Goodbye Detroit

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Detroit 1990

Schweigend lagen wir nebeneinander und schauten in den klaren Sternenhimmel, der sich  über  uns ausbreitete. Dieser Moment wirkte so romantisch, wie ein Liebespaar aus einem Liebesroman, kamen wir uns vor, nur das wenige hundert Meter von unserem Zufluchtsort Gewalt und Armut herrschten.

Seufzend wandte ich mich vom endlosen Himmel ab und blickte direkt in die Augen meines Gegenübers. Jetzt im dunklen konnte man die Farbe nicht erkennen, doch ich wusste, dass sie im Tageslicht strahlend blau waren. „Marshall", begann ich, doch er unterbrach mich.

„Ich muss dir noch was sagen, Helen, nächsten Freitag gehts mit ein paar  Freunden nach Chicago, zu einem Wettbewerb, und das beste ist, wenn ich gewinne gibts sofort 500 Dollar in bar. Damit wär die Miete für die nächste Zeit sicher und vielleicht bleibt für uns beide noch was übrig."

„Und wie willst du nach Chicago kommen?", fragte ich interessiert. „Einer von den Jungs hat sich das Auto von seinem Dad ausgeliehen. Keine Ahnung, ob diese Schrottkarre  die 280 Meilen aushält und ob sie überhaupt anspringt, aber nen Versuch is wert."

„Dann wünsch ich dir noch viel Glück." „Wir sehen uns doch sicher nochmal bevor wir fahren, ich  mein sind ja noch vier Tage bis dahin." Wieder seufzte ich, denn mir war bewusst, dass das was ich jetzt sagen würde unsere Beziehung vielleicht für immer beenden würde. „Erinnerst du dich noch an das Stipendium in Deutschland von dem ich dir erzählt hab?" „Das an dem spießigen Internat.?"

„Genau das, auf jeden Fall warn meine Noten dieses Jahr richtig gut, obwohl ich gefühlt nichts dafür gemacht hab. Also hab ich mich halt mal beworben, ich war mir sicher das eh nichts draus wird, aber  mein Onkel wollte das ich es zumindest mal versuch und die haben mich tatsächlich genommen." „Dein Scheiß Ernst, du hast hoffentlich gesagt das du doch nicht kannst, oder?",  sagte er aufgebracht.

„Marshall bitte hör mir zu, als wir zusammengekommen sind, haben wir uns versprochen das wir alles tun werden um aus diesem Drecksloch rauszukommen und wenn es jemand schafft, werden wir uns miteinander freuen. Und jetzt ist es halt passiert. Es wär so dumm da abzusagen, das is eine Chance, die man genau einmal bekommt. Ich kann in Deutschland meinen Schulabschluss machen und dann da auch studieren. Hier in den USA würd das niemals gehen, weil mein Onkel kein Studium bezahlen kann. Mit diesem Stipendium kann ich mir einen Traum erfüllen, sowas lehnt man nicht ab."

„Und was is mit uns, du hast versprochen, dass du mich unterstützt, ich weiß verdammt nochmal selber, das meine Karriere als Rapper noch nicht wirklich läuft, aber du hast versprochen das du für mich da bist."

„Ich hab dir gar nichts versprochen, wenn dann solltest du mich jetzt unterstützen." „Wo soll ich dich denn unterstützen. Ganz ehrlich dann geh doch nach Deutschland und werd dort glücklich. Es ist mir scheißegal, aber erwarte nicht von mir, dass ich dir helfe, wenn du ihn ein paar Monaten zurückkommst, weil du's doch nicht gepackt hast."

Inzwischen waren wir beide am Schreien: „ Wie kannst du sowas sagen, ist dir meine Zukunft so egal, Marshall?" „Weiß du was, fick dich, Helen. Ich hab keinen Bock mehr auf deine egoistische Art." Und mit diesen Worten stürmte er weg und verschwand in der Dunkelheit, während ich heulend zurückblieb.

Ich weiß nicht, wie lange ich noch so dasaß, aber irgendwann wurde es zu kalt und ich machte mich auf den Heimweg. Kurz überlegte ich, ob ich noch zu meinen Freunden schauen sollte, damit sie sich nicht wunderten, wenn ich morgen für immer weg war. Doch ich entschied mich dagegen, vermutlich würde ihnen Marshall irgendeinen Scheiß erzählen, warum ich Detroit verlassen hatte. Außerdem konnte es mir doch egal sein, was sie hier von mir dachten, es war sicher nicht mein Plan jemals zurückzukehren.

Trotzdem tat es mir weh, dass Marshall mich jetzt so sehr hasste. Mein Onkel und mein Cousin merkten sofort, dass etwas nicht stimmte, als sie meine vom Heulen angeschwollenen Augen sahen. „Was ist passiert? Hat dir jemand etwas angetan?", fragte mein Onkel besorgt. „Nein, nur..." „Was?", fragte mein Onkel erneut. „Verdammt, Marshall hat Schluss gemacht, als ich ihm erzählt habe, dass ich nach Deutschland gehe. Und das letzte was er zu mir gesagt hat war, dass er ohnehin keinen Bock auf meine egoistische Art hat."

Ich merkte wie mir schon wieder Tränen in die Augen stiegen. Mein Onkel und mein Cousin versuchten mich zu umarmen, doch ich löste mich wortlos und verkroch mich in mein Zimmer. Wo ich begann wütend meine ganzen Sachen in einen Koffer zu stopfen, nur die Oberteil, die Marshall mir mehr oder weniger freiwillig geschenkt hatte, lies ich zurück, ich wollte nichts mitnehmen, was mich an ihn erinnerte.

Am Ende öffnete ich die Schublade meines Schreibtisches, wo die ganzen Fotos von mir und meinen Freunden lagen. Kurz überlegte ich diese Fotos, ganz dramatisch zu zerreißen oder anzuzünden, doch ich entschied mich dagegen, und so nahm ich einen Karton, in den ich die Fotos legte und dann gut verschloss.

Dann verließ ich doch noch einmal dasHaus und ging zu Logan, einer meiner wenigen Freunde, die nicht mit Marshall befreundet waren. Als er mich sah, wusste er sofort was los war: „Lass mich raten, du hast Marshall gesagt, dass du morgen nach Deutschland fliegst und da wahrscheinlich auch bleibst?" Mehr als ein erbärmliches Nicken brachte ich nicht zustande. „Komm rein.", meinte er dann und tatsächlich schaffte er es mich zumindest etwas zu trösten.

Ich blieb bei ihm bis es langsam wieder hell wurde. Als ich mich an der Haustüre, verabschieden wollte unterbrach er mich. „Soll ich dich dann später zum Flughafen fahren?" „Das würdest du machen?", fragte ich erstaunt. „Klar." „Wär echt super, mein Onkel und mein Cousin haben nämlich Frühschicht, und ich müsste deswegen mit dem Bus fahren." „Also dann. Wann soll ich dich abholen!" „Um acht." „Alles klar, dann bis später."

Zu Hause packte ich noch meinen Rucksack und verabschiedete mich von meinem Onkel und meinem Cousin, die für mich in all den Jahren wie Vater und Bruder waren. Ich schaute auf die Uhr, noch drei Stunden, bis Logan mich abholen würde.

Wieder überlegte ich, ob ich nicht doch noch einmal zu Marshall und meinen anderen Freunden schauen sollte, ich hatte kein gutes Gefühl, sie einfach so zurückzulassen, denn wenn man jemanden in Detroit zurückließ, war es nicht sicher, dass man ihn in nochmal sah. Zumindest mit Marshall wollte ich nicht im Streit auseinander gehen, denn eigentlich hatte wir uns immer geliebt.

Und so stand ich wenig später vor seiner Wohnung, ich klopfte mehrmals an der Tür, doch niemand machte auf, also ging ich einfach hinein, doch niemand war da. Wo um alles in der Welt war er? Marshall war wirklich der letzte der vor sechs Uhr schon wach war. Ich machte mir Sorgen, eigentlich hätte es mir egal sein können, wo er war aber ich hatte Angst, dass er nach unserem Streit gestern gar nicht mehr nach Hause gekommen war. Was, wenn er in irgendeine Schlägerei geraten war?

Besorgt machte ich mich auf den Rückweg, auch wenn mir nicht mehr zusammen waren, zumindest ich empfand immer noch etwas für ihn. Wieder zu Hause angelangt, wartete ich ungeduldig auf Logan, der pünktlich um acht Uhr vor meiner Haustüre stand. Er half mir meinen Koffer in sein uraltes Auto zu bringen und dann fuhren wir los. Glücklich darüber die Stadt, in der ich mein ganzes Leben gewohnt hatte endlich zu verlassen. Als wir an einer roten Ampel hielten schaute ich aus dem Fenster, und was ich sah, ließ mich innerlich zerbrechen.

Eine Mann und eine blonde Frau standen eng umschlungen am Straßenrand und, als der Mann sich umdrehte und in unsere Richtung sah, gab es keinen Zweifel mehr, der Mann, der dort stand, war mein Exfreund, Marshall. Und die Frau erkannte ich jetzt auch, es war Kim ein Mädchen, die bei Marshalls Mutter lebte, weil ihre Eltern es nicht auf die Reihe brachten, sich um sie zu kümmern. Und so wie es aussah, war sie jetzt Marshalls neue Freundin.

„Den bring ich um!", knurrte Logan und wollte schon aussteigen, als ich ihn festhielt: „Dass bringt doch nichts, Logan, der ist es nicht wert." Am liebsten hätte ich ihm gesagt, er sollte stattdessen Kim den Hals umdrehen, doch dann fuhren wir weiter und ließen die beiden hinter uns.

Zwei Stunden später saß ich im Flugzeug und flog einem neuen Leben entgegen, ohne Marshall.

Dachte ich zumindest.

You're Never Over - Eminem StoryWhere stories live. Discover now