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Nach der Nacht, kommt selbstverständlich immer der Morgen.

Und nach einer langen Nacht ist der Morgen entweder so scheiße, dass man am liebsten eine Überdosis nehmen würde oder er ist so friedlich wie heute.

Ich sitze in meinem Bett und frühstücke. Das Bett ist voller Brotkrümel und mein Mund voller Erdbeersaft, weil ich immer noch nicht essen kann wie ein normaler Mensch.

Aladin schläft noch seelenruhig in seinem Bett und ist an irgend so ein Überwachungsgerät angeschlossen. Er sieht genauso friedlich aus, wie sich dieser Morgen anfühlt.

Leise schnarcht er vor sich hin und ist mit seinem Gesicht zu mir gedreht.

Ich richte mein Kopftuch und schwinge meine Beine über das Geländer des Bettes um ins Bad zu gehen.

Zurück im Zimmer sind die Ärzte schon zur Visite da.

„Guten Morgen!", lächle ich Dr. Brown entgegen. Bianca überprüft Aladins Zugang, weshalb er aus seinem Dornröschenschlaf erwacht.

Zu poetisch? Ich weiß.

„Seine Werte sehen ganz ok aus würde ich jetzt mal so behaupten.", sagt Dr. Brown.

„Kommen wir nun zu dir Aleyna. Deine Werte waren gestern zwar besser, jedoch ist es noch nicht im auffälligen Bereich. Du solltest dir keine Sorgen machen. Ich werde Bianca sagen, dass sie dir heute mal mehr Vitamine an den Tropf hängen soll und dann kriegen wir dich schon wieder auf die Beine." , sagt sie und schmunzelt leicht über mich, als ich verlegen versuche die Brotkrümel von meinem Bett zu bekommen.

Ich glaube sie freut sich mehr darüber, dass ich etwas zu mir genommen habe, als dass es sie stören würde, dass ich mehr gekrümelt habe als das Krümelmonster höchstpersönlich.

Kaum ist Dr. Brown raus aus dem Zimmer setzt sich Aladin auf.

Seine Haare sind zerzaust du seine dunklen Augenringe bilden einen hohen Kontrast zu seiner blassen Haut.

Er sieht eigentlich mega süß aus.

Desorientiert blickt er sich um und scheint nicht zu wissen wo er ist. Umso enttäuschter sieht er aus, als seine Augen die Erkundungstour beenden und mir direkt in die Seele starren.

Ok, so schlimm bin ich jetzt auch wieder nicht.

Obwohl ich mir nichtmal sicher bin ob er nur mich so scheiße findet oder ob er sich gerade seiner beschissenen Lage bewusst wird.

Immerhin führt er sich nicht auf wie ein Arschloch.

Noch nicht zumindest.

Als die Ärzte dann auch irgendwann mal weg waren saß ich wieder auf meinem Bett.

Mit dem Unterschied, dass Aladin nun ebenfalls auf seinem Bett saß und mich durch zusammengekniffene Augen ansah.

Und was mach ich? Ich bin natürlich so stur und starre zurück.

Ich werde ganz bestimmt nicht klein beigeben.

Auch wenn ich selber manchmal recht unschuldig wirke, heißt dass nicht, dass ich es auch bin.

Ich mein ja nur, ich muss mir ja nicht alles gefallen lassen nur weil er Krebs hat. Ich habe immerhin auch Krebs.

"Was ist dein Problem?", frage ich ihn nach mehreren stillen Augenblicken des Starrens.

"Was mein Problem ist? Das fragst du noch?", antwortet er und sein Gesichtsausdruck ändert sich schlagartig. "Ich muss hier in diesem Zimmer langsam verrecken, während meine Freunde nach Florida fahren und die Zeit ihres Lebens in Maiami haben."

Als er das sagt fing ich an laut zu lachen, weshalb ich einen verstörten Blick von ihm erntete. "Und jetzt lacht diese Hexe auch noch", höre ich ihn genervt flüstern.

"Glaub mir, dass ist erst der Anfang. Du solltest dich daran gewöhnen hier nicht länger als ein paar Stunden weg zu dürfen. Weißt du wie viele Sachen ich schon verpasst hab? Ich hab drei Hochzeiten und zwei Babypartys verpasst weil ich hier hocken muss.", sage ich zu ihm.

"Wie kann man so ein Leben führen?" , fragt er fast schon abwertend. "Jetzt komm mal runter Freundchen, du bist nicht der einzige der mit Krebs leben muss. In welchem Stadium bist du?", ich stehe vom Bett auf und laufe zu meinem Bücherregal.

"Erstes.", antwortet er knapp und genervt. "Und du?" "Ich?" "Ne die Tapete. Natürlich du, wer denn sonst?"

Ich verdrehe die Augen und lasse meinen Blick über die Bücher in meinem Bücherregal schweifen. Genervt schnaube ich, als ich merke, dass ich wieder mal keine Bücher mehr zum lesen habe. „Wieder im zweiten."

„Wieder? Hattest du schonmal Krebs?", fragt er. „Jup. Ist schon das zweite mal. Passiert eigentlich ziemlich selten in unserem Alter, also keine Panik großer." „Oh. Das tut mir leid für dich."

„Ist schon gut. Ist ja nicht so, als würde ich nicht damit klarkommen. Krebs ist zwar scheiße, aber ich glaube fest daran, dass man es in den meisten Fällen schaffen kann, wenn man die Hoffnung nicht aufgibt."

„Ok.", haucht er flüsternd und senkt seinen Blick. Als er wieder aufblickt kann ich seine tränenden Augen erkennen. Es bricht mir das Herz, ihm nicht helfen zu können.

Ich lächle ihn schwach an und habe plötzlich das Bedürfnis ihn in den Arm zu nehmen. Also geh ich genau diesem Bedürfnis nach, indem ich mich neben ihn auf seine Bettkante setze und seinen Arm über deinem T-Shirt berühre.

Eigentlich merke ich gerade erst, wie schwer es für einen emphatischen Menschen wie mich ist, mit einem männlichen Krebskranken in einem Zimmer leben zu müssen.

Als er sich nach ein paar Minuten und ein paar wenigen, nach seiner Bezeichnung, „männlichen" Tränen später hat er sich wieder beruhigt und ich setze mich auf das Bett.

„Hey weißt du, was mir immer hilft, wenn mir das alles hier über Kopf steigt?", frag ich ihn. Er schüttelt wie erwartet den Kopf und fängt an zu grinsen, als ich mir selber meine Frage beantworte.

„Alsooooo..., es ist jetzt vielleicht nicht ganz legal..., aber es ist wunderschön!" „Bei den Wörtern "nicht legal" hattest du mich schon an der Angel Freundchen!"

Naja, und dann, dann standen wir beide schon in unseren Kuschelpantoffeln und unseren Infusionsbuddys nebeneinander im Fahrstuhl und ich drückte den obersten Knopf.

Als sich die Türen öffnen schleichen wir uns mehr oder weniger unauffällig auf das Dach des Krankenhauses. Der Ausblick ist unglaublich und ich habe das Gefühl, dass ich Aladin hier und jetzt das erste mal richtig lächeln sehe. Denn das Lächeln, das er mir jetzt zeigt ist ein ehrliches.

Ich schaue ihm in die Augen und muss meinen Kopf dafür in den Nacken legen.

Und ich weiß, es ist eine absolute Redflag.
Und ich weiß, es ist noch viel zu früh um das zu sagen, was ich jetzt sagen werde.
Und ich weiß, dass ich wahrscheinlich zu viele romance Bücher gelesen habe.
Und ich weiß, dass es dumm wäre zu hoffen, dass er das gerade auch gespürt hat.

Aber genau jetzt.
In diesem Moment.
In dieser Sekunde hat es bei mir „gechingt".
Fuck you Dracula.

One bed between us Where stories live. Discover now