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Es ist noch dunkel, doch der östliche Himmel schimmert bereits rosig, als ich von der Straße abbiege und meinen 5er BMW auf ein heruntergekommenes Gelände lenke. Mitten im Arbeiterviertel liegt ein Fabrikgrundstück, das vor zwei Jahrzehnten dem Verfall überlassen wurde, bis die Gebäude nach und nach von neuen Besitzern in Beschlag genommen wurden.

Handwerker und Mechaniker haben die ebenerdigen Hallen zu Werkstätten umfunktioniert, Künstler haben sich in den oberen Etagen Ateliers eingerichtet und Bands die Keller zu Proberäumen ausgebaut. Zwischen ihnen haben sich auch einige windige Firmen angesiedelt, die die Räumlichkeiten als Lagerhallen nutzen für wer weiß was alles. Vor einem der Gebäude parke ich den Wagen.

Als wir aussteigen, begrüßen uns aus den Ritzen der brüchigen Ziegelwand Kohlmeisen oder Blaumeisen – ich kann ihr Gezwitscher nicht unterscheiden. Sie können den Sonnenaufgang gar nicht erwarten, so aufgeregt, wie sie klingen.

Zögerlich folgst du mir zu dem dem alten, dunkelroten Gebäude, über dessen Toreingang ein großes, weißes Schild hängt, auf dem in schlichten Versalien "Kunstschreiner Maas & Krieger" geschrieben steht. Mit einem Lastenaufzug fahren wir hinauf. Als ich, im obersten Stockwerk angekommen, das Rolltor unter lautem Geächze hochschiebe, blickst du auf eine schwarz lackierte Rennmaschine, die du beim Austreten umrunden musst.

„Du parkst dein Motorrad im Wohnzimmer?"

„Ist nicht meins. Das wartet hier auf seinen Abholer."

„Bist du Mechaniker? Oder Motorradhändler?"

„Weder noch. Dein Verlobter ist nicht der Einzige, der mir was schuldet."

„Dann ist Liam nicht dein erstes Opfer, das du abgezogen hast!"

„Ich habe niemanden abgezogen. Und Liam ist ganz bestimmt kein Opfer. Genauso wenig wie du eins bist, auch wenn du dich gern als Opfer sehen möchtest." Ich tätschle das schwarze Leder der Sitzbank. „Dieses Mädchen hier wurde nicht gefragt, ob es als Pfand herhalten will."

„Du kannst mich doch nicht mit einem Moped vergleichen. Du kennst schon den Unterschied zwischen einer Sache und einem Menschen?"

Nachdenklich streiche ich mit den Fingerkuppen über den schwarz lackierten und blitzblank polierten Tank und über das verchromte Lenkgestänge. „Ich würde sagen, der Unterschied ist, dass dieses Mädchen nicht von allein wegfahren kann. Aber du hast immer noch die Wahl, ob du dich an dein Wort gebunden fühlst – oder nicht." Dabei zeige ich zum Aufzug. „Du bist kein Opfer. Du hast dich mir förmlich aufgedrängt."

Du lachst abfällig. Und ich sehe dir dabei zu, bis es dir wieder vergeht.

Die Absätze deiner Heels klackern auf dem Betonboden, als du weitergehst. Vor dir liegt eine etwa 200 m² große Halle. Von den Wänden bröckelt der Putz und legt hier und da den Backstein frei. An anderen Stellen platzen die mehrfach aufgetragenen Farbschichten ab. Die Muster, die dabei über Jahrzehnte entstanden sind, erinnern ein wenig an ein stark beschädigtes Wandfresko in einer uralten Kirche.

Durch die Größe des Raumes wirken die wenigen Möbelstücke klein, obwohl sie überhaupt nicht klein sind. Ein großer, schwerer Schreibtisch und ein abgewetzter Ledersessel stehen vor der bodentiefen Fensterfront, dessen Scheiben teils blind, teils gesprungen sind und notdürftig geflickt wurden. Die tiefstehende Morgensonne wirft erste Lichtstrahlen quer durch den Raum an die gegenüberliegende Wand.

Dort steht vor einem riesigen, verschlossenen Rolltor ein Podest, das an eine Kleinkunstbühne erinnert. Darauf ein großes Stahlrahmen-Doppelbett, auf dem zerwühlte, schwarze Satinbettwäsche liegt.

Ein überdimensional großes Regal beherrscht eine Seitenwand und ist vollgestopft mit Büchern, Akten, Kisten, Kartons, Schallplatten, auf Kante zusammengelegten Hemden, Jeans, T-Shirts, Unterwäsche, und mit allerlei anderen Kram. Davor steht eine große Tapezierleiter, um an die oberen Fächer heranzukommen. Auf einem langen Kleiderständer reihen sich wie bei einem Herrenausstatter Sakkos, Anzüge, Jacken und Mäntel auf – alle in schwarzer Farbe.

Unter der hohen Betondecke gibt es keinerlei Beleuchtung. Dafür stehen überall verschiedenste Stehleuchten herum – in einem wüsten Stilmix aus allen möglichen Epochen und Modeströmungen – von Klassisch über Jugendstil oder 70s-Pop bis zu postmodern. Mit einem Tastendruck auf meinem Smartphone flammen die Lampen auf. Wirklich heller wird der dämmrige Raum dadurch kaum.

„Fühl dich wie Zuhause", sage ich und zeige zu einem Quader in der Ecke, ein in die Halle gesetzter einzelner Raum, in dem früher das Büro des Schichtleiters war, bevor ich es umbauen ließ. „Dort findest du das Bad!"

So wie sich dein Gesicht beim Umsehen verzieht, stößt dich meine Art zu wohnen ab. Vielleicht ist es aber auch einfach nur die verfickte Situation, in die dich dein Verlobter gebracht hat. Ich sehe in deinen Augen, wie du ein paar Tränchen wegblinzelst, die trotzdem deine Wimperntusche verlaufen lassen. Auch wenn du gerade meinem Blick ausweichst, bist du eine Kämpferin, das muss ich dir lassen.

Du stöckelst auf deinen viel zu hohen Absätzen Richtung Badezimmer. Hat er dich dazu gebracht, die Stelzen anzuziehen? Allzu viel Übung hast du jedenfalls nicht damit.

Ich gehe zu meiner Küchenzeile und heize den Vollautomaten auf, um mir einen Cappuccino zu machen. Es dauert eine Weile. Ich setze mich auf einen der Barhocker an der Anrichte, beobachte, wie die aufgehende Sonne das Lichtspiel an der Wand verändert und lausche den Geräuschen, die aus dem Bad kommen. Du benutzt meine Dusche. Ich überlege angestrengt, ob bei mir jemals eine Frau geduscht hat, mit der ich nicht vorher Sex hatte. Es ärgert mich, dass du die Erste sein sollst.


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