#46 Vater und Sohn, König und Prinz

Start from the beginning
                                    

Doch zuvor begab er sich an den Tisch der megyarischen Delegation mit dem Königspaar. Das Protokoll für die Rangfolge konnte er auch hier nicht einfach ignorieren.
Zu seiner Überraschung gab man sich dort sehr gewandt und interessiert. Dann aber wurde ihm klar warum: Nordens Reike hatte mit keinem seiner Nachbarn gute Beziehungen. Und alle Nachbarn gingen inzwischen wohl davon aus, dass, sobald der unbeliebte Storledar, sein Vater, in Gras gebissen habe, er dessen Nachfolge in Nordenland antreten würde.
Darinne sah man in Megyarien, vermutlich aber auch in Silistrien, eine Chance, die man sich nicht vermasseln wollte.

So war es die Erkenntnis, dass, falls er Anstalten unternähme um seinen Vater zu beseitigen um sich ab dessen Stelle zu setzen, er nicht nur auf die Unterstützung von Sore sondern auch auf die von Silistrien und Megyarien setzen konnte, welche ihn mit deutlich gesteigerten Selbstbewusstsein nun den Tisch der nordenlandeschen Delegation ansteuern ließ.

"Eure königliche Hoheit" begrüßte ihn sein Vater tatsächlich als er sich dann setzte, aber Trevor war nicht bereit diese Farce mitzuspielen und erwiderte knapp "Vater, die Herren..." in die Runde.
Das war das Signal auch für seinen Vater es sein zu lassen.
"So hast du dich also von den Kinäden auf den angevinischen Thron hiefen lassen?" fragte er nun spöttisch.
"Sorge, dass sie mich auch in das Amt des Storeledar hiefen?" parierte Trevor diesen Seitenhieb ungerührt.
"Wir sind Sore durchaus gewachsen" konterte sein Vater.
"Starke Behauptung" spottete er eiskalt, "dein tolles Reich würde schneller untergehen als Ostarien - und erzähl mir nicht, dass du das nicht weißt!"
"Was weißt du schon darüber?" erwiderte sein Vater barsch.
"Was weißt du über Kernensplittsen⁴?" fragte Trevor ihn sehr arrogant.
Sein Vater reagierte sehr reserviert: "Das ist etwas, das wir erforschen."
"Tja, das ist der Unterschied" erwiderte er zynisch, "Sore forscht da nicht dran, Sore erzeugt damit Energie - und Waffen! Und das nicht erst seit gestern. Die schicken dir einen Bomber und von deinem protzigen Keizerstad bleibt nicht mehr übrig als von Beksach, nämlich Rauch und Asche!"
"Wir werden unsere Bemühungen intensivieren" sprach sein Vater und versuchte unbeeindruckt zu wirken, aber Trevor merkte deutlich, dass er das nicht war.
"Sicher werdet ihr das" kam es kühl von Trevor, "und wenn ich danach frage, werdet ihr Angevinien an euren Erkenntnissen teilhaben lassen. Falls nicht, kommen die Kinäden."
Das war der Moment in dem sein Vater begriff, dass Trevor ihn und Sore gnadenlos gegeneinander ausspielen würde. Und dass seine Herrschaft ab jetzt auch vom Wohlwollen seines Sohnes abhing.
Trevor erhob sich, aber bevor er den Tisch verließ ließ er zum Abschied eine Bemerkung fallen, die seinem Vater das Grausen lehrte: "Und versteckt eure Forschungseinrichtungen besser als euren Völkermord an den Vendy. Sore hat dem Himmel Augen verpasst. Auch eure Verschlüsselungstechnik bedarf dringend einer Verbesserung."
Ohne weitere oder Abschiedsworte erhob er sich und verließ den Tisch.
Zurück ließ er eine schockierte Delegation seines Heimatlandes, die sich fragte, was er mit 'Augen im Himmel' wohl meinte.

Trevor allerdings machte sich mit neu gestärktem Selbstvertrauen auf den Weg an den Tisch der Kronprinzessin von Khamarinien.
Nachdem die Unterhaltung mit der Botschafterin des Landes schon so angenehm war, versprach er sich, dass ihm diese Unterhaltung leicht fallen würde.
Danach allerdings, so war sein Plan, würde er sich dieses eingebildeten Zarensöhnchen von Silistrien verknöpfen. Angevinien brauchte Rohstoffe und Silistrien hatte die - und wollte doch sicher keinen ungebetenen Besuch seines Vaters haben.

Terastan, der als Prinzgemahl seine Runde machte, wurde da wo Trevor herzlich empfangen wurde eher kühl empfangen.
Und da wo Trevor Eindruck hinterlassen hatte, begegnete man ihm mit Mißtrauen.
Man fürchtete seine Macht, man hielt ihn für verschlagen, aber was man ihm verheimlichte war der Fakt, dass man sich in Nordenland, in Megyarien und auch in Silistrien nicht mehr so sicher war, ob wirklich er die Fäden in der Hand hielt oder doch Trevor im Begriff war, ihn damit zu fesseln.
Oder machten die vielleicht doch gemeinsame Sache?
Diese Art von Verunsicherung spielte Trevor in die Hände.

Dieser war derweil am Tisch von Kronprinz Taejo angelangt.
Der etwa gleichaltrige Thronfolger war ein sehr gutaussehender junger Mann, der in seinem sexuellen Interesse nicht auf ein Geschlecht festgelegt war.
Schnell waren beide vom steifen Protokoll abgerückt und während sie mit zunehmendem Amüsement über ihre Väter lästerten, wurde Trevor immer unbekümmerter und offener.
Schnell war man auf einer gemeinsamen Wellenlänge, unterhielt sich über Interessen und Freizeitaktivitäten und fand sich äußerst sympathisch.
Doch während Trevor es einfach nur genoss, jemanden in seinem Alter getroffen zu haben, der ihn nicht verurteilte für das was er war und wen er begehrte und liebte, bekam er nicht mit, wie sich die Blicke des Prinzen auf ihn veränderten, wie sie eingefangen wurden von dem strahlenden Blau seiner Augen.
Er merkte nicht wie sich Taejos Puls beschleunigte wenn er zufällig seinen Arm berührte und bemerkte auch nicht, wie dieser leicht errötete, wenn ihre Blicke einander trafen.
Trevor fand Taejo gutaussehend keine Frage, aber das Verlangen was er in diesem entzündete, das verspürte er nicht.

Doch in Taejos Erinnerungen brannten sich in diesen Momenten das Gesicht von Trevor ein, die Art wie er sich bewegte, seine dunkle und doch irgendwie auch jungenhafte Stimme, sein Lachen und vor allem das atemberaubende Blau seiner Augen.
Auch wenn es ihm noch garnicht bewusst war, sein Unterbewusstsein hatte ein neues Ziel gewählt.
Trevor.
Sofort begann es Taejo mit Gedanken zu traktieren.
Wie sich seine Lippen wohl anfühlen?
Wie es wohl ist ihn in meinem Arm zu halten?
Doch bald kamen auch andere Gedanken dazu.
Ob er sein Stöhnen wohl süß ist?
Wie es sich anfühlt wenn er unter mir liegt?
Noch verdrängte er diese Fragen und die damit verbundenen Gefühle.
Aber dafür überlegte er, ob Trevor wohl wirklich etwas für Terastan empfand - auf ihn machte es nämlich nicht den Eindruck - oder ob das eher eine aus politischen Gründe arrangierte Beziehung war.
Auch wenn Taejo das auf Nachfrage abgestritten hätte, sobald Trevor seinen Tisch verlassen hatte, kreisten alle seine Gedanken im Grunde nur um die eine Frage.
Nämlich ob er Trevor dazu bringen könnte etwas für ihn zu empfinden - und sei es nur Verlangen - und ob Trevor sich wohl auf ihn einlassen würde.
Nein, er dachte nicht über eine Beziehung mit dem blonden Nordenländer nach, das würde sein Vater niemals zulassen und auch Trevor war ja auf der offiziellen Ebene an Terastan vergeben.
Und nachdem, was man so über die Lebenserwartung des sorenischen Hochadels in Tihonguk gehört hatte, war auch nicht zu erwarten, dass der so rasch Witwer werden würde.
Aber auch eine verbotene Liebe hatte ihren Reiz. Und außerdem war es für Taejo schon zu spät, sich sein Verlangen nach Trevor aus dem Kopf zu schlagen.
Das aber wusste er nur noch nicht.

Bild oben wie ich mir Taejo vorstelle.

¹Königliche Halle der Verstorbenen
²Leichenschmaus.
³Hochkaiser, angevinische Übersetzung des Titel Divinimperator.
⁴Kernspaltung

Das Land jenseits der Berge.Where stories live. Discover now