Wieso ist er dieses Mal vom Besen gefallen?

197 7 0
                                    

„Ich hab gehört, Harrys Kurs habe gestern über Werwölfe geredet. Severus wird sich nicht angestrengt haben, den Grund dafür zu verbergen." Ich stellte eine Schüssel mit Porridge auf den kleinen Tisch neben dem Bett, die ich ihm vom Frühstück mitgebracht hatte und setzte mich zu ihm. „Hermine weiß bescheid.", erriet er den Grund für dieses Thema ganz richtig. „Wahrscheinlich noch nicht jetzt, aber sie wird es herausfinden.", stimmte ich ihm zu. „Dieses Mädchen ist wirklich klug. Wenn auch manchmal etwas vorlaut." Ich nickte schmunzelnd. „Das ist sie in der Tat."

Mit seiner ausgelaugten Stimme fragte er: „Warum bist du nicht beim Quidditch Spiel?"

„Hast du mal aus dem Fenster gesehen? Es gewittert, es stürmt, es regnet. Und es ist doch-"

„Nur ein Spiel.", beendete er meinen Satz wissend. „Natürlich." Alles noch so wie damals. Ich sah kurz auf die Uhr und erhob mich wieder. „Ich muss rüber, ich habe gleich noch einen Termin." Und erinnerte ihn auch gleich: „Vergiss nicht, den Trank zu nehmen."

„Schon erledigt. Geh ruhig, ich komme schon zurecht.", beteuerte er mir. Ich drückte ihm noch schnell einen Kuss auf die Wange und ging rüber in mein Büro.

„Ich hoffe, es geht Ihnen ein bisschen besser. Ansonsten kommen Sie nochmal vorbei, versprochen?"

„Versprochen.", antwortete sie. Das Zittern aus ihrer Stimme war noch nicht ganz verschwunden, doch es war besser geworden. Mit einem dankbaren Lächeln auf den Lippen sah sie mich an. „Danke, Madame Golding."

„Ich danke dir, dass du den Mut hattest, heute zu mir zu kommen.", gab ich die Danksagung an sie zurück. Darauf stand sie von der Couch auf und ging zur Tür raus, zurück in den Alltag. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel atmete ich tief durch. Ein Mädchen, gerade erst 15. Mit Depressionen. Ihr ging es nicht gut. Nach Hilfe zu fragen war richtig gewesen. Und ich war Remus dankbar, dass er rechtzeitig erkannt hatte, dass es ihr nicht gut ging. Vielleicht konnte ich ihr helfen. Vielleicht hatte es geholfen, zu vermeiden, dass sie sich etwas antut.

Ich schüttelte die Geschichte des Mädchens von mir ab und versuchte mich auf andere Dinge zu konzentrieren. Aber es war tragisch. Und es bedrückte mich. Genauso wie die Stille, die mir auf einmal sehr laut vorkam. Mit einem schweren Seufzer stand ich irgendwann von der Couch auf. Ich ging zur Tür, öffnete sie und ließ sie weit offen stehen. Ein Hintergrundrauschen erfüllte die Luft. Weit entferntes Reden und Lachen. Ich öffnete auch das Fenster um das Rauschen der herbstlichen Bäume und Büsche zu hören, wie der Wind durch die Blätter pfiff. Ein reinigender Luftzug durchfloss mein Büro und ich konnte mich auf meinen Stuhl fallen lassen. Ich zog meine Unterlagen zu mir ran, fuhr mir einmal über mein Gesicht und machte mich an die Arbeit.

Gefühlte Stunden später herrschte von dem einen auf den anderen Moment eine große Aufruhr auf dem Flur. Das Quidditch Spiel war offenbar vorbei. Wie jeden Monat, wenn die Spiele waren, wurde meist eine ganze Schar der Spieler eingeliefert. Gebrochene Knochen, verstauchte Gelenke, manchmal sogar gerissene Muskeln. Nichts, was Poppy nicht im Handumdrehen wieder richten könnte.

Als sich die Lage beruhigt hatte, kam Poppy vom Krankenflügel zu mir rüber. In meiner geöffneten Bürotür blieb sie stehen. „Harry ist vom Besen gefallen."

„Wieso dieses Mal?", wollte ich besorgt wissen. Sollte schließlich nicht das erste Mal vorgekommen sein, das Harry vom Besen fiel... „Er wurde von einem Dementor angegriffen." Meine Augen weiteten sich erschrocken. „Von einem Dementor?" Poppy nickte vielsagend. „Aber er wird schon wieder."

„Das sind doch mal gute Nachrichten. Danke, für die Info." Mit einem Nicken ging sie zurück.

Ich lehnte mich zurück. Von einem Dementor angegriffen und vom Besen gefallen... Bei Merlins Bart, der Junge lebte gefährlich. Ich hatte irgendwann natürlich herausgefunden, dass die Zugfahrt nach Hogwarts alles andere als Ereignislos verlaufen war, so wie Remus es mir geschildert hatte. Aber da hatte ich es durchgehen lassen, weil es bis zu dem Zeitpunkt nur einmal vorgekommen war. Jetzt aber hatte sich das Geschehen wiederholt. Und Harry war verletzt worden. Die Dementoren hatten es auf den Jungen abgesehen. Und bevor sie ihm noch jede glückliche Erinnerung entrissen, oder er starb, musste jemand ihm helfen, sich verteidigen zu können.

„Es wird Zeit, dass Harry den Patronus-Zauber lernt.", hatte ich deshalb entschieden, als ich am nächsten Tag vom Krankenflügel zurück in mein Büro kam. Ich hatte nochmal nach Harry gesehen, bevor er heute entlassen wurde. Verstehend nickte Remus. „Ist gut. Wenn er aus dem Krankenflügel raus ist, geh ich nach ihm sehen."

„Du gehst nach ihm sehen, wenn es dir besser geht.", korrigierte ich ihn. Es sollte immer erst das akute Problem in Angriff genommen werden. Und das war heute nunmal nicht Harry. Bevor Remus nicht wenigstens eine Nacht durchgeschlafen hatte, ließ ich ihn sowieso nirgendwo hin. Er konnte tun uns lassen was er wollte, als wir unterschiedliche Arbeitsplätze hatten. Aber solange ich ein Auge auf ihn hatte, war das hier auch meine Baustelle.

Ein paar Tage später beim Frühstück informierte Remus mich über die neusten Entwicklungen. „Ich habe mit Harry darüber geredet. Ich hab ihm gesagt, ich bringe ihm den Patronus bei, aber ich bin gerade noch nicht in der Verfassung. Man muss die Ferien auch mal Ferien sein lassen." Einverstanden nickte ich. „Sehr schön." Dann konnte ich den Punkt jetzt auch von meiner ToDo Liste streichen. Hoffentlich half es Harry, in Zukunft Vorfälle wie beim Quidditch Spiel zu vermeiden.

Ein leises Quietschen verkündete seine Niederkunft auf meiner Couch. „Er hat es tatsächlich geschafft. Es hat ein paar Anläufe gebraucht, und es war auch nur ein Irrwicht. Aber, er hat es geschafft.", erzählte Remus mir müde, aber stolz. „Was ist sein Tier?", wollte ich neugierig in Erfahrung bringen, während ich mich zu ihm setzte. „Oh, das weiß ich noch nicht."

„Er hat es nur geschafft, das Schild heraufzubeschwören? Das wird nicht ausreichen.", empörte ich mich. Frustriert ließ ich mich in die Polster sacken. „Gib ihm ein bisschen Zeit. Wir arbeiten weiter daran."

Stille breitete sich zwischen uns aus. Er hatte seinen Arm um mich gelegt und ich hatte in einem Anschwoll von überarbeitender Müdigkeit meine Augen geschlossen. Die Ferien waren nicht lange genug gewesen. Die letzte Vollmondnacht war glücklicherweise bereits vorbei, so konnten wir wenigstens die Ferien in Ruhe genießen. Auch, wenn es zwei Wochen waren, in denen man vor- und nachbereiten musste, wenn man hier war, um zu arbeiten oder zu lernen. Aber das alles konnte in Frieden erledigt werden.

Ich öffnete meine Augen und musterte Remus von der Seite, das Kinn auf meiner Hand abgestützt. „Woran denkst du?", fragte ich in die Stille hinein. Verwirrt sah er zu mir. „Jetzt gerade?" Gut, die Frage war vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen. „Nein. Für den Patronus.", antwortete ich auf seine Frage und bekam im Gegenzug eine Antwort auf meine Frage: „Ich denke an dich." Gerührt, aber verwundert kräuselte sich meine Stirn. „Nicht an die Jungs?" Er gab mir diesen Wovon-redest-du-Blick. „Willst du hören, dass meine Erinnerungen an James und Sirius glücklicher sind als unsere? Denn dann irrst du dich."

„Nein, ich frag nur. Ich hatte es immer für selbstverständlich angesehen, dass du an sie denkst. Sie waren schließlich deine besten Freunde." Ich hatte keinen Zweifel daran, dass er auch an mich denken könnte. Aber tatsächlich war ich immer eher nicht davon ausgegangen. Ich meinte das überhaupt nicht böse.

Und da er das bemerkte, fing er doch an, über eine präzisere Antwort nachzudenken. „Naja, am Anfang war das auch so.", gab er deshalb zu. „Aber irgendwann habe ich automatisch immer an dich gedacht. Adelaide hat immer gesagt, sie bekäme den Patronus nicht zustande, weil all ihre guten Erinnerungen auch immer mit Schlechten zusammenhingen. Die Theorie kann ich bestätigen. Mein Patronus-Zauber ist stärker, wenn ich an dich denke." Er zuckte schlicht mit seinen Schultern. „So einfach ist das." Und damit war das Thema abgeharkt. 

GOLDING (Remus Lupin FF)Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon