Xavier schluckte bei dem Gedanken an Tyler, ihren Kuss, doch er riss sich zusammen für sie: „Du hattest seitdem keine Vision mehr?“, er war überrascht. Sie sprach weiter: „Ich wollte es so!! Ich habe zu jedem Abstand gehalten, daheim, in der Schule, bis zu dem Tag des Spiels, bis ich…“ 

„Bis du meine Hand berührt hast…“, fasste er zusammen und in dieser Sekunde wurde ihm noch mehr bewusst, welche Überwindung es sie gekostet haben musste, sich auf ihn einzulassen, ihn zu berühren und nun war es kaum noch von Belang für sie. Sie berührte ihn ständig und er war unglaublich dankbar, für sie und ihr Vertrauen. Er nahm beide ihrer Hände, sein Blick war eisern und starr auf sie gerichtet: „Wir werden es herausfinden. Keiner wird sterben. Hast du mich verstanden!?“

Seine impulsive Art, sein Wille und auch seine Sturheit, die ihrer so ähnlich war, beeindruckten sie. Besser hätte sie es nicht sagen können, doch sie hatte noch etwas zu ergänzen: „Wir werden diesen Stalker finden, fesseln ihn, werden ihn foltern, ihm die Finger abschneiden, sodass er überhaupt keine Waffe mehr halten kann. Wir stopfen sie ihm ins Maul, filmen alles mit seinem verfluchten Telefon und zeigen der ganzen Welt, dass man sich nicht mit uns anlegen sollte.“, sie war aus der Puste. Und Xavier lächelte sie an, seine Wednesday war zurück. „Amen!“, fügte er noch hinzu.

Auch er ließ sich wieder zurück auf den Sitz fallen. Auch wenn sie sich einig waren, was den Stalker betraf, hatten sie dennoch jeder eigene Gefühle und Gedanken, mit denen sie klarkommen musste. Sie schwiegen daher den Rest der Fahrt, ruhten sich aus, in voller Vorbereitung auf das, was sie erwarten würde. Doch sie waren sich beide sicher, dass sie nur gemeinsam damit fertig werden konnten. Ihnen wurde klar, dass sie von nun an ehrlich zueinander sein mussten. Als sie durch das riesige, eiserne Tor fuhren, sahen sie sich noch einmal kurz in die Augen. Ohne ein Wort gaben sie sich das Versprechen.

Wednesday hatte ihre Kraft wieder gefunden. Sofort als der Wagen auf dem Vorplatz der Schule hielt, stieg sie aus. Xavier sah ihr hinterher. Als er auf ihren Sitz rutschte, bemerkte er das kleine Namensschild mit dem falschgeschriebenen Namen. Es musste ihr von der Jacke gefallen sein. Er hielt es fest in seiner Hand und steckte es schließlich ein. Er bezahlte den Fahrer, bedankte sich und eilte ihr nach. 

„Ich denke, wir sollten das alles vorerst für uns behalten. Was hast du Enid ganz genau geschrieben?“, Wednesday war mit einem Mal wieder rational und sachlich. Sie wollte wieder funktionieren. Sie wollte die Kontrolle zurück. „Ich habe geschrieben, dass wir eher los mussten, dass du es nicht mehr ausgehalten hast…“, er konnte kaum mit ihr mithalten, so schnell ging sie. „Gut. Dabei bleiben wir. Im Endeffekt entspricht es ja auch der Wahrheit. Zumindest teilweise.“ Er stimmte ihr zu und schenkte ihr ein kleines Lächeln: „Teilweise.“

Sie erreichten den Gang, an dem sich normalerweise ihre Wege trennten. Lehrer und Schüler waren allesamt noch unterwegs in der Stadt. Er wusste nicht wirklich, wie viel Zeit ihnen noch blieb, wie viel sie noch bereit war, für ihn aufzubringen an diesem endlos anstrengenden Tag. Er wollte sie nicht überfordern, die Situation nicht überstrapazieren. Xavier war gut darin, ihr Freiraum zu geben, gerade jetzt, wo so viel passiert war. Also nahm er ihre Hand und küsste sanft ihre Knöchel: „Ruh dich aus. Wir sehen uns morgen. Wenn du magst, dann schreiben wir. Okay?“ Sie blinzelte ihm entgegen, blickte auf seine und ihre eigene Hand, beobachtete ganz genau, wie seine Lippen zart ihre Haut berührten. 

Sein Abschied traf sie, direkt und mit voller Wucht. Sie wollte ihn nicht gehen lassen, die Angst um ihn war zu groß. Ihre Vision war in ihrem Kopf auf ewig eingebrannt und hatte dort einen dunklen Nebel hinterlassen, der von nichts überdeckt werden konnte. „Ich denke, ich brauche etwas Hilfe…“, sie drehte ihre immer noch provisorisch verbundene Hand hin und her. Auch wenn sie sich allemal allein darum kümmern konnte, wollte sie ihn einfach nicht allein lassen. Noch war sie nicht bereit dazu. 

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