Die Dame vom See -1-

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I.

Der Wald war düster. Die Bäume ragten meterhoch in den Himmel, höher noch, als der Turm einer Burg. Ihre Äste waren so dicht, dass man nicht den kleinsten Fetzen von Blau oder Weiß, des Himmels oder der Wolken ausmachen konnte. Flechten hingen auf den schmalen Pfad hinab, kein Windhauch ließ sie leicht schwingen, und doch war es angenehm kühl in dem Forst. Die dunkle Rinde der Bäume war mit Moos bewachsen, genauso die Steine, die ab und an zwischen den dichten Sträuchern lagen. Moos wuchs auch auf dem Boden, neben dem grünen Gras, dem Farn und den braunen Pilzen. An den Sträuchern, die ihre Zweige in jede Richtung ausstreckten, hingen Beeren, Blüten oder Dornen. Alle erdenklichen Sorten wuchsen hier. Sogar Blumen reckten, dort wo ein einsamer Sonnenstrahl das Zwielicht durchdrang, ihre Köpfe zum Licht hin. Vögel zwitscherten oder krächzten ihr Lied hinaus in die Welt, im Gehölz raschelte und knackte es, da die kleinen Tiere auf Nahrungssuche oder Jagd waren. Graue Eichhörnchen hüpften über die Äste in der Absicht Nüsse oder Zapfen für ihren Speicher zu sammeln. Dort blitzte es rot auf, als ein Fuchs durch das Unterholz schlich. Und eine Fee flog, einen wilden, erregten Tanz aufführend, über den Pfad, ihre kleinen Flügel schimmerten in leuchtenden Farben, sicher war sie paarungsbereit. Der ganze Wald kreuchte und fleuchte von Leben, die dicken Stämme der Nadelbäume und Laubbäume schützten dieses Leben und nährten es.

Mitten durch dieses pulsierendes Herz der Natur, ritt der Fomorer Carne. Er folgte eben diesen engen Pfad, duckten sich unter den Flechten hinweg und wich überhängenden Ästen aus. Hunderte Augenpaare folgten dem Reiter, bevor sie sich wieder der Beute, Nahrung, Nest oder Jungen zuwandte. Er befand sich auf der Suche. Auf der Suche nach Spuren von denen er bis jetzt noch keine Einzige gefunden hatte. Trotzdem hielt er weiter Ausschau und erfreute sich nebenbei an dem herrlichen Anblick des grünenden, dunklen Waldes. Er spürte die Unruhe seines Pferdes, obwohl Munin sich nichts anmerken ließ. Auch wenn er nicht so groß war, besaß er doch die Ausbildung eines Schlachtrosses, trotzdem mochte er den Geruch so vieler Räuber nicht und folgte dem Pfad nur auf den Willen seines Herrn hin. Ja der Geruch. So intensiv, so vielfältig. Es roch nach den Beeren, nach dem Moos, nach den Blüten. Es roch nach überreifen Früchten, Aas und Moder. Nach Kräutern, Ausscheidungen und Moschus. Kurz, nach Leben. Es fehlten die Ausdünstungen der Kamine und der Gestank der schmutzigen Gassen, wie sie in den Städten über allem lagen. Die Luft war schwer, wenn auch nicht heiß. Trotz des schwarzen Mantels, der auch bei Schneefall warm hielt, schwitzte Carne nicht. Er war groß, schlank mit drahtigen Muskeln. Sein schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen, dem spitzten Kinn, der scharfen Nase und den stechenden, grauen Augen, das ein grauer Vollbart zierte, wurde von ebenso grauen, fast schulterlangen Haaren eingerahmt. Sein Alter konnte man nicht genau schätzten er hätte Ende der Vierziger sein können oder schon in den mittleren Fünfzigern. Seine Augen hingegen zeigten sowohl die Lebenserfahrung eines Greises, als auch die Neugier eines jungen Mannes. Sie zeigten Mut, aber auch die Desillusion eines alten Kriegers. Quer über seine Brust war ein Schwertgurt geschnallt, auf dem Rücken hing es, eine eineinhalb Meter lange Klinge aus Silberstahl. Auf der Vorderseite des Gurtes war sein Dolch, aus dem selben Material, befestigt. Wenn er den Dolch zog sprang das Schwert etwas aus der Scheide und er konnte es blitzschnell ziehen. Unter dem Mantel trug er ein Panzerhemd, geschmeidiges Leder, das mit metallenen Ringen, wie bei einem Kettenhemd, und Plättchen bestückt war. Es reichte ihm bis zu der Hälfte des Oberschenkels und schützte die Arme bis zum Ellenbogen, die Schultern waren extra mit Vierecken dieser Panzerung versehen. Seine Beine waren in eine schwarze Hose aus Leinen gekleidet, ein Hemd der selben Machart bewahrte seinen Oberkörper vor der Reibung der Rüstung. Die Füße steckten in abgetragenen Stiefeln aus Leder. Er passte optisch gut zu diesem dunklem Wald, verschmolz geradezu mit ihm, selbst das Pferd war so düster wie sein Herr. Es war grau mit einem weißen Fleck auf Stirn und Schulter.

II.

Das Murmeln eines Baches war zu hören, noch war er außer Sicht, aber das Plätschern des Wassers über flache Steine war bereits zu vernehmen. Nachdem Carne dem Pfad noch einige Meter gefolgt war, öffnete sich der Wald zu einer kleinen Lichtung. Neben ihr floss der Bach, die Sonne schien auf das kurze Gras. Ein schöner Ort. Das fanden sicher auch die Fliegen, die sich auf das Blut gesetzt hatten und die sich durch das Fleisch der Toten fraßen. Es waren zehn, alle bereits von den Aasfressern angeknabbert und verfault, ihre Bäuche unter der Sonne aufgeplatzt. Sie lagen in den Überresten von drei kleinen Zelten, ihre Waffen rosteten am Boden vor sich hin. Es musste sie im Schlaf überrascht haben, nur einer, der etwas abseits lag, war vollkommen angezogen und gerüstet. Das Wappen das sie trugen zeigte einen Hundekopf. Das Zeichen des König Ruga von Cagon, in dessen Auftrag Carne unterwegs war. Eigentlich war er kein richtiger König, er war ein Vassall Berendurs und nannte sich nur König obwohl sein Rang eher dem eines Herzogs glich.

Die Flamme in der FinsternisWhere stories live. Discover now