Wie geht es dir?

Was hast du so gemacht?

Warum warst du nicht da? 

Welches Buch hast du in der alten Buchhandlung gekauft?

Welche Bilder hast du gemalt?

Wednesday war in ihrem Kopf gefangen. Also sprach er weiter, zupfte an seinem Essen herum: „Ajax ist nun mit mir auf dem Zimmer. Auch wenn es viele leere Räume gibt und die meisten allein wohnen, finden wir das ganz gut so. Da hat man jemanden zum Reden.“ Er sah sie an. Auch das konnte Wednesday nicht aus der Reserve locken. Sie blieb still. 

Xavier redete sich um Kopf und Kragen und wurde immer nervöser: „Ich ähm habe mich gefragt, was mit deinem Telefon ist… hast du es noch? Ich meine, wenn nicht, dann ist das ok. Schließlich hattest du ja immer wieder betont, kein Sklave der Technik zu sein.“ Er griff nach seinem Glas und trank einen riesigen Schluck, in der Hoffnung, das würde ihr etwas Zeit verschaffen, auf seine Frage antworten zu können. „Ich habe es noch. Ich benutze es nur nicht. Es ist eigentlich immer ausgeschalten.“, antwortete sie ihm. Mit ihren Fingern klopfte sie nervös auf dem Tisch. Sie wusste genau, worauf er hinauswollte. Er hakte nach: „Aber nicht immer?“ Sein Gesicht verdunkelte sich ein bisschen, was ihr nicht entging. Es tat ihr unendlich leid. „Ja, nicht immer.“, stimmte sie ihm zu. Sie wollte ihn nicht belügen, das hatte sie sich geschworen. Lügen hatte Xavier Thorpe nicht verdient und

…mich und mein Gestammel auch nicht…

Schoss es ihr durch den Kopf. „Hast du meine Nachrichten gelesen?“, platzte es nun aus ihm heraus, sein Blick wurde immer ernster. Seine Frage war berechtigt, das wusste sie. Sie sah zur Seite. Das war Antwort genug für ihn. „Du hast sie gelesen…nicht wahr? Warum hast du nie geantwortet?“, es war beinahe ein Flüstern, so als spräche er mit sich selbst. Und da war sie die Frage, die sie um alles in der Welt vermeiden wollte. Es war wie ein Impuls. Ein Schlag, der sie hart traf. Nervös stand sie auf. Als sie nach ihrem Bagel griff, schubste sie mit ihrem Ärmel sein leeres Glas um. Sie stellte es eilig wieder auf und machte sich auf den Weg in Richtung Ausgang. Sie lief schnell, rannte beinahe. 

Xavier konnte nicht mehr tun, als ihr traurig hinterherzuschauen. Er war ratlos, verloren und im selben Moment unendlich angetan von ihrer Nervosität. Es machte ihn verrückt. Sie machte ihn verrückt. Er sah auf seinen Teller. Der Appetit war ihm vergangen, zu viel Dinge schwirrten durch seinen Kopf. Ihm wurde langsam aber sicher klar, dass Wednesday sich verändert hatte. Ihm gegenüber, nur wusste er noch nicht, was es genau das bedeutete – für sie, für ihn, für beide. 

Wednesday eilte zur Bibliothek, auch wenn sie dort nicht wirklich nach etwas suchen wollte. Sie musste nur weg. Weg von seinen Fragen, die immer wieder genau ins Schwarze getroffen hatten. Weg von seinen grünen, sanften Augen, seinem Lächeln. 

Irgendwann werde ich ihm alles erzählen…

Versprach sie sich. Doch bereit war sie jetzt noch nicht dafür. Sie betrat den eher kleinen und sehr dunklen Raum, in der hinterste Ecke des Hauptganges. Die Regale reichten bis hinauf zur Decke und waren vollgestellt mit alten, neuen Büchern, mit zahllosen Bänden und Sammlungen. Der Geruch von altem Papier beruhigte sie etwas. Vielleicht war auch genau das der Grund, warum sie sich für diese Zuflucht entschieden hatte. Niemand war da. Sie war allein. 

Sie versuchte, sich abzulenken. Sie las die Titel der Bücher einen nach dem anderen. Ein bisschen Zeit blieb ihr noch, bevor die erste Stunde beginnen sollte. Als sie so die Regale entlang ging, zog sie immer wieder eines der Bücher heraus, um den Einband zu betrachten. Sie liebte die Verzierungen, das alte Leder.

Ein grünes Buch, dessen Ränder golden verziert waren, fiel ihr besonders ins Auge. Es befand sich zwei Köpfe über ihr im Regal. Ohne mit der Wimper zu zucken, stieg sie mit einem Fuß auf einen der Regalböden und streckte ihre Hand danach aus. Als sie das Buch ein Stück herauszog, spürte sie, wie ein lautes Knarren unter ihren Finger, mit denen sie sich am Holz festhielt, das gesamte Regal in Bewegung setzte. Sie sprang hinunter und sah, wie sich vor ihr eine kleine Kammer öffnete. Sie war leer, dunkel und nicht sehr groß. Lediglich ein paar wenige Quadratmeter machten den winzigen Raum aus. Sie steckte ihren Kopf hinein und fand nichts außer Staub und Spinnweben. 

Wohlmöglich stand hier einmal ein Tresor …

Dachte sie sich. Sie fuhr mit ihrem Schuh über die alten Holzdielen. An den dunklen Spuren auf dem Boden konnte man es erkennen. Irgendetwas schweres hatte viele Jahre dort gestanden. Von innen konnte sie sehen, wie der Mechanismus der versteckten Tür funktionierte und schloss sie wieder. Nevermore überraschte sie immer wieder aufs Neue und Wednesday Addams konnte man nur schwer beeindrucken, so viel war sicher. Sie zuckte zusammen. Etwas hatte sie aus ihren Gedanken gerissen. Draußen vor der großen, schweren Tür hörte sie einige Stimmen, Schüler eilten an der Bibliothek vorbei. Nun war es so weit. Die erste Stunde stand bevor und sie machte sich todesmutig auf den Weg. 

Dann mal los…

Woe is me, my loveWhere stories live. Discover now