Trevastan ab Apollam, welcher der designierte Thronfolger von Sore ist und Trevors Jugendliebe Isador diesem weggeschnappt hat..."

"Ein Netz von ungerächten Taten, unerwiderter Liebe und Rangeleien um Macht und Ehre" entfuhr es Ivenej nun, "wie könnt Ihr da an Versöhnung denken?"
"Einer muss es ja tun" sanft sprach Taejo diese Worte, "denn wenn es keiner tut, ändert sich nie etwas."
"Da habt ihr Recht" stimmte Ivenej zu, "und was ist meine Rolle in eurem Plan?"
"Als nächstes wirst du mit mir Trevor auf die Vermählungsfeier von Trevastan und Isador nach Sore begleiten..." antwortete ihm Taejo auf diese Frage.



¹Quäler
²wörtlich: Braut-Junge
³die zwei Teufel.
⁴Schindern und Schändern

Das Land jenseits der Berge.Where stories live. Discover now