Bad Beat - Verspielt

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In der Aktentasche erblicke ich einen Stapel handschriftlicher Din-A4-Blätter, königsblaue Krakelschrift trifft auf rote Randbemerkungen, daneben ein Geschichtsbuch und ein gelbes Heftchen. Als ich dieses herausziehe, halte ich Goethes Faust in Händen. Ich erhebe mich damit. „Hast du keine geistreichere Bettlektüre für deine Verlobte gefunden?"

„Ja, wirklich sehr geistreiche Bemerkung von dir", antwortet mir Liam. „Das ist ihr Job. Kyra ist Deutschlehrerin. Sag's ihm, Babe!"

Dein amüsiertes Grinsen lenkt mich etwas ab von deinen Worten: „Ich bin zwar noch im Referendariat, aber ja, ich unterrichte Deutsch und Geschichte in der Mittelstufe. Ist das ein Problem?"

Du bist schwer einzuschätzen, ob du dich mehr über Liam oder mich amüsierst. Ich hoffe nur, dass du nicht Faust so amüsant findest, denn mit ihm habe ich tatsächlich ein Problem. Und das hat sich auch zehn Jahre nach meiner Schulzeit nicht gebessert. „Habt ihr eine Ahnung, wie viele Generationen von Schülern mit diesem Schund gequält wurden?"

„Das ist von Goethe und ein Klassiker der Literaturgeschichte. Das weißt du schon, du Prolet?", kläfft dein Verlobter, während du spöttisch die Lippen spitzt.

Ich fixiere Liam: „Und was, deiner Meinung nach, sollen die Kids aus diesem Klassiker lernen? Ein alter Snob, der ein 14jähriges Mädchen zugrunde richtet, indem er sie fickt und den Tod ihrer ganzen Familie verantwortet und zum krönenden Abschluss sogar zulässt, dass auch sie stirbt. Was ist daran lehrreich?"

„Das soll auch keine schnulzige Liebeskomödie sein. Keine Ahnung, was du dir für Hochliteratur reinziehst", er zeigt mit ausgestrecktem Arm und abfälliger Miene zu meinem vollgestellten Bücherregal, „aber das nennt man Drama! Und darum hat es natürlich ein tragisches Ende. Faust gewinnt nicht. Er scheitert."

„Er scheitert, sagst du? Er zerstört eine ganze Familie! Und als er die Chance bekommt, zumindest noch das Mädchen zu retten, was macht er da? Er lässt sie im Stich und bringt lieber sein eigenes, verschissenes Leben in Sicherheit. Dabei weiß er ganz genau, dass er damit ihren Tod besiegelt. Und was lernen Jugendliche daraus? Ganz einfach: Dass man nur dreist genug sein muss, um mit jeder Scheiße durchzukommen!"

Liam ist mit seinem Latein am Ende. Endlich! Hilfesuchend blickt er zu dir, während du amüsiert die Lippen schürzt. Es behagt mir nicht, dass meine Meinung zu Faust dich derart amüsiert. Aber ich frage mich auch, ob ich dich je zuvor zu einem Kussmund-Lächeln gebracht habe und was das zu bedeuten hat. Liam lässt sich davon genauso triggern: „Babe, jetzt sag doch auch mal was!"

„Viktor hat recht."

„Was?" Nicht nur Liam wundert sich über deine Reaktion, auch ich frag mich, was passiert ist, dass du mir auf einmal zustimmst.

„Faust ist besessen von einer patriarchalen Allmachtsphantasie. Er will von allem immer mehr: Mehr Wissen. Mehr Geld. Mehr Sex. Und wozu?" Du siehst uns herausfordernd an. Mir gefällt es, wie du die Lehrerin spielst und so tust, als wären wir deine Schulklasse. Aber ich tu dir nicht den Gefallen und hebe die Hand. Und auch Liam hält sich zurück mit seiner Beteiligung am Unterricht.

Also gibst du uns die Antwort: „Weil es ihm um Macht geht! Macht durch Wissen. Macht durch Geld. Macht durch Sex. Und dafür ist ihm jedes Mittel recht. Dafür lässt er sich selbst mit dem Teufel ein."

Ich nicke zustimmend und antworte, ohne mich vorher mit Handzeichen zu melden. „Und deshalb sollte man die Kids damit verschonen!"

„Nein, eben nicht! Denn genau deshalb ist Goethes Faust aktueller denn je." Du bist voll in deinem Element, was dich zu einer besonders reizenden Lehrerin macht. Besonders reizt dabei, wie du zwischen uns beiden angezogenen Männern stehst, während deine Anziehsachen zu deinen hübschen, nackten Füßen liegen. Vor allem aber reizt es mich, dir zu widersprechen: „Was ist daran aktuell? Etwa die Moral der Geschichte, dass Faust damit ungeschoren davonkommt? Er lässt dieses Mädchen eingesperrt in einem Kerker zurück, anstatt sie zu retten."